Gemeinsamer Änderungsantrag: Jüdisches Leben in Niedersachsen schützen - Antisemitismus konsequent vorbeugen und bekämpfen!
Fraktion der SPD
Fraktion der CDU
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Seit über 1 700 Jahren prägen Menschen jüdischen Glaubens die Kultur und Geschichte auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland und Niedersachsens entscheidend mit. Das jüdische Leben gehört zu unserem Land und bereichert durch seine Vielfalt und kulturelle Prägekraft unser Zusammenleben. Der Zivilisationsbruch der Shoah durch das nationalsozialistische Deutschland verpflichtet uns zur Auseinandersetzung mit der NS-Schreckensherrschaft, zum Gedenken an die Opfer und zum nachhaltigen Schutz jüdischen Lebens.
Die Sicherheit Israels ist unverbrüchlicher Teil deutscher Staatsräson. Die jüngsten islamistischen Terrorangriffe vom 7. Oktober 2023 führen uns eindringlich vor Augen, wie bedroht der Staat Israel ist. Die blutigen Gewalttaten der Hamas-Terroristen haben eine Gewalteskalation im Nahen Osten ausgelöst. Der Hauptunterstützer der Hamas, das islamistische Regime im Iran, schürt weit über den Nahen Osten hinaus antisemitische Hetze und Umtriebe, auch bei uns in Deutschland. Der virulente Judenhass unter islamistischen Extremisten wird bei uns in Deutschland immer deutlicher sichtbar. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in Israel haben Auswirkungen auf das jüdische Leben bis nach Niedersachsen. Jüdische Bürgerinnen und Bürger sind tief verunsichert und in Sorge um ihre Sicherheit.
So nimmt der Landtag mit Besorgnis zur Kenntnis, dass die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland hoch bleibt. Das BKA hat im ersten Halbjahr 2023 bereits 960 Straftaten, darunter 25 Gewaltdelikte, mit judenfeindlichem Hintergrund registriert. Seit dem 7. Oktober 2023, dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel, zählte der Bundesverband der Recherche und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) in Deutschland insgesamt 202 antisemitische Vorfälle1. Dies unterstreicht, wie elementar der Schutz jüdischen Lebens ist. Antisemitismus ist ein hochgradig dynamisches, zutiefst menschenfeindliches Phänomen. Es gibt ihn in vielgestaltigen Erscheinungsformen und aufgrund unterschiedlicher politischer, religiöser oder anderer Motivation. Antisemitische Einstellungen und Gedankengut sind in Deutschland immer noch und leider wieder weit verbreitet[1] – bis in die Mitte der Gesellschaft.
Anlässlich des Terrorakts vom 7. Oktober 2023 wurde Hass gegen Juden und den Staat Israel offen auf deutschen Straßen kundgetan und die Terroranschläge der Hamas gegen Israel regelrecht gefeiert. Diese Kundgebungen dokumentieren den virulenten Judenhass in der islamistischen Extremistenszene in Deutschland. Solche Bilder auf deutschen Straßen entwürdigen die Opfer des Terrors und sind eine Schande, speziell für Deutschland. Der Landtag stellt fest, dass der Bund die terroristische Hamas und das Samidoun-Netzwerkes in Deutschland inzwischen verboten hat.
Gerade im Bewusstsein der deutschen Geschichte und der Verantwortung für die Shoa müssen wir in einer Einwanderungsgesellschaft wie der unsrigen klar machen, dass israel- und judenfeindliche Bestrebungen keinen Raum einnehmen und unser Land polarisieren dürfen. Nach einer aktuellen repräsentativen Erhebung der Konrad-Adenauer-Stiftung fallen antisemitische Einstellungen unter den in Deutschland lebenden Muslimen signifikant stärker aus als im Bevölkerungsdurchschnitt[2]. Zugleich zeigen Studien, dass antisemitisches Gedankengut und Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden auch in der Mitte unserer Gesellschaft tief verankert sind. Diese Befunde müssen ernst genommen und Teil der kritischen Auseinandersetzung mit Antisemitismus in unserer Gesellschaft sein.
Antisemitisches Gedankengut darf in Deutschland keinen Platz haben.
Zugleich ist von immenser Bedeutung, dass der Konflikt im Nahen Osten nicht dazu führt, dass das Zusammenleben von Muslimen und Juden in Deutschland weiter beeinträchtigt wird. Der Landtag begrüßt den gemeinsamen Appell der palästinensischen Gemeinde Hannover und des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinde von Niedersachen gegen Terror und Antisemitismus und für Toleranz. Hierbei handelt es sich um ein vorbildliches Signal, das für ein respektvolles Miteinander steht.
Darüber hinaus gehen erhebliche Gefahren in Bezug auf Antisemitismus weiterhin von rechtsextremen Netzwerken aus, in deren Ideologie der Hass auf Juden ein fester Bestandteil ist. Außerdem werden antisemitische Stereotype durch den harten Kern der sogenannten Querdenkerszene bedient. In diesem Phänomenbereich sind auch Schnittmengen zu rechtsextremen Bestrebungen und der sogenannten Reichsbürger-Bewegung klar erkennbar. Die lange Phase der Corona-Pandemie sowie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine haben Verschwörungsideologien und antisemitischen Tendenzen vor allem im digitalen Raum einen enormen Auftrieb gegeben.
Der Landtag setzt sich nachdrücklich für ein konsequentes, verstärktes und ganzheitliches Vorgehen gegen alle Formen des Antisemitismus ein. Hierzu gehören präventive wie repressive Maßnahmen. Antisemitismus in allen Ausprägungsformen, gleich aus welchen Motiven, ist eine tiefgreifende Herausforderung für unsere freiheitliche demokratische Gesellschaft.
Der Landtag begrüßt in diesem Zusammenhang die Berufung eines Landesbeauftragten gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens durch die Landesregierung im Jahr 2019, der durch sein vielfältiges Wirken in der Öffentlichkeit auf die Bedeutung sowie den Schutz jüdischen Lebens in Niedersachsen konsequent aufmerksam macht, als Ansprechpartner für von Antisemitismus Betroffenen zur Verfügung steht und sich für eine bessere Vernetzung von Akteuren sowie Unterstützungs- und Präventionsangeboten einsetzt.
Der Landtag stellt fest, dass bereits zahlreiche, Maßnahmen im Handlungsfeld Antisemitismusprävention ergriffen wurden. Hierbei ist es besonders wichtig, dass antisemitische Vorfälle auch unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Relevanz in Niedersachsen lückenlos dokumentiert werden. Dies stellt die im Jahr 2020 eingerichtete und über den Landespräventionsrat geförderte RIAS Niedersachsen sicher. RIAS ist ein wesentlicher Baustein für eine ganzheitlich angelegte Arbeit bei der Antisemitismusprävention. In Anbetracht der Bedrohungen für Jüdinnen und Juden durch rechte, islamistische, linke oder anderweitig politisch, religiös bzw. ideologisch begründete Radikalisierungsprozesse in unserer Gesellschaft kommt professionellen, landesweit ausgerichteten Beratungsangeboten eine hohe Bedeutung zu.
In diesem Zusammenhang stellt der Landtag fest, dass die durch das Kultusministerium kurzfristig zur Verfügung gestellten Materialien zum Themenfeld Terroranschlag auf Israel, Krieg und Antisemitismus für den Unterricht und Schule, sowie die bestehende Aufklärungs- und Demokratiebildungsarbeit von Projekten wie „Tandem interreligiös/interkulturell“ oder „rent a jew“, die Begegnung sowie den Abbau von Vorurteilen fördern.
Außerdem stellt der Landtag fest, dass die Landesregierung bereits die Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet bei der Staatsanwaltschaft Göttingen eingerichtet hat, die zum 1. Juli 2020 ihre Arbeit aufgenommen hat. Die strafrechtliche Verfolgung von Personen, die insbesondere in sozialen Netzwerken Fremdenhass und antisemitische Hetze verbreiten, ist ein elementarer Baustein bei den repressiven Maßnahmen. Es darf im Internet keine rechtsfreien Räume für antisemitische Parolen sowie Hass und Hetze gegen Jüdinnen und Juden geben.
Der Landtag stellt weiterhin fest, dass das Justizministerium per Erlass die Staatsanwaltschaften angewiesen hat, Verfahren wegen antisemitischer Straftaten grundsätzlich nicht mehr wegen Geringfügigkeit oder gegen Geldauflage einzustellen.
I. Vor diesem Hintergrund fordert der Landtag die Landesregierung auf,
- die RIAS Niedersachsen weiter auszubauen und deren Arbeit zu verstetigen,
- den Landesbeauftragten gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens weiterhin bei seiner wichtigen Tätigkeit zu unterstützen und mit ausreichend Personal- und Sachmitteln auszustatten,
- antisemitische Bestrebungen, ob rechts, islamistisch, links oder anderweitig politisch, ideologisch bzw. religiös motiviert, in Niedersachsen weiterhin zu überwachen und die bestehenden Beratungs- und Ausstiegsprogramme zu prüfen und ggf. auszubauen,
- die rechtsextremen und antisemitischen Teile verschwörungsideologischer Szenen, insbesondere „Querdenker“ und „Reichsbürger“, mit Blick auf Netzwerke und Strukturen weiterhin zu überwachen und wirkungsvolle Präventionsangebote zu entwickeln,
- die Arbeit des Landespräventionsrates mit Blick auf pädagogische Fachkräfte, Jugendliche und ihr familiäres Umfeld um zielgruppenspezifische Präventionsmaßnahmen zu erweitern und dabei insbesondere die Aufarbeitung des Nahostkonflikts stärker in der Präventionsarbeit zu verankern,
- weitere praxisorientierte Fortbildungs- und Unterstützungsangebote für Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte im Themenfeld Antisemitismus/Nahost-Konflikt vorzuhalten, um für Konfliktlagen an Schulen gewappnet zu sein,
- das vom Landespräventionsrat geförderte Netzwerk von lokalen Fachstellen der Radikalisierungsprävention auszubauen, um gezielt der Verbreitung von islamistisch motiviertem Antisemitismus und Israelfeindlichkeit, u. a. durch die sogenannte BDS-Kampagne gegen Israel (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen), entgegenzuwirken,
- die Antisemitismus-Prävention durch gezielte Projekte in Verbindung mit muslimischen Gemeinschaften bzw. Akteuren fortzuentwickeln und zu stärken,
- israelfeindliche und antisemitische Bekundungen auf Demonstrationen in Niedersachsen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterbinden und Straftaten konsequent zu verfolgen sowie Demonstrationen im Vorfeld zu verbieten, sofern eine unmittelbare Gefahrenlage festgestellt werden kann, dass es anlässlich der Versammlung zu Straftaten kommt,
- den polizeilichen Schutz für jüdische Einrichtungen in Niedersachsen umgehend und nachhaltig zu verstärken,
- antizionistischen und antisemitischen Kampagnen, insbesondere „Boycott Divestment and Sanctions (BDS)“, an Schulen und Hochschulen mit geeigneten Maßnahmen entschieden entgegenzutreten,
- sicherzustellen, dass Vereine und Organisationen in Niedersachsen, die antisemitische Ansichten vertreten, keinerlei Landesförderung erhalten, und sollte diese Förderung bislang erfolgen, diese unverzüglich und dauerhaft eingestellt wird.
II. Der Landtag fordert die Landesregierung zudem auf, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen,
- dass antisemitische Einstellungen und Straftaten weiterhin der Einbürgerung entgegenstehen, so wie es das bestehende Staatsangehörigkeitsrecht vorsieht,
- dass die Anwendung des Instruments der Ausweisung im Rahmen des bestehenden Aufenthaltsrechts bei nachweislich antisemitischen Bestrebungen, insbesondere im Fall von Straftaten, konsequent sichergestellt wird und dieser Umstand auch bei der Frage über eine Asylberechtigung und die Flüchtlingsanerkennung berücksichtigt wird,
- dass der Expertenkreis Politischer Islamismus (EPI) oder ein Nachfolgeformat wieder eingesetzt wird,
- dass der Anne Frank-Tag, ein bundesweiter Aktionstag an Schulen gegen Antisemitismus und Rassismus und für Vielfalt und Demokratie, weiterhin stattfinden kann und die dafür benötigten Haushaltsmittel des Bundes zur Verfügung gestellt werden,
- dass der Bund Verbotsverfahren gegen weitere Organisationen und Vereine, die antisemitische Hetze verbreiten, prüft und ggf. einleitet,
- dass das vom Verfassungsschutz beobachtete Islamische Zentrum in Hamburg (IZH), das als Knotenpunkt von Aktivitäten des iranischen Staates in Deutschland dient, verboten wird,
- sich für die Einstufung der iranischen Revolutionsgarden als terroristische Vereinigung durch die EU mit Nachdruck einzusetzen.
[1]https://mediendienst-integration.de/desintegration/antisemitismus.html (u.a. "Mitte-Studie" des FES 2023; "Autoritarismus-Studie" der Universität Leipzig 2022; Bertelsmann-Studie von 2015)
[2] SZ vom 19.10.2023