Detlev Schulz-Hendel: Rede zum Fahrradland Niedersachsen (Große Anfrage GRÜNE)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Dieser kluge Spruch von Albert Einstein trifft auch auf die Verkehrspolitik zu!

Im Rahmen unserer Großen Anfrage habe ich viele Kommunen und Städte in Niedersachsen besucht. Ich habe mir mit dem Fahrrad ein Bild vor Ort gemacht und ich habe mit Vertreter*innen von Kommunen und Verbänden gesprochen - so auch mit dem ADFC Niedersachsen, deren Vertreterinnen und Vertreter hier und heute dabei sind und die ich gern an dieser Stelle herzlich begrüßen möchte.

Ich habe mir bei meinen Reisen erzählen lassen, wo der Schuh drückt und welche Projekte gut laufen. Und ich kann Ihnen sagen, wir sind weit davon entfernt, Fahrradland Nummer 1 zu sein. Marode Fahrradwege, ungereinigte Fahrradwege, Blockierung von ausgewiesenen Fahrradstreifen, zu wenig Platz für Radfahrer sind nur einige wenige Beispiele von tatsächlich vorhandenen Problemen in Niedersachsen. Ganz zu schweigen von Kommunen, die aus eigener finanzieller Kraft kaum in der Lage sind, Ihre Radwegeinfrastruktur gut zu gestalten.

12.337 Radfahrer*innen sind 2017 in Niedersachsen verunglückt. Sie verletzten sich, zum Teil schwer, 48 von ihnen starben in Folge des Unfalls. Der Großteil der Unfälle, bei denen Radfahrer*innen zu Schaden kommen, wird dabei von Autofahrer*innen verursacht. Dabei ist ein Aufprall zwischen Auto und Fahrrad ein ungleiches Duell: Für Fahrradfahrer*innen enden Unfälle oft lebensbedrohlich. Eine Antwort zu diesem Problem bleibt uns die Landesregierung schuldig! Es ist an der Zeit, dass Radfahrer*innen und auch Fußgänger gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer werden.

Anrede,

wir werden die Probleme nicht lösen, indem wir weiter durch die Autobrille auf die Verkehrspolitik schauen. Und wir werden die Probleme in der Verkehrspolitik auch nicht lösen, indem wir sie bagatellisieren, ignorieren oder schönreden.

Wir brauchen ein neue, wir brauchen eine andere Denkweise. Wir müssen zukunftsfähige Verkehrspolitik als Mobilitätswende begreifen.

Es ist eine der großen Schwächen der rot-schwarzen Landesregierung, dass sie die Chancen der Mobilitätswende nicht begreift und in alten Denkmustern verhaftet bleibt.

Ohne Moos nix los - damit sich etwas dreht, brauchen wir zusätzliches und ausreichendes Geld im System. Und das bitte nicht in einer Blackbox, sondern zweckgebunden. Fakt ist, dass die GroKo sich bei der Fahrradpolitik geizig verhält, aber bei den Straßen die Spendierhosen anzieht:

30 Millionen Euro stellen Sie zusätzlich im Landesstraßenbauplanfonds ein, davon gehen 25 Millionen Euro an die Straße! Wir erkennen an, dass Sie versprechen, 5 Millionen Euro für die Sanierung von Radwegen einzuplanen. Das ist wichtig, weil ein Fünftel der Radwege an Landesstraßen sich in einem schlechten Zustand befindet. Im Ländlichen Raum brauchen wir aber Radwege in einem Topzustand. Gleichwohl kann sich doch nicht allen Ernstes die Radpolitik der Landesregierung in diesem Einmal-Betrag für 2019 erschöpfen?!

Wir brauchen viel mehr und verstetigt Geld, Mut und Gestaltungswillen, damit die Stellschraube Radverkehr zur Lösung aktueller Verkehrs- und Umweltprobleme etwas beitragen kann:

Wir brauchen wieder - wie zu rot-grünen Zeiten - Sonderprogramme für das Radwegenetz, sowohl auf Landesebene als auch kommunal. Es ist ein absolut fatales Zeichen an Kommunen und Radfahrer*innen, dass sie das Sonderprogramm Radschnellwege auslaufen lassen! Das ist ein Schritt in die Vergangenheit und erstickt alle Pläne in den Kommunen zur Entwicklung von Radschnellwegen.

Wir brauchen ausreichend Mittel und einen Extra-Topf um die Maßnahmen aus dem Fahrradmobilitätskonzept umsetzen zu können.

Wir brauchen Geld, um im Verkehrsministerium und in der Landestraßenbaubehörde sowie den 13 Geschäftsstellen Fachpersonal für den Radverkehr einzustellen! Damit Radverkehrspolitik immer und überall mitgedacht wird.

Anrede,

aber genau daran scheitert Ihre aktuelle Politik. Die Antwort der Landesregierung auf unsere Anfrage zur Radverkehrspolitik in Niedersachsen ist ohne Ambitionen, Ideen und Ansätze. Bereits seit Juni, also seit vier Monaten, liegt der Landesregierung das Gutachten für das Fahrradmobilitätskonzept vor. Die Überschriften dazu klingen auch ganz vielversprechend: „Radfahren ist für alle da!“ Ja genau, das finden wir auch.

Dann heißt es: „Der Radverkehr wird in Politik und Planung als gleichwertige Verkehrsart wahrgenommen.“ Unbedingt! Das sind zentrale und wichtige Forderungen, um endlich den Radverkehr auf Augenhöhe zum Autoverkehr zu bringen. Doch dann wird es schwammig. Bis wann was und wie gemacht werden soll - dazu sagen die Landesregierung in ihrer Antwort und auch Minister Althusmann heute nichts oder weichen aus.

Viele kluge Menschen haben an dem Konzept gearbeitet - und ich weiß, dass es ein Relaunch für eine neue Radverkehrspolitik in Niedersachsen sein könnte. Wir haben das Konzept in Auftrag gegeben. Die Regierung entscheidet jetzt, ob das Papier in der Schublade verschwindet oder aber echtes politisches Handeln daraus ableitet. Ich befürchte, dass wir da nicht viel zu erwarten haben. Bislang hat die GroKo für die Umsetzung des Fahrradmobilitätskonzeptes nicht einen einzigen Euro zweckgebunden eingestellt.

Außer Sonntagsreden haben wir von Ihnen Herr Minister Althusmann bisher wenig Konkretes zur Radpolitik gehört.

Anrede,

gerade einmal eine Kraft mit einer halben Stelle ist ausschließlich mit Radverkehrspolitik betraut.

Die Landesregierung hat sich in ihrer Antwort schwergetan und war - mehr oder weniger geschickt - kreativ um auf dem Papier aus der halben Stelle mehr zu machen als sie ist. Man möchte fast meinen, Sie hätten jede Maus, die auf der Suche nach Essen einen Förderantrag in ihrem Haus gestreift hat, auch beim Stellenumfang angerechnet.

Mit einer halben Stelle lässt sich nicht gestalten, sondern - wenn überhaupt - allenfalls verwalten. Von den 30 zusätzlichen Stellen, die Sie Herr Althusmann seit Regierungsantritt für sich beanspruchen, sollten Sie einfach mal zwei für den Radverkehrsbereich abstellen. Das wäre doch schon einmal ein Anfang.

Anrede,

gute und kluge Verkehrspolitik denkt Mobilität als Ganzes!

Wer Radwege sicherer macht und ein eigenes und einheitliches Radwegenetz schafft, bewahrt Autofahrer*innen davor, Radfahrer*innen zu verletzten. In die Sicherheit von Radwegen und Radfahrer*innen zu investieren, ist gleichzeitig Rad- und Autoverkehrspolitik.

Wenn wir es schaffen, Berufspendler*innen das Radfahren schmackhaft zu machen, dann ist auch das Autofahrerpolitik. Denn jeder Radfahrer nimmt weniger Raum im Straßenverkehr ein, als wenn er sich ins Auto gesetzt hätte, und er stößt auch weniger Schadstoffe aus. Die positiven Folgen sind entlastete Straßen und die Verhinderung von Fahrverboten. Zum Fahrrad greift der Mensch aber erst dann, wenn die Infrastruktur stimmt und er nicht um Leib und Leben fürchten muss.

Anrede,

es ist Armutszeugnis für die Verkehrspolitik in Niedersachsen, dass Sie ausgerechnet das rot-grüne Programm zu den Radschnellwegen aus 2017 und 2018 Ende des Jahres auslaufen lassen. Hören Sie auf so zu tun, als wäre der Bedarf nicht da. Das ist schlicht unseriös und Sie argumentieren hier nachweislich mit Halbwahrheiten. Eine Vielzahl an Kommunen hat sich auf den Weg gemacht, und die stoßen Sie jetzt vor den Kopf. Sie wissen so gut wie ich, dass die 12,35 Mio. Euro im Grunde schon verplant sind - und eine ganze Reihe neuer Projekte wartet. Wir brauchen verlässliche aber vor allem zweckgebundene Mittel für den Radverkehr.

Radschnellwege sind ein vielversprechendes Instrument der Verkehrswende, das zugleich Verkehrsinfarkte wie auch Fahrverbote in den Ballungszentren verhindert. Mit einer modernen Verkehrspolitik kann man bei den Menschen punkten - das zeigt auch Hessen:

Dort hat Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir gerade den ersten Spatenstich für den Radschnellweg von Frankfurt nach Darmstadt gemacht. Der hessische Verkehrsminister ist der beliebteste Landespolitiker.

Wir haben 3,7 Millionen Berufspendler*innen in Niedersachsen. 55 Prozent der Pendler*innen würden gern aufs Rad umsteigen oder es häufiger nutzen, wenn es denn Radschnellwege geben würde. Vier Radschnellwege aus dem Umland in die Landesstadt Hannover - und wir hätten die Diskussion über drohende Fahrverbote auf der Marienstraße, der Göttingerstraße und Fössestraße nicht.

Anrede,

wir wollen den Anteil der Radfahrer*innen von aktuell 15 Prozent auf 30 Prozent bis zum Jahr 2030 in Niedersachsen erhöhen. Wir werden niemanden dazu zwingen, aufs Rad umzusteigen. Das brauchen wir auch nicht. Weil viele Menschen selber lieber mit dem Rad fahren würden, aber sich bislang nicht trauen, weil die Verkehrswege ihnen nicht sicher und komfortabel genug sind. Deswegen wollen wir, dass bis 2025 mindestens 250 Kilometer Radschnellwege gebaut werden und damit Radfahrer*innen ein sicheres Verkehrsnetz zur Verfügung steht. Wir brauchen dafür ein dauerhaftes Landesprogramm.

Wer sich auf den Weg macht, braucht ein Ziel.

Sonst verliert er die Orientierung. Von der CDU und ihrem Minister haben wir es nicht anders erwartet, aber dass Sie, von der SPD, sich zum Erfüllungsgehilfen einer rückwärtsgewandten Verkehrspolitik machen, das enttäuscht uns schon sehr. Wer wichtige Radverkehrs-Programme ohne Ersatz auslaufen und Konzepte verstauben lässt, der hat nicht viel von Radverkehrspolitik und von der Verkehrswende verstanden. Aber liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, Sie haben über die politischen Listen noch die Chance auf den Weg der Rot-Grünen Radpolitik zurückzukehren.

Vielen Dank.

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