Christian Meyer: Erwiderung zur Regierungserklärung zum Krieg in der Ukraine

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

zunächst möchte ich mich dem Dank an die vielen haupt- und ehrenamtlichen Helfer*innen der Geflüchteten, den Kommunen für ihre herausragende Aufnahmebereitschaft und Hilfe und bei allen Menschen für ihre große Solidarität mit den unter Putins Angriffskrieg leidenden Menschen anschließen. Seien es Spenden, Solidaritäts-Demonstrationen oder das Bereitstellen von Wohnraum - es ist gut, dass wir Demokratinnen und Demokraten bei allen Unterschieden im Detail hier zusammenstehen, helfen wo es nur geht und klar und eindeutig auf der Seite der demokratischen, unabhängigen und freien Ukraine stehen. Danke!

Unsere Gedanken und unser Mitgefühl sind bei den Menschen in der Ukraine, die unter einem nicht vorstellbaren verbrecherischen Angriffskrieg unter Bomben und Raketen leiden, verletzt werden oder sterben.

Unsere Gedanken und Unterstützung gelten auch den mutigen Zehntausenden von Menschen in Russland, die für ihre Meinungsfreiheit, für ihren Protest gegen Krieg und Putin-Diktatur in Kauf nehmen verhaftet, verprügelt und für Jahrzehnte ins Gefängnis gesteckt zu werden. Sie sind wahre Heldinnen und Freiheitskämpfer*innen unserer Zeit und stehen für ein besseres, ein demokratisches Russland. Wir danken ihnen ebenso.

Und ich bin froh, dass wir so starke Kommunen haben, eine so starke Zivilgesellschaft, die die Geflüchteten willkommen heißt und ihnen hilft. Ich gehe davon aus, dass Finanzminister Hilbers und Innenminister Pistorius die Kommunen nicht im Regen stehen lassen werden, oder sich wie beim Sondervermögen Katastrophenschutz öffentlich zerstreiten, sondern eine angemessene, großzügige Entlastung der Kommunen ermöglichen, wie wir es mit unserem milliardenschweren Sondervermögen wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine hier heute vorschlagen.

Die Schuldenbremse sieht ausdrücklich Ausnahmen für außergewöhnliche Notlagen vor. Wenn eine weltweite Pandemie für Niedersachsen eine solche vorgesehene Ausnahme war und ist, sind es die Auswirkungen des Krieges auf Wirtschaft, sozialen Zusammenhalt, Energiewende und Kommunen erst recht.

Ich habe ja gelesen - Herr Weil - Sie haben unseren Vorschlag noch nicht gelesen und auch in Ihrer Regierungserklärung fehlten Vorschläge zur Finanzierung der Folgelasten des Krieges völlig.

Also geben Sie sich als Groko einen Ruck und investieren Sie in die Flüchtlingsaufnahme, den Katastrophenschutz, die Kommunen, die Energiewende, die von den Sanktionen besonders betroffene Wirtschaft Firmen und sorgen Sie für soziale Entlastungen für alle. Die richtige Antwort auf Putins Angriff ist, wenn wir jetzt als Demokrat*innen zusammenstehen und die nötigen Finanzen bereitstellen statt auf die schwarze Null zu starren, während in der Ukraine Bomben fallen.

Anrede,

Herr Ministerpräsident sie haben recht, es handelt sich bei diesem Krieg mitten in Europa um eine Zeitenwende.

Der verbrecherischere und durch nichts zu rechtfertigende Angriffskrieg von Putins Russland gegen die demokratische, freie und unabhängige Ukraine hat die Welt verändert und auch alte Gewissheiten.

Bei allen Parteien, bei vielen von uns und auch bei mir persönlich.

Wie mittlerweile die Mehrheit der Bevölkerung finde ich Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung an einen demokratischen Staat richtig und verantwortbar. Nicht das Kriterium Kriegs- oder Krisengebiet sollte bei Waffenlieferungen entscheidend sein, sondern die Beachtung der demokratischen Regeln, Freiheits- und Menschenrechte.

Auch die Auffassung, allein durch wirtschaftlichen Handel könnte man einen Wandel pro Menschenrechte und Demokratie erreichen ist falsch, wie wir bitter gelernt haben. Auch im autoritären antidemokratischen China sehen wir durch steigende Handelsbeziehungen eher eine Stabilisierung des gegen Taiwan aufrüstenden Regimes und zunehmende Freiheiteinschränkungen in Hongkong, bei den Uiguren aber auch bei der Totalüberwachung und Militarisierung der Bevölkerung. Und es ist kein Zufall, dass China den Angriffskrieg auf die souveräne Ukraine bislang nicht verurteilt hat und sich in den UN-Vollversammlung wie nur wenige Staaten der Stimme enthalten hat. Auch hier sollten wir nicht naiv sein.

Anrede,

wir haben uns auch getäuscht in der Verharmlosung der antidemokratischen Propaganda aus Russland oder aus China. Ich weiß noch genau wie wir als Medienausschuss des Landtags vor ein paar Jahren in Brüssel mit einem Vertreter der Task Force Desinformation der Europäischen Kommission sprachen. Er berichtete uns haarklein, wie sie bei diffamierenden Falschmeldungen gegen Migrant*innen, Lesben und Schwule, gegen die Demokratie und gegen rechtsstaatliche Institutionen oft der Ursprung in Russland nachgewiesen konnten. Wir haben zu lange belächelt wie Russia Today, Sputnik und unzählige Trolle im Internet Lügen, Propaganda und Verschwörungstheorien gegen die freiheitliche Gesellschaftsordnung und die Menschenrechte verbreitet haben. Und es ist kein Zufall das Putin Extremisten von rechts bei der AfD aber auch von Teilen der Linken hofiert, auf die völkerrechtswidrig besetzte Krim eingeladen hat und deren Tätigkeiten massiv unterstützt. Auch jetzt fehlt gerade bei der AfD jegliche Distanz von den vielen Putin-Verstehern in ihren Reihen und auch von den Reisen von AfD-Bundestagsabgeordneten auf die von Russland besetzte Krim.

Aber auch am linken Rand zeigt sich eine merkwürdige Querfront nicht nur zu Sarah Wagenknecht, sondern auch zum ehemaligen niedersächsischen Bundestagsabgeordneten Dieter Dehm, der sich im letzten Jahr als Zeichen der Verachtung unseres Gesundheitssystems im russischen Staatsfernsehen in Moskau impfen ließ.

Daher ist es auch kein Wunder Herr Pistorius, das gerade im Corona-Leugner-Milieu die unzähligen Fake-Meldungen russischen Ursprungs gegen das Impfen und die angebliche Weltverschwörung bestimmter Kreise weit verbreitet sind. Ich finde es jedenfalls schlimm und menschenverachtend, wenn auf sogenannten Corona-Demos jetzt Russlands Angriffskrieg gerechtfertigt und verherrlicht wird.

Anrede,

Und es war auch kein Zufall, dass Russland unsere Abhängigkeit von Gas und Öl als Waffe benutzt hat.

2015 nach der Besetzung der Krim wurde Europas größter Gasspeicher im niedersächsischen Rehden an den russischen Staatskonzern verkauft. Und dieser Speicher wurde diesen Winter systematisch zu 95 % entleert und wir waren alle erschrocken, dass wir wegen der Liberalisierung der Energiemärkte, keine nationale Gasreserve mehr hatten und das Land keinen Überblick über die Füllstände hatte. Es war daher überfällig, dass die Ampel-Koalition auf Bundesebene jetzt dafür sorgt, dass die Speicher gefüllt sein müssen und die öffentliche Hand Zugriff darauf bekommt.

Und auch liebe Sozial- und Christdemokraten, das kann ich ihnen nicht ersparen, North Stream II war ein Erpressungsprojekt von Putin, an dem Sie viel zu lange festgehalten haben. Gut, dass es endlich gestoppt ist.

Anrede,

Nicht nur bei uns Grünen auch bei anderen Parteien verändern sich Weltbilder, das will ich ausdrücklich loben:

Wenn wir uns in der Energiepolitik frei und unabhängig machen wollen und das müssen wir, führt am Ausbau der Erneuerbaren Energien kein Weg vorbei. Denn Sonne und Wind schicken uns keine Rechnung, bei Putins Öl und Gas zahlen wir eine sehr blutige. Ich begrüße daher sehr auch den Sinneswandel bei der FDP, die oft beim Ausbau der Erneuerbaren Energien auf der Bremse gestanden hat, dass sie jetzt von „Freiheitsenergien“ spricht. Neben dem Klimaschutz ist auch ein sicherheitspolitisches und freiheitspolitisches Argument hinzugekommen. Das fossile Zeitalter und die Abhängigkeit von Autokraten müssen enden. Mit dem Ukraine-Krieg sehen wir Windräder vor der Haustür mit anderen Augen, deshalb sollten Bayern und NRW auch endlich ihre Windkraftverhinderungsregeln abschaffen.

Doch nicht nur bei CDU und FDP und auch bei Ihnen Herr Ministerpräsident fehlt hier die Konsequenz aus der Erkenntnis. Der Ausbau Erneuerbarer Energien kommt in Ihrer Regierungserklärung gerade mal mit einem Satz vor. Energieeinsparung, Gebäudesanierung oder Ihre Forderung nach einem Tempolimit, was den Ölverbrauch aus Russland schnell und unbürokratisch reduzieren würde, fehlte hingegen völlig.

Anrede,

Die Antwort auf die fossile Erpressung kann doch nicht sein, jetzt mehr Öl, Gas und Kohle zu verbrauchen, die Abzocke der Mineralölkonzerne mit Tankrabatten zu honorieren oder die letzten Reste aus der Nordsee oder aus dem Festland mit Fracking herauszuholen. Die Antwort auf die fossile Erpressung muss die Beschleunigung der Energiewende hin zu den Erneuerbaren Energien sein. Da ist die Groko jedoch so ambitionslos, dass sie sich noch nicht mal getraut haben ihr dürftiges Klimagesetzchen in dieses Plenum einzubringen. Ausbau der Solarenergie? Vertagt und nur für Neubauten. Ausbau der Windenergie, vertagt auf 2030 und nur eine Absichtserklärung ohne Konsequenz.

So - Herr Weil - schaffen wir nicht den Turbo bei der Strategie „weg von Öl und Gas“. Schleswig-Holstein weitet seine Windenergiefläche gerade von 2 auf 3 Prozent aus. Niedersachsen stagniert bei 1,1 Prozent und letztes Jahr wurden nur ein Fünftel so viele Windräder aufgestellt wie unter einem grünen Umweltminister Stefan Wenzel im Jahr 2017.

Anrede,

Auch in der Agrarpolitik brauchen wir eine schnellere Agrarwende statt ein „Zurück in die Vergangenheit“ wo die CDU mal eben den Natur- und Klimaschutz und den Niedersächsischen Weg aufkündigen möchte.

Auch hier muss die Antwort auf Putin eher eine Beschleunigung der Agrarwende, weniger Massentierhaltung und weniger Kunstdüngerimporte aus Russland sein, wie auch die EU-Kommission heute mahnt. Wir brauchen ein Lebensmittel-Retten-Gesetz, wie es meine Kollegin Miriam Staudte Ihnen vorschlägt und eine Reduzierung der Tierhaltung. Da auch bei uns in Deutschland die Mehrheit der Getreideernte nicht gegessen, sondern verfüttert wird, hat Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir recht, wenn er sagt: „Weniger Fleisch essen ist auch ein Beitrag gegen Putin und gegen den Hunger in der Welt.“

Anrede,

die Antwort auf den Angriffskrieg in der Ukraine setzt bei uns allen Veränderungen voraus. Wir müssen schneller werden bei den Genehmigungen, beim Ausbau Erneuerbarer Energien, wir brauchen jetzt ein ehrgeiziges Programm zu Gebäudesanierung und zum Austausch von Öl- und Gasheizungen gegen Erneuerbare Wärme, die aus Erneuerbaren stammt. Wir brauchen einen niedersächsischen Weg bei den Erneuerbaren Energien. Es sollte Ihnen zu denken geben, wenn die Unternehmerverbände gemeinsam mit dem Fachverband Erneuerbare Energien in einer Pressekonferenz mehr Tempo von der Landesregierung beim Windkraftausbau fordern. Denn irgendwo müssen wir grünen Wasserstoff auch produzieren. Wir jedenfalls stehen für einen Erneuerbaren Konsens bereit und die große Mehrheit der Bevölkerung auch. 92 Prozent der Bundesbürger fordern als Konsequenz aus Putins Angriffskrieg einen beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren.  Sie haben „Bock auf Besser“.

Bei der Groko in Niedersachsen weht jedoch nur ein laues Lüftchen und Umweltminister Lies kämpft wie Don Quichotte gegen die Bremser bei der CDU und in den eigenen Reihen. Wir brauchen jetzt den Einstieg in eine grüne Wasserstoffwirtschaft, jetzt den Turbo bei den Erneuerbaren Energien und jetzt den Turbo bei der Gebäudesanierung. Dazu müssen wir endlich in unsere Gebäude investieren und brauchen eine Landesgesellschaft für Wohnen und Klima. Wir haben es im letzten Plenum diskutiert. Wenn Finanzminister Hilbers bei der Solarenergie im bisherigen Ausbautempo so weiter macht, braucht es 125 Jahre bis er alle 3000 Landesdächer einmal geprüft hat. Diese Zeit haben wir nicht mehr.

Zum Glück ist Finanzminister Hilbers, ist diese Landesregierung Weil/Althusmann nur noch bis Oktober im Amt. Es wird Zeit, dass wir endlich die Bremsen und Blockaden beim Klimaschutz lösen. Schaffen wir eine fossilfreie, eine erneuerbare Energieversorgung und setzen nicht auf neue Risiken wie Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke oder Gasförderung im Wattenmeer oder Fracking an Land.

An der Seite der Ukraine zu stehen heißt, die Kommunen bei der Flüchtlingsaufnahme ordentlich zu unterstützen, aber auch die Erneuerbaren Energien und die Energieeinsparung voranzutreiben und die blutigen Öl- und Gaslieferungen aus Russland zu beenden.

Helfen wir der Ukraine. Je schneller desto besser.

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