Dringliche Anfrage: Trägt Umweltminister Sander parteipolitische Grabenkämpfe auf Kosten der Bevölkerung aus? Handelt der Minister gegen Umwelt- und Gesundheitsschutz?

 

Am vergangenen Freitag kippte Niedersachsens Umweltminister Sander in seiner Funktion als Fachaufsicht die seit 1. Januar 2010 gültige letzte Stufe der hannoverschen Umweltzonenverordnung, die die Einfahrt in den besonders durch Umweltschadstoffe durch Verkehr belasteten Innenstadtbereich nur noch Fahrzeugen mit grüner Plakette ermöglichte.

Er begründete sein spätes Einschreiten, nach dem nun auch wieder Fahrzeuge mit gelber Plakette in den kommenden zwei Jahren generell in den inneren Stadtbereich fahren dürfen, mit einem Gutachten, nach dem einige Dieselfahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 3 mit nachgerüstetem Partikelfilter zwar eine grüne Plakette bekommen könnten, aber dadurch einen höheren Anteil des Schadstoffes NO2 ausstoßen würden, für den ebenfalls Grenzwerte einzuhalten sind.

Das von Herrn Sander zitierte Gutachten des Umweltbundesamtes bezieht sich aber ausschließlich auf den Direktanteil von NO2 bei Bussen. Das heißt, dies hat keine Aussage zur Wirkung der Filter vor allem bei PKW.

Auf Basis der Kfz-Zulassungzahlen für die Region Hannover - Kraftfahrtbundesamt 1. Janu-

ar 2008 ? zeigt sich auf Basis einer vom ADAC in Auftrag gegebenen Studie für Euro-3-Diesel-Kfz folgende Bilanz der Wirksamkeit von nachgerüsteten Partikelfiltern hinsichtlich der NO2-Direkt­emissionen:

79,0 % (Pkw)    Minderung der NO2-Direktemissionen gegenüber Euro-3-Diesel ohne Partikelfilter um 30 %,

12,6 % (Nfz)      NO2-neutral (Filtersysteme für Mercedes-Benz-Fahrzeuge),

  8,4 % (Nfz)       Zunahme der NO2-Direktemissionen gegenüber Euro-3-Diesel ohne Partikelfilter um 15 bis 40 %.

Diese Erkenntnisse waren auch Grundlage für die Bestätigung der Umweltzone Hannover durch das Verwaltungsgericht Hannover, das auf Grundlage von Vorhaltungen der Kläger, ähnlich wie jetzt von Umweltminister Sander, diesen Tatbestand geprüft und bewertet hat. In dem Urteil (Az: 4 A 5211//08 verkündet am 21. April 2009) wird ausgeführt:

 "(”¦) Da der Schadstoff Stickoxid (NOx) die Summe der Schadstoffe Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoffdioxid (NO2) beschreibt, erscheint plausibel, dass eine Reduktion des Schadstoffgemischs im Abgas des Fahrzeugs zu einer Reduktion des an der Straßenschlucht gemessenen Immissionswerts für NO2 führen wird.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass nach neueren Erkenntnissen die Oxidationskatalysatoren, mit denen die Diesel-PKW und die überwiegende Anzahl der leichten Nutzfahrzeuge ab EURO 2 ausgestattet sind, um die Luftschadstoffe Kohlenmonoxid (CO) und Kohlenwasserstoffe (HC) zu minimieren, zu einem Anstieg der direkten NO2-Emissionen führen.

Eine Verminderung der NO2-Belastung durch die nach der 35. BImSchV gestaffelten Fahrverbote der Umweltzone in dieser Größenordnung hält auch die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme für realistisch."

In der EU-Luftqualitätsrahmenrichtlinie (EG-RL 96/62) ist festgelegt, dass die von den zuständigen Behörden erstellten Luftreinhaltepläne an die EU in Brüssel weitergeleitet werden müssen. Nach Beschluss des Luftreinhalteplanes durch den Rat der Landeshauptstadt Hannover im Som-

mer 2007 hat die Stadtverwaltung den Luftreinhalteplan an das Landesumweltministerium weitergeleitet mit der Bitte dieses über das Bundesumweltministerium an die EU weiterzugeben. Dieses ist geschehen, sodass damit das Land den hannoverschen Luftreinhalteplan als fachlich richtig bereits anerkannt hat.

Als Folge dieses nachträglichen Einschreitens wird der Effekt der nach Auffassung von Beobachtern langfristig und berechenbar angelegten Umweltzonenregelung in Hannover sowohl gesundheits- wie auch umweltpolitisch in Frage gestellt.

Zudem drohen nun nicht nur Hannover erhebliche Kosten durch die Erstattung von Gebühren für Ausnahmenregelungen und die notwendige erneute Umstellung aller Schilder. Insbesondere den privaten und gewerblichen Kraftfahrzeugbesitzern sind nun gegebenenfalls vorerst unnötige Kosten aufgebürdet worden, und Kfz-Betriebe befürchten, auf vielen bestellten, aber noch nicht eingebauten Partikelfiltern sitzen zu bleiben.

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Warum handelt das Umweltministerium bei seiner Entscheidung, in die Regelungen zur Hannoverschen Umweltzone einzugreifen, entgegen dem Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom April 2009, das besagt dass die Regelungen zur Umweltzone zulässig sind, obwohl der Betrieb einiger Dieselmotoren, die mit einem Oxidationskatalysator ausgerüstet sind, zu einem Anstieg des Emissionswerts für NO2 führen kann?
  2. Welche neuen Gründe etwa des Gesundheits-, Immissionsschutzes oder welches Interesse des Allgemeinwohls rechtfertigen diesen fachaufsichtlichen Eingriff zu einem Zeitpunkt, an dem zum 1. Januar 2010 schon die letzte Stufe des Fahrverbotes in Kraft getreten war?
  3. Wird die Landesregierung die durch den Erlass entstehenden Kosten entsprechend dem Prinzip der Konnexität bzw. den betroffenen Autofahrern, Betrieben und Kfz-Werkstätten ersetzen?

Stefan Wenzel

Fraktionsvorsitzender

 
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