Evrim Camuz: Rede zum Gesetzentwurf die Niedersächsische Landesbeauftragte für Opferschutz

TOP 13: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Niedersächsischen Landesbeauftragte oder den Niedersächsischen Landesbeauftragten für Opferschutz (GE SPD/Grüne)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Vielen Dank, Frau Präsident*in, sehr geehrte Abgeordnete,

der 19. Dezember 2016 war ein schlimmer Tag, für unsere Bundeshauptstadt, für uns alle.
Damals tötete ein Islamistischer Attentäter 12 Menschen, verletzte fast 170 weitere Menschen, und das teils schwer. Ein weiteres Opfer starb im Oktober 2021 an den Langzeitfolgen seiner Verletzungen.
Das Attentat vom Breitscheidplatz traumatisierte darüber hinaus hunderte Angehörige.

Sehr geehrte Abgeordnete wir reden heute über sogenannte straftatbezogene Großschadensereignisse.
Ereignisse mit einer Vielzahl von Toten oder Verletzten bei dem eine Straftat als Ursache nicht vornherein auszuschließen ist.

Und nach unserem vorliegenden Gesetzesentwurf nunmehr auch politisch oder extremistisch motivierte Taten, bei denen lediglich einzelne Menschen verletzt oder getötet wurden - Ereignisse, von denen wir hoffen, dass wir sie niemals in unserem Land erleben werden.

Damals waren Opfer und ihre Angehörigen auf sich gestellt.

Die Hilfe, die sie so dringend in diesem Ausnahmezustand benötigt haben, konnte in dem Moment nicht automatisiert zur Verfügung gestellt werden.

Infolgedessen forderte der Bundesbeauftragte für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz in seinem Abschlussbericht eine aufsuchende Opferunterstützung.

Und genau aus diesem Grund wurde unter anderem in Niedersachsen eine zentrale Anlaufstelle für alle Opfer von Straftaten und ihren nahestehende Personen geschaffen.
In unserem vorliegenden Gesetzesentwurf gehört es unter anderem zur Aufgabe des Opferschutzbeauftragten, Informationen über Opferunterstützung sowie von Kontakten zu geeigneten Unterstützungssystemen auf Anfrage von Betroffenen jedweder Straftaten zu vermitteln.

Aber wie erreicht der Landesbeauftragte die Betroffenen eines Großschadensereignisses im konkreten Fall? Wie unterbreitet er sein Hilfs- und Unterstützungsangebot?

Manche ahnen es vielleicht, wir befinden uns inmitten eines Spannungsverhältnisses zwischen Opferschutz einerseits und informationeller Selbstbestimmung andererseits.

Die Große Koalition in der letzten Wahlperiode konnte diesen Konflikt nicht auflösen.

Für uns Grüne war das Austarieren dieser zwei Interessen freilich nicht einfach, viele Gespräche wurden intern geführt, und unsere Antwort gemeinsam mit dem Landesbeauftragten für Opferschutz und unserer Koalitionspartnerin fällt zugunsten eines schnellen und unbürokratischen Opferschutzes aus. 

Das bestehende Einwilligungserfordernis zur Nutzung der Betroffenendaten nach einem solchen Ereignis stand der Arbeit des Opferschutzbeauftragten bisher entgegen.

Wir aber wollen den Landesbeauftragten dabei unterstützen die Betroffenen proaktiv und unbürokratisch zu kontaktieren. Er soll in Sachen Opferschutz der erste Ansprechpartner sein und Hilfsangebote vermitteln. Er soll schlussendlich in die Lage versetzt werden, seine Aufgabe richtig wahrnehmen zu können und nicht durch unsichtbare Hürden gebremst werden.

Das große Ziel dieser Änderung ist so opfersensibel wie möglich zu verfahren. Unterstützen wir die Betroffenen eben frühzeitig, damit sie die notwendige Hilfe erhalten, um das Erlebte zu verarbeiten und langfristige psychische Schäden zu minimieren. Der Opferschutz darf nicht an Bürokratie und Zögern scheitern.

Nebenbei entlasten wir die Einsatzkräfte auch noch. Statt Zettelwirtschaft beim Einholen der Einwilligungen betreiben zu müssen, können unsere Einsatzkräfte ihren Aufgaben der Ermittlung und der taktischen Lagesicherung nachgehen.

Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass Opfer eines Attentats nach solchen Katastrophen nicht einfach aufzuspüren sind, Verletzte sind verteilt in Krankenhäusern, Unverletzte werden und sollen den Ort des Geschehens so schnell wie möglich verlassen. Diese Koordinierung ist eine massive Aufgabe, die enorme Ressourcen bei den Ermittlungsbehörden bindet. Dabei könnte der Opferschutzbeauftragte sie perfekt wahrnehmen und dabei direkt von Anfang an sich als Ansprechpartner präsentieren. Er kann ihnen direkt seine Anteilnahme zum Ausdruck bringen und ihnen die bedarfsgerechten Unterstützungsangebote unterbreiten.

Und wer diese Angebote nicht wahrnehmen möchte, wird natürlich auch nicht gestört. Nach der initialen Kontaktaufnahme erfolgt die weitere Kommunikation nur auf Wunsch der Betroffenen. Die Autonomie der Betroffenen ist uns ein hohes und wichtiges Gut. Sie sollen selbst entscheiden, ob und in welchem Umfang sie Hilfe in Anspruch nehmen wollen. Dies können sie aber nur, wenn sie über ihre Möglichkeiten informiert sind und ihnen nichts vorenthalten wird. Diese Gesetzesänderung stärkt die Autonomie somit in erheblichem Maße.

Die Daten zur erstmaligen Kontaktaufnahme stammen dabei auch nur von Daten, die der Polizei bereits bekannt sind, dadurch ist die Datenübertragung auch angemessen. Die Daten werden erst im seltenen Falle eines Großschadensereignisses übermittelt und dabei dann durch den Opferschutzbeauftragten nur für die Aufgabenerfüllung verarbeitet.

Der Schutz und die Unterstützung unserer Bürger*innen ist Grünes Interesse. Wir lassen niemanden allein. Dabei ist unser Gesetzesentwurf nichts anderes als Ausfluss des Sozialstaatsprinzips, indem der Staat mit der proaktiven Opferunterstützung seiner Verantwortung gegenüber den Bürger*innen nachkommt.

Priorität ist und bleibt die Verhinderung von Straftaten, sollte es dennoch zu einem Attentat kommen, unterbreitetet der Landesbeauftragte für Opferschutz unaufgefordert und direkt Hilfsangebote um das Erlebte zu bewältigen. Denn für uns ist klar, wir lassen Betroffene nicht alleine.

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