Gesetzentwurf Bürgerbegehren: Gesetz zur Änderung der Niedersächsischen Gemeindeordnung und der Niedersächsischen Landkreisordnung

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Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Hannover, den 18.05.04

Der Landtag wolle das folgende Gesetz beschließen:

Artikel 1
Änderung der Niedersächsischen Gemeindeordnung
In der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 1996 (Nds. GVBl. S. 382). Zuletzt geändert durch § 22 des Gesetzes vom 19.02.2004 (Nds. GVBl. S. 63)
1. In Abs. 1 werden nach dem Wort "Angelegenheiten" die Worte "des eigenen Wirkungs-kreis" eingefügt.
2. Abs. 2 erhält folgende Fassung:
"(2) Ein Bürgerbegehren muss in Gemeinden
bis zu 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner von mindestens 10 v.H.,
bis zu 20.000 Einwohnerinnen und Einwohner von mindestens 9 v.H.,
bis zu 30.000 Einwohnerinnen und Einwohner von mindestens 8 v.H.,
bis zu 50.000 Einwohnerinnen und Einwohner von mindestens 7 v.H.,
bis zu 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner von mindestens 6 v.H.,
bis zu 500.000 Einwohnerinnen und Einwohner von mindestens 5 v.H.,
mit mehr als 500.000 Einwohnerinnen und Einwohner von mindestens 3 v.H.
der Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde unterschrieben sein.
3. Abs. 3 erhält folgende Fassung:
"(3) Gegenstand eines Bürgerbegehrens können nur Angelegenheiten des eigenen Wir-kungskreises sein, für die der Rat nach § 40 Abs. 1 zuständig ist oder für die er sich die Beschlussfassung nach § 40 Abs. 2 Sätze 1 und 2 vorbehalten kann und zu denen nicht innerhalb der letzten zwei Jahre ein Bürgerentscheid durchgeführt worden ist. Ein Bürger-entscheid findet nicht statt über Fragen der inneren Organisation der Gemeindeverwal-tung, über die Rechtsverhältnisse der Gemeinderatsmitglieder, der Bürgermeister und der Gemeindebediensteten und über die Haushaltssatzung."
4. In Abs. 4 erhält Satz 2 folgenden Fassung:
"Die Verwaltung soll die Initiatoren eines Bürgerbegehrens hinsichtlich der formel-len Anforderungen beraten."
5. Abs. 5 erhält folgende Fassung:
"(5) Das Bürgerbegehren kann nur von Personen unterzeichnet werden, die am Tage der Einreichung des Bürgerbegehrens Bürgerinnen oder Bürger der Gemeinde sind. Für die Feststellung der Zahl der gültigen Unterschriften ist die bei der letzten Kommunalwahl festgestellte Zahl maßgeblich."
6. Die Absätze 6 bis 13 erhalten folgende Fassungen:
a) "(6) Über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens entscheidet der Rat unverzüg-lich, spätestens innerhalb eines Monats nach Einreichung des Bürgerbegehrens. Gegen die Entscheidung können die vertretungsberechtigten Personen des Bürgerbegehrens ohne Vorverfahren Klage erheben.
b) "(7) Ist die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt, darf bis zur Durchfüh-rung des Bürgerentscheids eine dem Begehren entgegenstehende Entscheidung der Gemeindeorgane nicht mehr getroffen oder mit dem Vollzug einer derartigen Entscheidung nicht mehr begonnen werden, es sei denn, zu diesem Zeitpunkt haben rechtliche Verpflichtungen der Gemeinde hierzu bestanden."
c) "(8) Der Bürgerentscheid ist innerhalb von sechs Monaten nach der Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens durchzuführen; der Rat kann die Frist im Einvernehmen mit den vertretungsberechtigten Personen des Bürgerbegehrens um höchstens drei Monate verlängern. Die Kosten des Bürgerentscheids trägt die Gemeinde. Stimmberechtigt sind die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde. Die Möglichkeit der brieflichen Abstimmung ist zu gewährleisten."
d) "(9) Bei einem Bürgerentscheid ist die gestellte Frage in dem Sinne entschieden, in dem sie von der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen beantwortet wurde, sofern diese Mehrheit in Gemeinden
bis zu 50.000 Einwohnern mindestens 20 v.H.,
bis zu 100.000 Einwohnern mindestens 15 v.H.,
mit mehr als 100.000 Einwohnern mindestens 10.v.H.
der Stimmberechtigten beträgt. Bei Stimmengleichheit gilt die Frage als mit Nein beantwortet. Sollen an einem Tag mehrere Bürgerentscheide stattfinden, hat der Rat eine Stichfrage für den Fall zu beschließen, dass die gleichzeitig zur Ab-stimmung gestellten Fragen in einer miteinander nicht zu vereinbarenden Weise beantwortet werden (Stichentscheid). Es gilt dann diejenige Entscheidung, für die sich im Stichentscheid die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen aus-spricht. Bei Stimmengleichheit im Stichentscheid gilt der Bürgerentscheid, des-sen Frage mit der höchsten Stimmenzahl mehrheitlich beantwortet worden ist."
e) "(10) Der Bürgerentscheid hat die Wirkung eines Beschlusses des Rates. Der Bürgerentscheid kann innerhalb eines Jahres nur durch einen neuen Bürgerent-scheid abgeändert werden, es sei denn, dass sich die dem Bürgerentscheid zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage wesentlich geändert hat."
f) "(11) Der Bürgerentscheid entfällt, wenn der Rat die Durchführung der mit dem Bürgerbegehren verlangten Maßnahme beschließt. Für einen Beschluss nach Satz 1 gilt die Bindungswirkung des Absatzes 10 Satz 2 entsprechend."
g) "(12) Die im Rat und die von den vertretungsberechtigten Personen des Bürger-begehrens vertretenen Auffassungen zum Gegenstand des Bürgerentscheids dürfen in Veröffentlichungen und Veranstaltungen der Gemeinde nur in gleichem Umfang dargestellt werden. Zur Information der Bürgerinnen und Bürger werden von der Gemeinde den Beteiligten die gleichen Möglichkeiten wie bei der Wahl der Ratsfrauen und Ratsherren eröffnet."
h) "(13) Das Ergebnis des Bürgerentscheids ist in der Gemeinde in der ortsübli-chen Weise bekannt zu machen."
7. Es werden folgende Absätze14 und 15 angefügt:
a) "(14) Die Gemeinden können das Nähere durch Satzung regeln. Das Recht auf freies Unterschriftensammeln darf nicht eingeschränkt werden."
b) "(15) Sind in einer Gemeinde Stadtbezirke oder Ortschaften eingerichtet worden, so können dort in Angelegenheiten, über die der Stadtbezirksrat oder der Ortsrat entscheidet, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid stattfinden. Die Absätze 1 bis 14 gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle
1. der Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde die in dem Stadtbezirk oder der Ortschaft wohnhaften Bürgerinnen und Bürger,
2. der Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde die in dem Stadtbe-zirk oder der Ortschaft wohnhaften Einwohnerinnen und Einwohner und
3. des Rates der Stadtbezirksrat und der Ortsrat treten
Artikel 2
Änderung der Niedersächsischen Landkreisordnung
In der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 1996 (Nds. GVBl. S.). Zuletzt geändert durch Artikel 15 des Gesetzes vom 20. November 2001 (Nds. GVBl. S. 701)
1. § 17b Abs. 2 erhält folgende Fassung:
"(2) Für das Bürgerbegehren sind erforderlich die Unterschriften von
mindestens 6 v.H. der zur Wahl des Kreistages berechtigten Einwohnerinnen und Einwohner in Landkreisen mit bis zu 100.000 Einwohnerinnen und Einwoh-nern,
mindestens 5 v.H. der zur Wahl des Kreistages berechtigten Einwohnerinnen und Einwohner in Landkreisen mit mehr als 100.000 Einwohnerinnen und Ein-wohnern.
§ 17 a Abs. 3 gilt entsprechend."
2. Abs. 3 erhält folgende Fassung:
"(3) Gegenstand eines Bürgerbegehrens können nur Angelegenheiten des eigenen Wir-kungskreises sein, für die der Kreistag nach § 36 Abs. 1 zuständig ist oder für die er sich die Beschlussfassung nach § 36 Abs. 2 Sätze 1 und 2 vorbehalten kann und zu denen nicht innerhalb der letzten zwei Jahre ein Bürgerentscheid durchgeführt worden ist. Ein Bürgerentscheid findet nicht statt über Fragen der inneren Organisation der Kreisverwal-tung, über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Kreistags, der Bürgermeister und der Landkreisbediensteten und über die Haushaltssatzung."
2. In Abs. 4 erhält Satz 2 folgende Fassung:
"Die Verwaltung soll die Initiatoren eines Bürgerbegehrens hinsichtlich der formel-len Anforderungen beraten."
3. Abs. 5 erhält folgende Fassung:
"(5) Das Bürgerbegehren kann nur von Personen unterzeichnet werden, die am Tage der Einreichung des Bürgerbegehrens Bürgerinnen oder Bürger des Landkreises sind. Für die Feststellung der Zahl der gültigen Unterschriften ist die bei der letzten Kommunalwahl festgestellte Zahl maßgeblich."
4. Die Absätze 6 bis 13 erhalten folgende Fassungen:
a) "(6) Über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens entscheidet der Kreistag unver-züglich, spätestens innerhalb eines Monats nach Einreichung des Bürgerbegeh-rens. Gegen die Entscheidung können die vertretungsberechtigten Personen des Bürgerbegehrens ohne Vorverfahren Klage erheben.
b) "(7) Ist die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt, darf bis zur Durchfüh-rung des Bürgerentscheids eine dem Begehren entgegenstehende Entscheidung der Landkreisorgane nicht mehr getroffen oder mit dem Vollzug einer derartigen Entscheidung nicht mehr begonnen werden, es sei denn, zu diesem Zeitpunkt haben rechtliche Verpflichtungen des Landkreis hierzu bestanden."
c) "(8) Der Bürgerentscheid ist innerhalb von sechs Monaten nach der Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens durchzuführen; der Rat kann die Frist im Einvernehmen mit den vertretungsberechtigten Personen des Bürgerbegehrens um höchstens drei Monate verlängern. Die Kosten des Bürgerentscheids trägt der Landkreis. Stimmberechtigt sind die Bürgerinnen und Bürger des Landkrei-ses. Die Möglichkeit der brieflichen Abstimmung ist zu gewährleisten."
d) "(9) Bei einem Bürgerentscheid ist die gestellte Frage in dem Sinne entschieden, in dem sie von der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen beantwortet wurde, sofern diese Mehrheit in Landkreisen
bis zu 50.000 Einwohnern mindestens 20 v.H.,
bis zu 100.000 Einwohnern mindestens 15 v.H.,
mit mehr als 100.000 Einwohnern mindestens 10.v.H.
der Stimmberechtigten beträgt. Bei Stimmengleichheit gilt die Frage als mit Nein beantwortet. Sollen an einem Tag mehrere Bürgerentscheide stattfinden, hat der Kreistag eine Stichfrage für den Fall zu beschließen, dass die gleichzeitig zur Abstimmung gestellten Fragen in einer miteinander nicht zu vereinbarenden Weise beantwortet werden (Stichentscheid). Es gilt dann diejenige Entschei-dung, für die sich im Stichentscheid die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen ausspricht. Bei Stimmengleichheit im Stichentscheid gilt der Bürgerent-scheid, dessen Frage mit der höchsten Stimmenzahl mehrheitlich beantwortet worden ist."
e) "(10) Der Bürgerentscheid hat die Wirkung eines Beschlusses des Landkreista-ges. Der Bürgerentscheid kann innerhalb eines Jahres nur durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden, es sei denn, dass sich die dem Bürgerent-scheid zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage wesentlich geändert hat."
f) "(11) Der Bürgerentscheid entfällt, wenn der Landkreistag die Durchführung der mit dem Bürgerbegehren verlangten Maßnahme beschließt. Für einen Beschluss nach Satz 1 gilt die Bindungswirkung des Absatzes 10 Satz 2 entsprechend."
g) "(12) Die im Landkreistag und die von den vertretungsberechtigten Personen des Bürgerbegehrens vertretenen Auffassungen zum Gegenstand des Bürgerent-scheids dürfen in Veröffentlichungen und Veranstaltungen des Landkreis nur in gleichem Umfang dargestellt werden. Zur Information der Bürgerinnen und Bür-ger werden von dem Landkreis den Beteiligten die gleichen Möglichkeiten wie bei der Wahl der Kreistagsabgeordneten eröffnet."
h) "(13) Das Ergebnis des Bürgerentscheids ist in dem Landkreis in der ortsübli-chen Weise bekannt zu machen."
5. Es werden folgende Absätze14 und 15 angefügt:
"(14) Die Landkreise können das Nähere durch Satzung regeln. Das Recht auf freies Unterschriftensammeln darf nicht eingeschränkt werden."

Begründung
Bei der intensivierten Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an den sie unmittelbar betreffenden Entscheidungsprozessen durch Elemente direkter Demokratie hat Niedersachsen auch auf der kommunalen Ebene noch immer erheblichen Nachholbedarf. Seit 1996 sind zwar auch in den Nie-dersächsischen Städten, Gemeinden und Landkreisen grundsätzlich Bürgerbegehren und Bürger-entscheide zugelassen. Die hierzu bestehenden Regelungen in § 22 b der Niedersächsischen Gemeindeordnung und § 17 b der Niedersächsischen Landkreisordnung sind aber gekennzeichnet durch eine Vielzahl von Ausschlusstatbeständen und Verfahrenshürden, die bislang eine nen-nenswerte Praxis von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden verhinderten. Im Unterschied hierzu zeigen die entsprechenden Regelungen in Bayern – durchgesetzt mit einem Volksentscheid gegen die CSU –dass es möglich ist, auf Ausschlusstatbestände etwa für Bauleitpläne oder Planfeststel-lungsverfahren und auf Verfahrenshürden wie ein Zustimmungsquorum von 25% (d.h. mindestens 25% der Abstimmungsberechtigten müssen für das Bürgerbegehren stimmen) zu verzichten. Die-se bürgerfreundlichen Regelungen haben zu einem deutlichen Anstieg der direktdemokratischen Beteiligung der Bevölkerung an den kommunalpolitischen Entscheidungen in diesen Bundeslän-dern geführt. Die meisten der dabei erfolgreichen Verfahren wären in Niedersachsen schon wegen ihrer Thematik als unzulässig verworfen worden oder an den hohen Verfahrenshürden gescheitert. Teilweise sind die niedersächsischen Regelungen auch gesetzestechnisch verfehlt und deshalb zu korrigieren.

Das in diesen Ausschlusstatbeständen ausgedrückte Misstrauen in die Urteilskraft der Bürgerin-nen und Bürger ist nicht gerechtfertigt. In Hessen, in Sachsen und in Bayern sind auch Bauleitplä-ne und Planfeststellungen bürgerentscheidsfähig und gerade diese Regelung hat erheblich dazu beigetragen, dass Bürgerinnen und Bürger aktiv werden und sich für kommunale Belange engagie-ren. Daran orientiert sich der Regelungsvorschlag.

Das Zustimmungsquorum von 25 Prozent der Abstimmungsberechtigten ist ein demokratischer Fremdkörper. Es wirkt wie eine "Aufforderung zum Weiterschlafen" und führt selbst in den Fällen, in denen sich eine deutliche Mehrheit der Abstimmenden für die Annahme des Bürgerentscheids ausspricht, häufig zu dessen Scheitern. Die Gegner des Begehrens sind oft bereits dadurch erfolg-reich, dass sie sich der Diskussion verweigern oder zum Abstimmungsboykott aufrufen. Es fällt eben leichter, zu Hause zu bleiben, als das Abstimmungslokal aufzusuchen. Erst recht ist die Ver-hinderungswirkung des Zustimmungsquorums in größeren Städten und Landkreisen zu beobach-ten, weil die Fragestellung dann häufig nur einen Teil des Stadt- bzw. Kreisgebiets wirklich betrifft. Mehrere niedersächsische Wahlergebnisse zu den Direktwahlen des hauptamtlichen Bürgermeis-ters belegen, dass für den hauptamtlichen Bürgermeister mitunter eine geringere Zustimmung in der Wahlbevölkerung erforderlich ist als für die Annahme eines Bürgerentscheids.

In Ländern mit langer demokratischer Tradition wie den USA und der Schweiz ist es völlig selbst-verständlich, dass Wahlen und Abstimmungen an einem Tage erfolgen können. Es ist nicht er-sichtlich, welche Missbrauchsmöglichkeiten sich aus dem Zusammenfallen von Kommunalwahl und Bürgerentscheid eröffnen sollen. Vielfach wird aus dem Verbot auch geschlossen, dass Bür-gerentscheide nicht mit Landtags-, Bundestags- und Europawahlen zusammengelegt werden dür-fen, obwohl hier eine Beeinflussung erst recht nicht zu erwarten ist. Eine Zusammenlegung von Wahlen und Abstimmungen kann zudem zu erheblichen Kosteneinsparungen und organisatori-schen Erleichterungen führen.

Fraktionsvorsitzender

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