Entwurf eines Gesetzes über die Sonn- und Feiertagsregelung für Verkaufsstellen

Anrede,

was uns die Regierungsfraktionen vor gut einem Jahr als Freiheit verkaufen wollten, kommt mittlerweile als Zwang daher: Das neue niedersächsische Ladenöffnungsgesetz setzt Kommunen, Händler und Beschäftigte gleichermaßen unter Druck, sich dem grenzenlosen Konsumdiktat zu unterwerfen.

Es  gilt inzwischen nicht mehr: Wer will, kann seine Tür Sonntags öffnen und verkaufen. Nein, er muss öffnen undverkaufen. Weil er sich sonst den vermeintlich natürlichen Regeln des Marktes in den Weg stellen würde. Ein Diskurswechsel hat in den vergangenen zwölf Monaten stattgefunden. Gemeinden und Städte geraten zunehmend unter Rechtfertigungsdruck, wenn sie für ihre Bürger die Sonn- und Feiertagsruhe beibehalten wollen.

So bemängelte jüngst der niedersächsische Industrie- und Handelskammertag (NIHK) nach einer Umfrage unter Gemeinden und Städten, dass nur knapp die Hälfte aller berechtigten Orte von der Möglichkeit Gebrauch machten, an mehr als 40 Sonn- und Feiertagen Ladenöffnungen zu zulassen. "Unverständlich" sei es laut NIHK, wenn sich Gemeinden und Städte der Ausweitung der Öffnungszeiten verweigerten, obwohl sie die Grundlage dazu hätten. Zur Erinnerung: Berechtigt ist aufgrund der CDU/FDP-Gesetzesänderung vor einem Jahr jeder Ort, der auch nur eine Prise Historisches zu bieten hat. Auf diesem Weg hat es zum Beispiel auch Wolfsburg geschafft, als Ausflugsort anerkannt zu werden. An mehr als 40 Sonn- und Feiertagen wird dort im Fabrikverkauf alles verramscht, was nicht niet- und nagelfest ist. Auf Kosten des Umsatzes im Umland. Zum Ärger der Kaufleute in den Innenstädten auch in den direkt gegenüber liegenden Teilen der Stadt Wolfsburg, die diese Möglichkeit nicht haben. Und zum Leidwesen der Beschäftigten und ihren Familien, die in ihrer zerpflückten Freizeit kaum noch zueinander finden.

Und ich prophezeie Ihnen: Immer mehr Städte werden versuchen, sich als Ausflugsort anerkennen zu lassen. Das ist nicht so schwer, wie das Wirtschaftsministerium im Ausschuss mitteilte: Eine historische Sehenswürdigkeit, in der Regel 1000.000 Tages- oder Übernachtungsgäste im Jahr, Parkplätze, ein touristisches Angebot, eine öffentliche Toilette: Eine ganze Reihe von Städten in Niedersachsen erfüllen diese Anforderungen spielend. Nach den Diskussion bei der Beratung des Gesetzes musste Ihnen klar sein, dass es genauso kommen würde. Sie haben sehenden Auges zugestimmt.

Dabei rentiert sich der Dammbruch nicht einmal. Auch wenn der NIHK (Niedersächsischer Industrie- und Handelskammertag) uns das glauben machen will. Deutlich mehr als die Hälfte der Kommunen mit exzessiven Öffnungszeiten gaben an, dass sich die Sonntagsöffnungszeiten nicht auf die Gästezahlen ausgewirkt hätten. Das bedeutet, dass sich bei gleichbleibendem Umsatz die Kosten für die Händler erhöhten, weil die zusätzliche Personalkosten an Sonn- und Feiertagen zu Buche geschlagen haben.

Rational ist damit nicht zu erfassen, weswegen für die Aushebelung verfassungsrechtlicher Bestimmungen aggressiv geworben wird. Die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten ist offenbar reiner ideologischer  Selbstzweck.

Nicht jeder Wachstumsgläubige will wahrhaben, dass der Konsum in Deutschland offenbar an seine Grenzen kommt. In den vergangenen 13 Jahren hat die Verkaufsfläche massiv zugenommen: Laut des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE) um rund die Hälfte. Trotz der Angebotsfülle, der gigantischen Verkaufsflächen von mehr als 120 Millionen Quadratmetern bundesweit und der faktisch abgeschafften Ladenschlusszeiten kaufen die Menschen aber dennoch nicht mehr ein! Ganz im Gegenteil: Viele Jahre hindurch beklagte der HDE jährlich Milliardenumsatzeinbußen. Und auch der Aufschwung brachte nicht das erhoffte große Geschäft.

Das mag unter anderem an den gesunkenen Nettolöhnen liegen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) fand heraus, dass in Deutschland die Mittelschicht binnen sechs Jahren um fünf Millionen Menschen geschrumpft ist, also um mehr als zehn Prozent. Zudem sind laut DIW immer mehr Menschen in die armutsgefährdete Schicht abgerutscht: Jeder Vierte verdiente 2006 weniger als 70 Prozent des Durchschnittseinkommens.  Und auch ein ALG-II-Empfänger mit 345 Euro monatlichem Einkommen leidet weniger an dem Problem, wann er sein Geld ausgibt, sondern vielmehr daran, dass er keins zum Ausgeben hat.

Anrede,

wofür also riskieren die Regierungsfraktionen den Verfassungsbruch und opfern den Ladenschluss und die Sonntagsruhe? Für ihre Ideologie? Für ihren kleinen Koalitionspartner?

Dabei ist zu beobachten, dass den Abgeordneten der CDU der Spagat immer schwerer fällt. Das bekam in den vergangenen Monaten nicht nur die Kollegin Heidemarie Mundlos zu spüren. Braunschweiger Händler und Beschäftigte forderten von ihr, die Wettbewerbsverzerrungen zu korrigieren, die das Gesetz ausgelöst hatte.

Seit Wolfsburg nämlich verkaufen kann, wann es will, sind zunehmend Braunschweiger Arbeitsplätze und Geschäfte existenziell bedroht. Und nicht nur die direkt Betroffenen haben kein Verständnis für den Marktradikalismus der CDU. Christlich-demokratischen Wählern ist nur schwer oder auch gar nicht zu vermitteln, dass ihre Vertretung im Parlament die Sonn- und Feiertagsruhe nahezu abgeschafft hat, allen Mahnungen der Kirchen zum Trotz.

Nehmen Sie doch bitte wenigstens zur Kenntnis, dass ein Großteil der Bürger und Bürgerinnen den hohen Preis für ein Rund-um-die-Uhr-Shoppen-Land Niedersachsen nicht zahlen will. Ob kommunale Spitzenverbände, mittlere und kleine Händler oder die  Beschäftigten und ihre Vertreter – sie alle laufen zunehmend Sturm gegen massiv ausgeweitete Ladenöffnungszeiten. Die gerade eingereichten Verfassungsbeschwerden der Betriebsräte bildet nur die Spitze des berechtigten Unmutes. Die Beschäftigten, meist Frauen, zahlen doch am Ende die Zeche für Ihr Gesetz: Mit ungünstigen Arbeitszeiten ohne Zuschläge am Abend, mit Problemen, am Abend noch nach Hause zu kommen,  mit dem Problem, wie sie ihre Kinder betreuen sollen usw. 70 Prozent der Angestellten im Einzelhandel sind Frauen, viele davon alleinerziehend. Wie sollen die eigentlich rund um die Uhr und an Sonntagen arbeiten können, wenn diese Landesregierung für sie und ihre Kinder noch nicht einmal eine ausreichende Betreuung bereit hält?

Wir haben es Ihnen gesagt und wir haben recht behalten: Ihr Gesetz ist Frauen- und Familienfeindlich. Es muss dringend geändert werden.

Und noch ein Problem steht im Raum: Die potentiellen Betreiber für ein FOC in der Lüneburger Heide rechnen alle damit, an mindestens 40 Sonntagen im Jahr öffnen können. Man muss befürchten, dass dem Standort nach Errichtung eines FOCs der Staus eines Ausflugsortes zusteht, wodurch die ohnehin schon innenstadtschädlichen Auswirkungen des FOC deutlich zu Lasten des innerstädtischen Einzelhandels verstärkt würden. Wollen Sie das wirklich?

Anrede,

unsere Bedenken und die Warnungen von Experten vor einem Jahr haben sich leider bestätigt. Deswegen stehen wir Grüne heute hier erneut und fordern eine Korrektur des Gesetzes: Wenn Schmuck und Bekleidung an Sonn- und Feiertagen nicht länger zum Verkauf angeboten werden würden, könnten die gröbsten Wettbewerbsverzerrungen zurückgenommen werden. Die Rückführung auf die vor der Änderung geltenden Sortimente würde den Bedürfnissen Reisender Rechnung tragen, gleichzeitig aber die bestehenden Auswüchse korrigieren. Ohne den Verkauf von Kleidung und Schmuck würde sich eine Öffnung am Sonntag, insbesondere für große Center, eben nicht lohnen.

Anrede,

der Mensch, seine Bedürfnisse sollen im Mittelpunkt stehen. Und das bedeutet nicht "freies Kaufen", wie die Freien Demokraten es behaupten.

Wir Grüne wollen den Ladenschluss so gestalten, dass der Sonntag ein gemeinsamer Ruhetag für Familien bleibt. Das haben auch insbesondere die Kirchen immer wieder gefordert. Aber auch viele Verbände, der Städtetag oder der Handelsverband Niedersachsen mahnen Sie zum Handeln.

Stellen Sie sich endlich Ihrer Verantwortung.

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