Gesetzentwurf zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in der Niedersächsischen Verfassung

Artikel 1

Änderung der Niedersächsischen Verfassung

Artikel 4a der Niedersächsischen Verfassung vom 19. Mai 1993 (Nds. GVBl. S. 107), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 10. Dezember 2020 (Nds. GVBl. S. 464), enthält folgende Fassung:

Artikel 4a

Rechte von Kindern und Jugendlichen

(1)    Kinder und Jugendliche haben als eigenständige Personen das Recht auf Achtung ihrer Würde, auf gewaltfreie Erziehung und auf Förderung ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten zur bestmöglichen Entfaltung ihrer Persönlichkeit.

(2)    1Kinder und Jugendliche haben das Recht auf Beteiligung in Angelegenheiten, die es betreffen. 2Ihre Meinung ist entsprechend ihrem Alter und ihrer Entwicklung in angemessener Weise zu berücksichtigen.

(3)    1Wer Kinder und Jugendliche erzieht, hat Anspruch auf angemessene staatliche Hilfe und Rücksichtnahme. 2Staat und Gesellschaft tragen für altersgerechte Lebensbedingungen Sorge.

(4)    Kinder und Jugendliche sind vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung und Misshandlung zu schützen.

(5)    Dem Kindeswohl kommt bei allem staatlichen Handeln, das die Rechte und Interessen von Kindern berührt, vorrangige Bedeutung zu.

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.

 

Begründung

A.      Allgemeiner Teil

Am 5. April 1992 trat die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) in Deutschland in Kraft. Mit ihren insgesamt 54 Artikel stellt sie ein umfassendes Regelwerk zum Schutz von Kindern weltweit dar. Sie basiert auf vier Grundprinzipien: dem Diskriminierungsverbot, dem Recht auf Leben und persönliche Entwicklung, dem Beteiligungsrecht und dem Kindeswohlvorrang.

Die Rechte von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen sind durch die Landesgesetzgebung, die Rechtsprechung und Verwaltung noch keineswegs ausreichend gesichert: So gibt es Defizite und entsprechende Handlungsbedarfe etwa bei der Bekämpfung der Kinderarmut, bei den Bildungschancen, beim Schutz vor sexualisierter Gewalt, beim Schutz vor Schadstoffen, bei der kindgerechten Stadt-und Verkehrsplanung, beim Baurecht und in vielen weiteren Bereichen. Auch bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie haben die Rechte von Kindern und Jugendlichen nicht hinreichend Berücksichtigung gefunden.

Artikel 4 der UN-KRK verpflichtet die Vertragsstaaten unter anderem dazu, geeignete Gesetzgebungsmaßnahmen zur Verwirklichung der Kinderrechte vorzunehmen. Die Monitoringstelle zur Umsetzung der UN-KRK in Deutschland weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz und in den Verfassungen der Bundesländer unter Berücksichtigung der vier Grundprinzipien erfolgen sollte, um Kinderrechte umfassend im Sinne der UN-KRK zu sichern.

In Artikel 4a der Niedersächsischen Verfassung sind zwar bereits das Recht auf Achtung der Würde von Kindern und Jugendlichen und auf gewaltfreie Erziehung, sowie der Schutz von Vernachlässigung und Misshandlung geregelt. Den vier Grundprinzipien der UN-KRK trägt die Niedersächsische Verfassung damit jedoch noch nicht umfassend Rechnung. Insbesondere im Verwaltungshandeln entstehen deshalb immer wieder Defizite bei der Umsetzung der in der UN-KRK festgeschriebenen Rechte.

II. Voraussichtliche Kosten und haushaltsmäßige Auswirkungen

Es können geringfügige haushalterische Mehrausgaben für Land und Kommunen zur Etablierung echter Beteiligungsformate anfallen.

B.      Besonderer Teil

Durch die Änderung des Titels wird die umfassende Regelung von Kinderrechten in der Niedersächsischen Verfassung hervorgehoben.

zu Absatz 1:

Absatz 1 wird ergänzt um das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Förderung ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten zur bestmöglichen Entfaltung ihrer Persönlichkeit.

Dieses Recht verpflichtet den Gesetzgeber in Anlehnung an die Terminologie des Bundesverfassungsgerichts, Lebensbedingungen zu sichern, die für ein gesundes Aufwachsen erforderlich sind, und die Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu ermöglichen (zuletzt BVerfGE 133, 59, Rn. 42 – st. Rspr.). Es ist weit zu verstehen und umfasst z. B. auch das Recht auf Bildung, Gesundheitsversorgung, soziale Sicherheit, Freizeit und Spiel. Die Persönlichkeit, die wachsende Selbständigkeit von Kindern und Jugendlichen und die zunehmende Selbstbestimmungs- und Selbstverantwortungsfähigkeit sind dabei zu achten und zu berücksichtigen.

zu Absatz 2:

Neu eigenfügt wird das Recht auf Beteiligung gemäß Artikel 12 der UN-KRK. Er sichert Kindern das Recht zu, ihre Meinung in allen Angelegenheiten frei zu äußern, die sie betreffen. Das Alter und die Reife des Kindes sollen dabei angemessen berücksichtigt werden. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist zentraler Wert einer demokratischen Gesellschaft und demnach nicht nur Aufgabe der Eltern, sondern auch der staatlichen Gemeinschaft. Sie gilt gleichsam für alle Kinder im täglichen Handeln aller staatlichen Institutionen.

zu Absatz 3:

Der bisherige Absatz 2 wird zu Absatz 3.

zu Absatz 4:

Der bisherige Absatz 3 wird zu Absatz 4.

zu Absatz 5:

Neu hinzu kommt mit Absatz 5 das Recht auf Vorrang des Kindeswohls in Anlehnung an Artikel 3 der UN-KRK. Es verdeutlicht die Verantwortung des Staates, sich bei der Wahrnehmung seiner Rechte und Pflichten gegenüber Kindern am Vorrang des Kindeswohls orientieren. Das Kindeswohl ist demnach bei allen Entscheidungen, die Kinder betreffen, nicht nur in die Entscheidung einzubeziehen, ihm muss vielmehr eine besonders herausgehobene Bedeutung zukommen.

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