Evrim Camuz: Rede zur Ersatzfreiheitsstrafe (Antrag SPD/GRÜNE)

Rede Evrim Camuz© Plenar TV

TOP 28: Ersatzfreiheitsstrafe gerechter gestalten, Kosten reduzieren, Resozialisierung fördern! (Antrag SPD/Grüne)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

es ist eine bittere Realität der bisherigen Rechtspraxis: Armut wird besonders hart bestraft.

Warum? Wer zu einer Geldstrafe verurteilt wird und diese nicht bezahlt, bekommt eine Ersatzfreiheitsstrafe.

Zukünftig sind pro zwei Tagessätze der Geldstrafe ein Tag Haft fällig. Das heißt: Menschen, bei denen das Gericht aufgrund der Schwere der Tat und Schuld die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe aus verschiedenen Gründen eben nicht für angemessen hält, landen letztendlich doch im Gefängnis.

Der Grund dafür ist häufig ihre Armut. Etwa 40 Prozent der Haftantritte der vergangenen Jahre in Niedersachsen waren durch eine Ersatzfreiheitsstrafe bedingt.

Diese Menschen wurden mitunter bereits wegen Delikten verurteilt, für deren Begehung gerade Armutsbetroffene besonders exponiert sind. Vom ticketlosen Fahren bis zum Diebstahl von Lebensmitteln, die unmittelbar verzehrt werden, ist bei der Tatbegehung die eigene Armut handlungsleitend.

Trotz der geringen Schwere solcher Taten kommen diese Menschen ins Gefängnis, weil sie folgerichtig auch ihre Geldstrafe nicht bezahlen können.

Häufig sind jene Menschen multiplen Problemlagen konfrontiert, etwa Obdachlosigkeit, Armut, Drogenabhängigkeit und Verschuldung. Und hier kommt die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe hinzu.

Die Vollstreckung dieser Ersatzfreiheitsstrafen bringt dabei kaum einen sinnvollen Beitrag zur Resozialisierung der Betroffenen. Jene Personen werden für eine kurze Inhaftierungsdauer aus ihrem sozialen und ökonomischen Umfeld herausgerissen. Sie werden von ihren Familien und Freundeskreisen isoliert und stattdessen mit der Gefängniskultur konfrontiert.

Demgegenüber könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass während der Haftdauer sinnvolle Maßnahmen zur Resozialisierung eingeleitet werden können.

Nehmen wir das Beispiel der Verhängung einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen, die nach alter Rechtslage zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen umgewandelt wird. Selbst unter der Annahme eines personell und finanziell hinreichenden ausgestatten Therapieangebots in der Haftanstalt, können in 30 Tagen kaum nachhaltige Fortschritte in der Entwicklung des Gefangenen durch eine Therapie erzielt werden.

Der scheinbare Makel der Haft hingegen bleibt bei den Betroffenen bestehen. Sie sehen sich einer gesellschaftlichen Stigmatisierung gegenüber, die ihnen bei der Job- oder Wohnungssuche die Wiedereingliederung in die Gesellschaft erschwert.

Diese sozial kontraproduktive Praxis kostet das Land jährlich etwa 20 Millionen Euro. Und genau das möchten wir Grüne gemeinsam mit der SPD hier in Niedersachsen ändern.

Mit unserem Entschließungsantrag wollen wir dafür sorgen, dass das Land künftig seine Spielräume konsequent nutzt, um die Zahl der verhängten Ersatzfreiheitsstrafen in Niedersachsen zu reduzieren.

Zu unserem Maßnahmenpaket zählt zu einem eine verpflichtende konkrete Prüfung der Einkommensverhältnisse einer Person, für die eine Geldstrafe durch die Staatsanwaltschaft beantragt wird. Denn nicht selten werden im Rahmen einer Schätzung Tagessätze fälschlicherweise zu hoch angesetzt, wodurch es den Betroffenen erschwert wird die Geldstrafe tatsächlich zu bezahlen.

Daneben sollen Betroffene über Möglichkeiten der Stundung, Ratenzahlung sowie der Haftvermeidung in ihren Muttersprachen aufgeklärt werden.

Ein weiterer Fokus unseres Antrags liegt in der Weiterentwicklung von Beratungs- und Hilfsangeboten zur Haftvermeidung, aber auch während der Haft.

Und schließlich bitten wir die Landesregierung sich auf Bundesebene für die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe unter Auflagen oder Weisungen zur Bewährung einzusetzen.

An dieser Stelle ist es mir besonders wichtig, zu erwähnen, dass bereits seit mehr als 30 Jahren die Anlaufstellen der freien Straffälligenhilfe und die Angebote des Ambulanten Justizsozialdienstes Niedersachsen wichtige und wertvolle Resozialisierungsarbeit leisten, die sich der Vermeidung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen widmen. Ihnen gilt nicht nur unser besonderer Dank, vielmehr sollen die genannten Akteur*innen auch bei der inhaltlichen Ausgestaltung der in diesem Entschließungsantrag geforderten Maßnahmen beteiligt und bei ihrer Arbeit verstärkt und unterstützt werden.

Dass der Bundestag im Sommer 2023 bereits eine Halbierung des Umrechnungsmaßstabs einer Geld- in eine Ersatzfreiheitsstrafe verabschiedet hat, ist ein erster guter Schritt. Wir in Niedersachsen wollen dabei vorangehen und eine weitere Reduktion des Stundensatzes nach beanstandungsloser Ableistung der ersten Hälfte der Tagessätze nach dem Vorbild Hessens einführen.

Wir haben uns viel vorgenommen. Und ich freue mich als rechtspolitische Sprecherin meiner Fraktion heute diesen Antrag für eine gerechtere und progressivere Justizpolitik einzubringen.

Vielen Dank.

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