Detlev Schulz-Hendel: Rede zur Reaktivierung von Bahnstrecken in Niedersachsen (Antrag GRÜNE)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

in der letzten Legislaturperiode haben SPD und Grüne erfolgreich die Weichen gestellt, um Bahnstrecken für den Personennahverkehr in Niedersachsen zu reaktivieren. Die Ergebnisse können sich sehen lassen, denn in Folge dieses Prozesses konnten die Strecken von Einbeck-Salzderhelden nach Einbeck Mitte und von Neuenhaus nach Bad Bentheim für den Personennahverkehr an den Start gehen. Beide Strecken konnten schon nach kurzer Zeit die Fahrgastprognosen deutlich überschreiten. Die Reaktivierung von Bahnstrecken ist gerade in einem Flächenland wie Niedersachsen ein wichtiger Baustein für Verbesserungen einer bedarfsgerechten und nachhaltigen Mobilität. Und beide Streckenreaktivierungen haben deutlich gezeigt: Die Wiederbelebung von Bahnstrecken kann insbesondere die Mobilität der Menschen in ländlichen Räumen dauerhaft verbessern.

Und die Streckenreaktivierungen haben auch deutlich gemacht: Wir müssen in dieser Frage angebotsorientiert und nicht nachfrageorientiert denken. Das beweisen die positiven Entwicklungen der Fahrgastzahlen. Die reine wirtschaftliche Betrachtung ist eine überholte Argumentation und darf nicht dazu führen, dass wir die Chancen zur Mobilitätsverbesserungen durch die Wiederinbetriebnahme von Bahnstrecken für den Personennahverkehr einfach liegen lassen.

Anrede,

mit einer Broschüre haben wir im letzten Jahr aufgezeigt, wie hoch das Potenzial an Bahnstrecken in Niedersachsen ist. Mehrere Bahnverbände fordern wie wir, den Prozess von Streckenreaktivierungen voranzutreiben. Bereits 2018 haben wir einen ersten Antrag ins Verfahren gebracht. Im Kern geht es darum, einen überparteilichen Lenkungskreis mit Fachexperten einzusetzen, der in Fortsetzung des 2015 begonnenen Prozesses aus dessen Ergebnissen eine landesweite Konzeption gemeinsam mit den Regionen und Kommunen erstellt. Es ging darum, dass hierbei touristische Verkehre einbezogen werden, dass die Entwicklung der Siedlungsstrukturen eine wichtige Rolle einnimmt und dass mit den Erkenntnissen des ersten Bewertungsverfahren aus 2015 die Streckenauswahl fortgesetzt wird.

Das haben aber SPD und CDU ebenso ignoriert wie unseren zweiten Antrag, mit dem wir deutlich gemacht haben, dass der Regionalbahnverkehr in Niedersachsen eine Landesaufgabe ist und folgerichtig die Kommunen bei Erstellung von notwendigen Machbarkeitsstudien sowohl fachlich als auch finanziell unterstützt werden müssen. Auch das ist sowohl beim Verkehrsminister als auch bei SPD und CDU auf taube Ohren gestoßen.

Viel haben also Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU, in Sachen Bahnstreckenreaktivierungen versprochen. Sie wollten den Prozess der Bahnstreckenreaktivierungen fortsetzen, doch nach fast fünf Jahren Ihrer Regierungszeit bleibt das Fazit: Sie haben nicht eine weitere Bahnstrecke an das Netz gebracht, Sie haben im Gegensatz zu anderen Bundesländern wie beispielsweise Baden-Württemberg keine Idee für eine landesweite Konzeption entwickelt, es gibt nach wie vor keinen Lenkungskreis und Sie lassen die Kommunen bei der Erstellung von Machbarkeitsstudien im Regen stehen. Das Thema ist bei Ihnen vollends auf dem Abstellgleis gelandet und wir müssen ernüchternd feststellen: Es waren in Sachen Bahnreaktivierungen fünf volle Jahre der verpassten Chancen und das alles vor dem Hintergrund einer geradezu idealen Bundesförderung.

Jetzt zum Ende Ihrer Regierungszeit schaffen Sie es gerade einmal, lauwarme Lippenbekenntnisse auf den Weg zu bringen. Ihr Antrag ist kein Meilenstein, sondern das bittere Zeugnis ambitionsloser Verkehrspolitik; und ich muss Ihnen klar sagen, Herr Minister Althusmann: Mobilitätswende geht anders! Und wenn die Groko nun in ihrem Antrag nicht über butterweiche Forderungen gegenüber dem Verkehrsminister hinauskommt, frage ich mich, an wem hat es eigentlich gelegen. Spreche ich mit der CDU, heißt es, es liege an der SPD, spreche ich mit der SPD heißt es, es liege an der CDU. Wir haben es also mit einer politischen Ehe zu tun, die nicht im Ansatz funktioniert und die politischen Stillstand bedeutet. Darunter müssen nun viele Regionen mit potenziellen Bahnstrecken leiden. Ob es dabei um die Strecke von Aurich nach Abelitz handelt, die Strecken rund um Lüneburg, der Moorexpress bei Bremervörde, der Spargelexpress bei Wendeburg, die Strecken am Sulinger Kreuz oder Stadthagen-Rinteln, um nur exemplarisch einige Strecken zu nennen. Eins haben diese Strecken alle gemeinsam: Landesnahverkehrsgesellschaft und Verkehrsminister Althusmann stehen mit beiden Beinen kraftvoll auf der Bremse, anstatt Gestaltungswillen zu zeigen.

Ich will das mal an den Bahnstrecken in der Region Lüneburg, also die Strecken von Bleckede nach Lüneburg und von Lüneburg über Amelinghausen nach Soltau, verdeutlichen: Der Landkreis Lüneburg hat in ein Gutachten investiert, weil das Verkehrsministerium die Strecke bei einem positiven Nutzen-Kosten-Wert zur Bundesförderung anmelden und den Prozess positiv begleiten wird. Das Gutachten mit einem Nutzen-Kosten-Wert von 9,1 auf einem Teilabschnitt und mehr als 3 auf der Gesamtstrecke liegt vor. Und was macht das Land heute mit seinen Versprechungen? Zunächst wird das Gutachten vollends in Frage gestellt, bevor es überhaupt geprüft wurde. LNVG und auch Minister Althusmann fordern ungeprüft ein neues Gutachten, so in einem Antwortschreiben an eine Bürgerinitiative aus der Region. Zu guter Letzt erwarten Sie von der Region eine detaillierte Vorplanung mit einem Kostenvolumen von mehr als 1 Million Euro - und da wiederhole ich: Regionalbahnverkehr ist Landesaufgabe und nicht Aufgabe der Kommunen. Herr Minister Althusmann, damit haben Sie durch den Aufbau von immer neuen Hürden klar unter Beweis gestellt: Ihnen liegt die Reaktivierung von Bahnstrecken nicht am Herzen, man gewinnt zunehmend den Eindruck, dass sie es sogar als lästiges Thema betrachten.

Vielen Dank

Zurück zum Pressearchiv