Große Anfrage: Wer speichert was warum, wieso und wie lange und an wen kann es weitergegeben werden?

 

Der Datenschutz hat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Volkszählung von 1983 Grundrechtscharakter. Das Gericht forderte seinerzeit, dass die Bürgerinnen und Bürger wissen müssen, wo, was, wann, warum über sie gespeichert sei, da ansonsten das Vertrauen in Staat und Gesellschaft erheblich leide. Mit der Zunahme von neuen Speichertechnologien und Vernetzungssystemen haben Speicherdateien jeglicher Art in hohem Maße zugenommen. Das verfassungsrechtliche Gebot von Bestimmtheit und Transparenz staatlicher Dateien scheint dabei zu erodieren. Das Verwaltungsgericht Hannover hat am 22.05.2008 entschieden, dass für die Datei "Gewalttäter Sport" in Niedersachsen die Rechtsgrundlage fehlt. Auch an der BKA-Datei Apis gibt es erhebliche Kritik hinsichtlich der Rechtsklarheit und Eingriffstiefe.

Die ständige Ausweitung von Sammeldateien durch den Staat muss deutlich strenger hinterfragt und parlamentarisch kontrolliert werden. Es ist mittlerweile für die Bürger und Bürgerinnen kaum noch nachvollziehbar, wer, wie oft, wie lange und warum in welcher Datei gespeichert wird, welche notwendige Informationsgewinnung damit verbunden ist, welche Vorteile und Ermittlungserfolge für den Staat mit solchen Dateien verbunden sind und an wen die gespeicherten Daten weiter gegeben werden können und dürfen. Die "Sammelleidenschaft" des Staates zur Kontrolle und zum vermeintlichen Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger wird ständig ausgeweitet. Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung in einer Entscheidung jüngst als verfassungswidrig eingestuft. Auch in Niedersachsen wurden in den letzten sechs Jahren verschiedene neue Dateien und Überwachungsinstrumente geschaffen. Die Datenschützer von Bund und Ländern sind daher besorgt.

Fragwürdig bei der neuen Sicherheitspolitik sind vor allem der Ausbau so genannter Vorfeldbefugnisse und die Überwachung von Kontakt- und Begleitpersonen. Damit vergrößert sich die Gefahr, dass auch unbescholtene und rechtstreue Bürger in den Fokus staatlicher Überwachung geraten. Und der Datenaustausch wird mittlerweile nicht nur zwischen verschiedenen Behörden eines Bundeslandes oder des Staates praktiziert, sondern hat globale Ausmaße angenommen. Jüngst hat es erhebliche Kritik am Fluggastdatenaustausch der Bundesrepublik mit den USA sowie am Swift-Abkommen gegeben.

Der Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren müsse im Kontext von Informationsgewinnung eine entscheidende Rolle spielen, fordert das Bundesverfassungsgericht. Die tragenden Eckpfeiler des grundrechtlich verbürgten Datenschutzes sind das Erfordernis einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage, die Zweckbindung, die Verhältnismäßigkeit, sowie die Möglichkeit der Rechtsmäßigkeitskontrolle. Dennoch heißt es im Grundlagenwerk von Lisken / Denninger "Handbuch des Polizeirechts" kritisch: "Für den Bürger geht der klare Maßstab verloren, unter welchen Voraussetzungen er mit der Speicherung seiner Daten bei der Polizei rechnen muss." Und an anderer Stelle: "In dem Gewirr polizeilicher Dateien ist ein Überblick kaum noch möglich."

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Welche grundsätzlichen Aufgaben und Ziele haben folgende Dateien oder Datenbänke?
  1. Nivadis
  2. Polas     
  3. Apis        
  4. Pios        
  5. Inpol       
  6. KAN        
  7. APS        
  8. Castortransporte – ISAS
  9. SAFIR     
  10. SAFIR -Castor
  11. LKA-System Castor
  12. Limo       
  13. Remo
  14. Aumo     
  15. Gewalttäter Sport
  16. GIAZ Niedersachsen
  17. Anti-Terror-Datei
  18. ZEVIS
  1. Um was für konkrete Dateien / Datenbänke aus der Frage 1 handelt es sich jeweils, d.h.
  1. handelt es sich um eine niedersächsische, bundesweite, europäische oder internationale Datei, Datenbank, Projektdatei o.Ä.,
  2. handelt es sich um eine Volltext- oder Index-Datei,
  3. wer wird auf Grund welches Tatvorwurfs / Deliktes, Vorfalls oder sonstiger Voraussetzung darin gespeichert,
  4. welche Informationen werden gespeichert,
  5. wie lange werden die Personen und Informationen gespeichert,
  6. wie viele Personen sind darin gespeichert,
  7. wer hat Zugriff auf die vollständigen Dateien oder auf einen Teilbereich und wovon hängt der vollständige oder teilweise Zugriff ab,
  8. wo bzw. bei wem werden sie zentral gespeichert,
  9. wann werden die Daten in den Dateien gelöscht,
  10. aufgrund welcher Rechtsgrundlage wurden die Dateien geschaffen und betrieben,
  11. welche Rechtsschutzmittel haben die betroffenen Bürger und Bürgerinnen gegen die Speicherungsmaßnahme und
  12. welche konkreten Auswirkungen hat eine Speicherung für die betroffene Person? (Hintergrund: Eintrag in "Gewalttäterdatei Sport" führt zu einem 3jährigen bundesweiten Stadionverbot, selbst wenn vor Gericht ein Freispruch erfolgt.)
  1. Auf welche niedersächsischen, bundesweiten, europäischen oder internationalen Dateien, Datenbanken, Projektdateien o.Ä. haben die niedersächsische Polizei und der niedersächsische Verfassungsschutz zusätzlich zu den in der Frage 1 genannten Dateien Zugriff? Bitte die Dateien konkret bezeichnen.
  2. Um was für Dateien / Datenbänke handelt es sich jeweils bei den zu Frage 3 genannten, d.h.
  1. welches Ziel haben die einzelnen Dateien,
  2. wer wird auf Grund welches Tatvorwurfs / Deliktes, Vorfalls oder sonstiger Voraussetzung darin gespeichert,
  3. welche Informationen werden gespeichert,
  4. wie lange werden die Personen gespeichert,
  5. wer hat Zugriff auf die vollständigen Dateien oder auf einen Teilbereich und wovon hängt der vollständige oder teilweise Zugriff ab,
  6. wo bzw. bei wem werden sie zentral gespeichert,
  7. wann werden die Daten in den Dateien gelöscht,
  8. aufgrund welcher konkreten Rechtsgrundlage wurden die Dateien geschaffen und betrieben,
  9. wie viele Personen sind darin gespeichert,
  10. aufgrund welcher Rechtsgrundlage wurden die Dateien geschaffen und betrieben,
  11. welche Rechtsschutzmittel haben die betroffenen Bürger und Bürgerinnen gegen die Speicherungsmaßnahme und
  12. welche konkreten Auswirkungen hat eine Speicherung für die betroffene Person?
  1. In welchen der Dateien sind Abgeordnete des niedersächsischen Landtages, des Bundestages oder des europäischen Parlaments gespeichert:
  1. In welchen Dateien sind Personen eingespeichert worden, die zum Zeitpunkt der Speicherung Mitglied eines der genannten Parlamente waren (Bitte auflisten nach Jahreszahl der Speicherung, Parlament und Fraktion)?
  2. In welchen Dateien sind Personen eingespeichert worden, die später Mitglied eines der genannten Parlamente geworden sind (Bitte auflisten nach Jahreszahl der Speicherung, Parlament und Fraktion)?
  3. Wie viele Mitglieder der genannten Parlamente sind gegenwärtig in welcher der Dateien gespeichert (Bitte auflisten nach Parlament und Fraktion)?
  1. Gibt es einen systematischen Überblick (Gesamtverfahrensverzeichnis) oder eine Metadatenbank, auf wie viele Dateien und Datenbänke die niedersächsischen Sicherheitsbehörden (Polizei, Justiz, Verfassungsschutz) insgesamt zugreifen können?
  2. Wenn ja, um wie viele Dateien und Datenbänke handelt es sich dabei insgesamt?
  3. Bei welchen Dateien haben Betroffene die Möglichkeit abzufragen welche Informationen über sie gespeichert werden?
  4. In welchen Dateien, Verbunddateien, Projektdateien des Bundes und / oder der Länder wurden z.B. die eingekesselten Personen anlässlich des Castor-Transports in Pudripp am 10.11.2006 gespeichert?
  5. Welche Möglichkeiten haben Bürger und Bürgerinnen hinsichtlich der Kontrolle und Löschung  ihrer  erfassten und gespeicherten Daten, wenn diese an andere Staaten, EU und  nicht EU-Mitglieder, weiter gegeben werden?
  6. An welche niedersächsische oder bundesdeutsche Behörde müssen sich Bürger wenden, um in Erfahrung zu bringen, an welche zuständige Behörde sie sich im Drittstaat wenden müssen, um Informationen über ihren Datenbestand zu bekommen, wenn der Drittstaat personenbezogene Daten aus Deutschland erhalten hat?
  7. Wie viele Fälle von rechtlich unzulässigen Speicherungen von Daten von Personen hat es in den letzen 5 Jahren in Niedersachsen gegeben?
  8. Sind bei unrechtmäßiger Datenspeicherung den betroffenen Personen durch die Speicherung Nachteile entstanden – wenn ja, welche und wie wurden sie entschädigt?
  9. Wie werden die gesetzlich vorgeschriebenen Löschprüfpflichten von staatlichen Datensätzen kontrolliert und umgesetzt?
  10. Kommt es nach § 486 STPO i.V. mit § 20 Justizmitteilungsgesetz zu einer definitiven Mitteilung an die Polizei, wie das erkennende Gericht einen Strafprozess entschieden hat?
  11. Wie verhindert die Landesregierung, dass es zu rechtlich unzulässigen Verdachtsspeicherungen kommt, also Personen weiterhin in elektronischen oder anderweitigen Kriminalakten geführt werden, obwohl das gerichtliche Verfahren keine Verurteilung nach sich gezogen hat?
  12. Werden bei der computergestützten Übermittlung von personenbezogenen Daten zwischen Behörden stets Verschlüsselungstechniken angewendet?
  13. Welche technischen Prinzipien und Sicherungen der Zugangskontrolle zu staatlichen Datenbänken werden in Niedersachsen praktiziert?
  14. Welche technischen Sicherungen gegen unbefugtes Kopieren und Verwenden von Datenbänken mit personenbezogenen Datensätzen werden in Niedersachsen praktiziert? 
  15. Welche weiteren Dateien und Datenbänke zur Speicherung persönlichkeitsrelevanter Merkmale plant die Landesregierung in dieser Legislatur?
  16. Ist stets gewährleistet, dass bei einer weiteren Einrichtung einer Datei / Datenbank die niedersächsische Datenschutzbehörde einbezogen wird?
  17. Ist stets gewährleistet, dass bei einer weiteren Einrichtung einer Datei / Datenbank der gerichtliche Rechtsschutz für betroffene Personen offen steht?

Stefan Wenzel

Fraktionsvorsitzender

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