Gesetz zur Neufassung der Diskriminierungsverbote in der Niedersächsischen Verfassung

Der Landtag wolle das folgende Gesetz beschließen:

Gesetz zur Neufassung der Diskriminierungsverbote in der Niedersächsischen Verfassung

Artikel 1

Änderung der Niedersächsischen Verfassung

Artikel 3 Abs. 3 der Niedersächsischen Verfassung vom 19. Mai 1993 (Nds. GVBl. S. 107), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Juni 2011 (Nds. GVBl. S. 210), erhält folgende Fassung:

„(3) Niemand darf rassistisch oder wegen des Geschlechts, der Abstammung, Sprache, Heimat und Herkunft, des Glaubens, der sexuellen Identität, der religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden.“

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.

 

Begründung

Anlass und Ziel des Gesetzes

1.      Zu Artikel 1

a)      Ersetzung des Begriffes „Rasse“ durch „rassistisch“

Um wirksam gegen Rassismus vorzugehen, bedarf es einer Änderung der niedersächsischen Verfassung.

Seit dem 18. Jahrhundert wurden mit dem Begriff „Rasse“ Kategorien von Menschen gebildet, die zugleich der Rechtfertigung von Sklaverei und Kolonialpolitik dienten. Noch immer werden mit dem Begriff Vorstellungen von der Existenz menschlicher „Rassen“ verbreitet. Schon lange steht jedoch unzweifelhaft fest, dass es keine verschiedenen menschlichen „Rassen“ gibt (Deutschlandfunk, „Es gibt keine Rassen“ 21.03.2019, https://www.deutschlandfunk.de/menschheitsgeschichte-es-gibt-keine-rassen.1148.de.html?dram:article_id=444263 ). Vielmehr handelt es sich bei dem Begriff „Rasse“ um eine rassistische Konstruktion, die von den Nazis im Dritten Reich in besonders exzessiver Weise propagiert worden ist.

Im September dieses Jahres haben sich vier Professoren aus den Bereichen Zoologie und Evolutionsforschung von der Annahme menschlicher Rassen distanziert. Das Rassenkonzept sei ein „Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung“, so die Wissenschaftler (Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutsche Zoologische Gesellschaft, Jenaer Erklärung). Bereits im Jahr 2010 hat das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIM) in einem Policy Paper darauf hingewiesen, dass die weitere Verwendung des Begriffs „Rasse“ zur Folge habe, dass in der Gesellschaft das Konzept menschlicher „Rassen“ akzeptabel erscheine und dazu beitrage, rassistischem Denken Vorschub zu leisten (DIM, Cremer, Policy Paper No. 16, „Ein Grundgesetz ohne "Rasse" – Vorschlag für eine Änderung von Artikel 3 Grundgesetz“, 2010,  https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Policy_Paper/policy_paper_16_ein_grundgesetz_ohne_rasse.pdf, S. 3).

Diese Annahme spiegelt sich auch in der gesellschaftlichen Diskussion wider. Ein Kennzeichen heutiger Formen des Rassismus ist bereits die Vermeidung des Begriffes „Rasse" gerade in rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Milieus. Rassistisches Denken wird mit Begriffen wie Selektion, Reinhaltung oder Ethnopluralismus aufrechterhalten, bestätigt der Biologe Dr. Mark Benecke (Dr. Mark Benecke, International Forensic Research & Consulting, Jenaer Erklärung zur Abschaffung des Begriffes der "Rasse", 11.09.20109, https://home.benecke.com/publications/abschaffung-des-begriffes-der-rasse).

Der Begriff der „Rasse“ findet sich nicht nur in zahlreichen deutschen Verfassungen und anderen deutschen Gesetzen (u. a. Grundgesetz, Allgemeines Gleichheitsgesetz, Niedersächsisches Datenschutzgesetz), sondern auch in Art. 3 Abs. 3 S. 1 der Niedersächsischen Verfassung (NV). Dort heißt es, dass niemand wegen „seiner Rasse“ benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Die Aufnahme dieses Benachteiligungsverbot ist, wie auch die Aufnahme der anderen Benachteiligungsverbote in der Verfassung, unter anderem eine Konsequenz aus den Schrecken des NS-Regimes. Mit der Platzierung der Benachteiligungsverbote an hoher Stelle in der Verfassung sollte ein Statement gesetzt werden gegen eben solche Benachteiligungen, die die Vorstufen zur teilweisen Vernichtung von Bevölkerungsgruppen bildeten. Um jedoch den wieder aufkeimenden Rassismus auf breiter Linie wirksam zu bekämpfen, bedarf es dringend einer Neufassung der Diskriminierungsverbote in der niedersächsischen Verfassung. Zwar wird eine bloße Streichung des Wortes „Rasse" aus unserem Sprachgebrauch Intoleranz und Rassismus nicht verhindern, allerdings lässt sich Rassismus nicht glaubwürdig bekämpfen, solange der Begriff „Rasse“ in der Verfassung beibehalten wird.

Der Begriff „Rasse“ ist zu streichen und durch das Wort „rassistisch“ zu ersetzen, da die übrigen in Artikel 3 NV aufgeführten Begriffe nicht alle Aspekte rassistischer Benachteiligung abdecken. Eine ersatzlose Streichung des Begriffs „Rasse“ würde hingegen die Gefahr des Aufkommens einer Schutzlücke in der NV bergen. Dieses Vorgehen entspricht sowohl der Empfehlung des DIM zur Änderung des Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz (DIM, Cremer, Policy Paper No. 16, S. 6) als auch der Empfehlung der EU- Kommission (EU-Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, Allgemeine Politik-Empfehlung Nr. 7 von ECRI über nationale Gesetzgebung zur Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung, 2002) zur effektiven Bekämpfung von Rassismus und trägt den fundierten wissenschaftlichen Kenntnissen Rechnung. Darüber entspricht eine solche Änderung der Verfassung der aktuellen Entwicklung auf EU- und Bundesländerebene Rechnung. Finnland und Schweden haben den Begriff inzwischen aus ihrer Gesetzgebung entfernt. Auch in den Verfassungen der Länder Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern ist der Begriff „Rasse“ nicht enthalten.

b)      Ergänzung des Merkmals „sexuelle Identität“

Sexuelle Identität umfasst weit mehr als nur Homosexualität. Sexuelle Identität umfasst auch die Identität von bi-, trans- und asexueller Menschen. Obwohl das europäische Recht in der EU-Grundrechtecharta sowie im AEUV eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung verbietet, fallen Differenzierungen aufgrund der sexuellen Identität - anders als Differenzierungen aufgrund der geschlechtlichen Identität - nicht unter die strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen des Artikels 3 Absatz 3 NV. Der Schutz dieser Menschen durch das allgemeine Diskriminierungsverbot ist jedoch nicht ausreichend. Die Lebensführung von Homo- und Bisexuellen stößt jedoch noch immer auf Vorbehalte, was sich in rechtlicher und sozialer Diskriminierung niederschlägt. So bleibt der Artikel 3 Abs. 3 NV z. B. hinter § 1 AGG zurück, der auch Diskriminierungen wegen der sexuellen Identität untersagt. Eine Ergänzung der Niedersächsischen Verfassung um den Begriff „sexuelle Identität“ ist daher notwendig. Niedersachsen würde damit u. a. dem Beispiel des Landes Saarland folgen. Dort wurde das Tatbestandsmerkmal „sexuelle Identität“ bereits im April 2011 in die Regelung zum spezifischen Gleichbehandlungsgrundsatz aufgenommen. Auch die Länder Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern haben bereits die sexuelle Identität als Diskriminierungsverbot aufgenommen.

Einer gesonderten Aufnahme eines Diskriminierungsverbotes in Bezug auf die geschlechtliche Identität bedarf es nicht, da das BVerfG in seinem Beschluss vom 10. Oktober 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 56 f. festgestellt hat, dass die geschlechtliche Identität eines Menschen unter das Merkmal Geschlecht fällt und somit Diskriminierungen aufgrund dieses Merkmals bereits den strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen des Artikels 3 Absatz 3 GG unterworfen sind.

c)      Statt „seine/r“ „des/der“

Letztlich ist die Beurteilung des Vorliegens von Diskriminierungen an objektiven Kriterien zu messen. Die Diskriminierungsverbote sind daher von dem Vorliegen diskriminierender Merkmalen in der Person des Adressaten der Diskriminierung zu entkoppeln und objektiv zu bestimmen (statt „seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen“ „Niemand darf […] wegen des Geschlechts, der Abstammung, Sprache, Heimat und Herkunft, des Glaubens, der sexuellen Identität , der religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“).

Auch die Länder Brandenburg und Hessen haben die Diskriminierungsverbote in ihren Verfassungen bereits in dieser Weise verobjektiviert.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten):

Der Artikel regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

 

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