Gesetzentwurf: Niedersächsisches Gesetz über die Versammlungsfreiheit (NdsVfG)

Der Landtag wolle das folgende Gesetz beschließen:

Artikel 1

Niedersächsisches Versammlungsfreiheitsgesetz

Abschnitt I

Allgemeines

§ 1 Versammlungsfreiheit

(1) Jedermann hat das Recht, friedlich und ohne Waffen öffentliche Versammlungen zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen.

(2) Versammlungen im Sinne dieses Gesetzes sind Zusammenkünfte von mindestens zwei Personen, die gemeinschaftlich auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung abzielen.

(3) Eine Versammlung ist öffentlich, wenn die Teilnahme nicht auf einen individuell feststehenden Personenkreis beschränkt ist. Dieses Gesetz gilt für öffentliche Versammlungen.

(4) Der Schutz der Versammlungsfreiheit ist  Aufgabe aller staatlichen Organe und Institutionen.

(5) Öffentliche Versammlungen finden in geschlossenen Räumen statt, wenn der Versammlungsort einen Eingang hat.

(6) Für Amtshandlungen nach diesem Gesetz werden keine Kosten erhoben.

(7) Das Recht auf Versammlung hat nicht,

  1. wer das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 18 des Grundgesetzes verwirkt hat,
  2.  wer mit der Durchführung oder Teilnahme an einer solchen Veranstaltung die Ziele einer nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei oder Teil- oder Ersatzorganisation einer Partei fördern will,
  3. eine Partei, die nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist, oder
  4. eine Vereinigung, die nach Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes verboten ist.

§ 2  Versammlung und Friedlichkeitsgebot

(1) Wer zu einer öffentlichen Versammlung öffentlich einlädt, muss als VeranstalterIn in der Einladung den Namen angeben. 

(2) Bei öffentlichen Versammlungen sind Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern.

(3) Niemand darf bei öffentlichen Versammlungen Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder zur Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, mit sich führen, ohne dazu behördlich ermächtigt zu sein. Ebenso ist es verboten, ohne behördliche Ermächtigung Waffen oder die in Satz 1 genannten Gegenstände unmittelbar auf dem Wegzu derartigen Veranstaltungen hinzuschaffen oder sie zur Verwendung bei derartigen Veranstaltungen bereitzuhalten oder zu verteilen.

§ 3 Uniformverbot

Es ist verboten, in einer öffentlichen Versammlung Uniformen, Uniformteile oder uniformähnliche Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen, sofern davon eine einschüchternde Wirkung ausgeht.

§ 4 Polizei

Aufgabe der Polizei ist der Schutz der Versammlungsfreiheit. Werden  PolizistInnen in eine öffentliche Versammlung entsandt, so haben sie sich der Versammlungsleitung unverzüglich und unaufgefordert zu erkennen zu geben. Es muss ihnen angemessener Platz eingeräumt werden. Die Polizeibeamten müssen als solche erkennbar sein und Namensschilder tragen oder durch eine anderweitige Kennzeichnung für die TeilnehmerInnen identifizierbar sein. Die Polizei kann TeilnehmerInnen von der Versammlung ausschließen, wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet ist. Die Auflösung der Versammlung ist nur dann zulässig, wenn andere Maßnahmen ausgeschöpft und unwirksam sind.

§ 5 Bild- und Tonaufnahmen

(1) Die Polizei darf offene Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern einer Versammlung nur dann anfertigen, wenn Tatsachen vorliegen, dass von ihnen erhebliche gegenwärtige Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgehen. Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden. Die Aufnahmen sind unverzüglich nach Beendigung der öffentlichen Versammlung zu vernichten, soweit sie nicht zur Verfolgung von Straftaten von Teilnehmerinnen und Teilnehmern benötigt werden.

(2) Die Befugnisse zur Erhebung personenbezogener Daten  nach Maßgabe der Strafprozessordnung und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten bleiben unberührt.

(3) Die Polizei hat  Aufnahmen gegen den Willen von VersammlungsteilnehmerInnen auf deren Verlangen  durch Dritte zu unterbinden. Das Presserecht bleibt unberührt.

Abschnitt II

Öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen

§ 6 Versammlungsverbote

Die Abhaltung einer Versammlung kann nur im Einzelfall und nur dann verboten werden, wenn

  1. der oder die VeranstalterIn unter die Vorschriften des § 1 Abs. 7 Nr. 1 bis 4 fällt,
  2. der oder die VeranstalterIn oder LeiterIn der Versammlung TeilnehmerInnen Zutritt gewährt, die Waffen oder sonstige Gegenstände im Sinne von § 2 Abs. 3 mit sich führen,
  3. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der oder die VeranstalterIn einen gewalttätigen Verlauf der Versammlung anstreben,
  4. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der oder die VeranstalterIn oder sein / ihr  Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben.

§ 7 Ausschluss und Presse

(1) Bestimmte Personen oder Personenkreise können in der Einladung von der Teilnahme an einer Versammlung ausgeschlossen werden.

(2) PressevertreterInnen können nicht ausgeschlossen werden. Sie haben sich unverzüglich zu erkennen zu geben und auf Verlangen der Leitung der Versammlung gegenüber durch ihren Presseausweis ordnungsgemäß auszuweisen.

(3) Die Polizei ist verpflichtet, den Vertreterinnen und Vertretern der Presse die Berichterstattung über Versammlungen zu ermöglichen und ihnen auch den Zutritt zu polizeilich abgesperrten Bereichen zu gewähren, soweit dieses nicht aus wichtigen Gründen der öffentlichen Sicherheit unmöglich ist.

§ 8  Versammlungsleitung

(1) Jede öffentliche Versammlung muss eine Versammlungsleitung haben. Das gilt nicht wenn sich die Versammlung aus einem unmittelbaren Anlass spontan und ohne Veranstalter entwickelt (Spontanversammlung) oder die Versammlung beschließt keine Leitung zu bestimmen.

(2) Ansonsten ist Leiter oder Leiterin der Versammlung der Veranstalter oder die Veranstalterin.   

(3) Der Veranstalter oder die Veranstalterin kann die Leitung einer anderen Person übertragen.

(4) Der Leiter oder die Leiterin übt das Hausrecht aus.

§ 9 Versammlungsdurchführung

(1) Die Versammlungsleitung bestimmt den Ablauf der Versammlung. Sie hat während der Veranstaltung für Ordnung zu sorgen. Sie kann die Versammlung jederzeit unterbrechen oder schließen. Sie bestimmt, wann eine unterbrochene Versammlung fortgesetzt wird.

(2) Alle VersammlungsteilnehmerInnen sind verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anweisungen der Versammlungsleitungoder der von ihr bestellten OrdnerInnen zu befolgen.

(3) Die Versammlungsleitung kann Personen, die die Ordnung der Versammlung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen. Wer aus der Versammlung ausgeschlossen worden ist, hat sie sofort zu verlassen.

§ 10 Ordner

(1) Die Versammlungsleitung kann sich bei der Durchführung ihrer Rechte aus § 9 der Hilfe einer angemessenen Zahl ehrenamtlicher OrdnerInnen bedienen. Diese dürfen keine Waffen oder sonstige Gegenstände im Sinne vom § 2 Abs. 3 mit sich führen und müssen in ihrer Ordnerfunktion durch eine neutrale Kennzeichnung gut erkennbar sein. Die OrdnerInnen müssen mindestens 14 Jahre alt sein. Die zuständige Behörde kann Volljährigkeit verlangen, sofern begründete Tatsachen vorliegen, dass an der Geeignetheit  Zweifel bestehen.

(2) Die Versammlungsleitung ist verpflichtet, die Zahl der von ihr bestellten OrdnerInnen der Polizei auf Anforderung mitzuteilen. Die Polizei kann die Zahl der OrdnerInnen angemessen beschränken.

§ 11 Versammlungsauflösung

Die Polizei kann die Versammlung nur dann und unter Angabe des Grundes auflösen, wenn

  1. der Veranstalter oder die Veranstalterin das Recht der Versammlungsfreiheit nach Maßgabe dieses Gesetzes nicht hat,
  2. die Versammlung einen gewalttätigen Verlauf nimmt oder unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit der TeilnehmerInnen besteht,
  3. durch den Verlauf der Versammlung gegen Strafgesetze verstoßen wird, die ein Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben, oder wenn in der Versammlung zu solchen Straftaten aufgefordert oder angereizt wird und die Leitung dies nicht unverzüglich unterbindet.

In den Fällen der Nummern 2 bis 3 ist die Auflösung nur zulässig, wenn andere polizeiliche Maßnahmen, insbesondere eine Unterbrechung,  nicht ausreichen.

Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, haben alle TeilnehmerInnen sich sofort zu entfernen.

Abschnitt III

Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel

§ 12 Anmeldung

(1) Die Planung der Durchführung einer öffentlichen Versammlung außerhalb geschlossener Räume soll möglichst frühzeitig, muss spätestens aber 48 Stunden vor Veranstaltungsbeginn, bei den  zuständigen Behörden angemeldet werden. Wird eine Versammlung angemeldet, sind die zuständigen Behörden angehalten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten geeignete Maßnahmen durchzuführen, um die freie und sichere Durchführung der Versammlung zu gewährleisten. Der Veranstalter oder die Veranstalterin soll mit den zuständigen Behörden kooperieren.

(2) In der Anmeldung ist anzugeben, welche Person für die Leitung der Versammlung verantwortlich sein soll.

§ 13 Verbot und Auflagen  

(1) Die zuständige Behörde kann die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.

(2) Eine Versammlung kann insbesondere verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn

  1. die Versammlung im Umkreis eines Ort stattfindet, der als Gedenkstätte von zentraler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert, und
  2.  nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung konkret feststellbaren Umständen zu besorgen ist, dass durch die Versammlung die Würde der Opfer beeinträchtigt wird.

 (3) Die zuständige Behörde kann eine Versammlung auflösen,

  1.  wenn sie nicht angemeldet ist, es sein denn es handelt sich um eine Spontanversammlung nach § 8 Abs. 1
  2. wenn von den Angaben der Anmeldung wesentlich abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird,
  3.  wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Absatz 1 oder  2 gegeben sind.

(4) Eine verbotene Veranstaltung ist aufzulösen.

§ 14 Verbote

(1) Es ist verboten, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder auf dem unmittelbaren Wegdorthin

  1. Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers oder einer Trägerin von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich zu führen, oder
  2. an derartigen Veranstaltungen in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilzunehmen.

(2) Die zuständige Behörde kann Ausnahmen von den Verboten der Absätze 1 und 2 zulassen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht zu besorgen ist und individuelle Schutzgründe geltend gemacht werden.  

(3) Die zuständige Behörde kann zur Durchsetzung der Verbote des Abs. 1 Anordnungen treffen. Sie kann Personen, die diesen Verboten zuwiderhandeln, von der Veranstaltung ausschließen. Sie kann Ausnahmen von den Verboten des Abs. 1 zulassen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht zu besorgen ist.

§ 15 Anwendung von Vorschriften des Abschnitts II

Für Versammlungen unter freiem Himmel sind § 7 Abs. 3, § 8 Abs. 1, § 9, § 10 Abs. 1, § 11, entsprechend anzuwenden.

§ 16 Grundrechtseinschränkung

Das Grundrecht des Artikels 8  wird durch die Bestimmungen dieses Abschnitts eingeschränkt.

Abschnitt IV

Straf- und Bußgeldvorschriften

§ 17

Wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

§ 18

Wer bei einer öffentlichen Versammlung der Versammlungsleitung oder einem Ordner oder einer Ordnerin  in der rechtmäßigen Ausübung seiner oder ihrer Ordnungsbefugnisse mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn oder sie während der rechtmäßigen Ausübung seiner oder ihrer Ordnungsbefugnisse tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

§ 19

Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder anderen Darstellungen zur Teilnahme an einer öffentlichen Versammlung auffordert, nachdem die Durchführung durch ein vollziehbares Verbot untersagt oder die Auflösung angeordnet worden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

§ 20

Wer alsVersammlungsleitung einer öffentlichen Versammlung OrdnerInnen verwendet, die Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, mit sich führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

§ 21

Wer alsVersammlungsleitung einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel

  1.  die Versammlung wesentlich anders durchführt, als die Veranstalter bei der Anmeldung angegeben haben, oder
  2. durch die Behörde auferlegten Auflagen  nicht nachkommt,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bestraft.

§ 22

Wer als VeranstalterIn oder VersammlungsleiterIn

  1.  eine öffentliche Versammlung trotz vollziehbaren Verbots durchführt oder trotz Auflösung oder Unterbrechung durch die Polizei fortsetzt oder
  2. eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel ohne Anmeldung durchführt, obwohl eine Anmeldung zeitlich möglich war, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

§ 23

(1) Wer bei öffentlichen Versammlungen Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, mit sich führt, ohne dazu behördlich ermächtigt zu sein, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso

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