Dringliche Anfrage: Der „Skandal im Skandal“ – Wer ist schuld an den vermeintlichen Falschinformationen und der möglichen Unterschätzung des Dioxin-Problems in Niedersachsen?

Das Agrarland Niedersachsen ist Hauptbetroffener des aktuellen Futter- und Lebensmittelskandals mit dem Krebsgift Dioxin. Während NRW bereits am 23.12.2010 die ersten betroffenen Betriebe amtlich sperrte, tat Niedersachsen das aufgrund einer anderen Risikobewertung erst am 30.12.2010. Nordrhein-Westfalens Verbraucherschutzminister Johannes Remmel erklärte in der FAZ vom 6.1.2010, dass das Problem von den niedersächsischen Verantwortlichen längere Zeit "nicht in der vollen Gänze erfasst worden" sei. Noch am 29.12.2010 erklärte ein Sprecher des Niedersächsischen Agrarministeriums auf NDR-ONLINE:  "die Auslieferung der Eier der betroffenen Farmen, sei nicht gestoppt worden, da der Verzehr als "unproblematisch" anzusehen sei." Wenig später musste das Ministerium die Belastung von Eiern deutlich über dem Grenzwert in mehreren niedersächsischen Betrieben einräumen.

Bereits am 30.12.2010 schrieb das NRW-Verbraucherschutzministerium in einer Pressemitteilung: "Wir teilen die Einschätzung der niedersächsischen Landesregierung nicht, dass der Dioxin-Fall nur eine untergeordnete Bedeutung hat. (...) Bisher können wir nicht ausschließen, dass deutlich mehr Hühner-Betriebe in der Bundesrepublik davon betroffen sind. Und wir können nicht ausschließen, dass auch dort die Kontamination über den Grenzwerten liegt."

Anfang Januar 2011 stellte sich heraus, dass die Verunreinigung mit dioxinbelasteten Fetten nicht nur ein einmaliges Versehen war, sondern mindestens seit März 2010 stattfand. Mindestens 20 Mischfutterunternehmen in Niedersachsen haben nach heutigem Erkenntnisstand über mehrere Wochen mit Dioxin verunreinigte Fette erhalten und an tausende Betriebe mit Millionen Tieren ausgeliefert.  Erst Anfang Januar wurden über 5000 Betriebe gesperrt.

Als am 11.1.2011 bei einer Probeschlachtung im Landkreis Verden eine stark erhöhte Dioxinbelastung in Schweinefleisch festgestellt wurde, sagte Agrar-Staatssekretär Friedrich-Otto Ripke: "Ich kann sicher sagen, dass belastetes Schweinefleisch nicht in den Handel gelangen wird und wir können ausschließen, dass dioxinbelastetes Schweinefleisch bereits in den Handel gelangt ist" (NDR-aktuell vom 11.1.2011). Einen Tag später musste das Ministerium sich selbst korrigieren,  dass es nicht wisse, wo die dioxinbelasteten Schweinefleischpartien geblieben sind und dass es vermutlich doch in den Handel gelangt sei.

Nach Ansicht von Bundesagrarministerin Aigner wurde sie am 14.1.2011 bei einem Besuch des LAVES von dem zuständigen Agrarminister Hans-Heinrich Sander und dem Staatssekretär Ripke nicht informiert, dass Niedersachsen weitere 934 Betriebe sperren musste. Nach Ansicht des FDP-Bundestagsabgeordneten Goldmann (FDP) hatte sich das Laves zwei Wochen Zeit gelassen, von den Mitarbeitern eines Futtermittelherstellers in Damme fehlende Kundenlisten einzufordern (HAZ vom 18.1.2011).  So verstrichen mehrere Tage in denen weitere möglicherweise belastete Eier und Fleisch in den Handel gerieten. Bundesagrarministerin Aigner sprach wegen der Nichtinformation durch das Land Niedersachsen von einem "Skandal im Skandal", forderte von Niedersachsens Ministerpräsidenten David McAllister (CDU) die "sofortige Ablösung der Verantwortlichen" und stellte ein Ultimatum an Ministerpräsident David McAllister, das jedoch ergebnislos verstrich (NOZ vom 16.1.2011). Aigner nannte als Verantwortliche für die Nichtinformation des Bundes Agrarminister Sander, Staatssekretär Ripke und LAVES-Präsident Eberhard Haunhorst. Das Bundesagrarministerium verwies am 16.1.2011 auf einen Bericht des Landwirtschaftsministeriums, wonach die Informationen bereits eine halbe Stunde vor Aigners Besuch vorgelegen hätten.

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Wann waren das niedersächsische Agrarministerium sowie Minister Sander, Staatssekretär Ripke und LAVES-Präsident Haunhorst persönlich jeweils über die fehlenden Lieferlisten des Futtermittelherstellers in Damme und die Ausweitung des Skandals informiert und wann wurden der Bund sowie die anderen betroffenen Bundesländer informiert?
  2. Warum hat sich das niedersächsische Agrarministerium in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr 2010 auf die Angaben des Futtermittelunternehmens Harles und Jentsch verlassen, dass es sich bei der Dioxinbelastung nur um einen einmaligen und nicht um einen dauerhaften "Zwischenfall" in der Vermischung von Fetten handele und daher die anderen 20 von Harles und Jentsch in Niedersachsen belieferten Futtermittelbetriebe nicht näher untersucht oder gesperrt?
  3. Wieso erklärt Staatssekretär Ripke im NDR-Fernsehen, dass "belastetes Schweinefleisch nicht in den Handel gelangen wird" und er ausschließen kann "dass dioxinbelastetes Schweinefleisch bereits in den Handel gelangt ist", wenn dies nicht den Tatsachen entspricht?

Stefan Wenzel

Fraktionsvorsitzender

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