Christian Meyer: Erwiderung auf die Regierungserklärung "Bekämpfung der SARS-CoV-2-Pandemie"

- Es gilt das gesprochene Wort -

TOP 2: Bekämpfung der SARS-CoV-2-Pandemie – Erwiderung auf die Regierungserklärung

(Anrede)

Nun ist sie da, die 4. Welle und sie trifft uns mit einer Wucht von der wir nicht vermutet hätten, dass es so weit kommen würde.

Dabei haben im Sommer viele und auch wir im Landtag immer wieder gewarnt als die Impfzentren und Testkapazitäten massiv heruntergefahren wurden.

Die Frage, die sich nach zwei Jahren Pandemie stellt:  

Warum wurde so wenig gelernt? Warum ist das Land auch auf die 4. Welle so schlecht vorbereitet?

(Anrede)

Die Lage ist ernst. Die Infektionszahlen steigen, Intensivbetten werden an Kapazitätsgrenzen stoßen, nicht lebensnotwendige Operationen müssen verschoben werden, Klinikpersonal geht auf dem Zahnfleisch, Menschen sterben - die Welle ist noch nicht gebrochen.

Ich weiß nicht, wer die ZDF-Reportage über die Intensivstation im Henriettenstift in Hannover gesehen hat. Es ist ein Kampf um Leben und Tod und jede Verlegung von Hochrisikopatienten quer durch Deutschland ist lebensgefährlich. 90 % der Intensivpatienten sind Ungeimpfte. Es macht deutlich, wie dramatisch es bereits in Niedersachsen ist - man kann sich auf dem „besser als andere Länder“ nicht ausruhen.

Die Gesundheitsämter sind bereits jetzt überlastet – sie schaffen es nicht mehr, die Erstkontakte oder überhaupt alle Infektionen zu bearbeiten.

Und dann halten Sie, Herr Ministerpräsident Weil, hier wieder eine Rede und bescheinigen sich im Großen und Ganzen Fehlerlosigkeit? Ich hätte mir hier und heute schon Antworten und Übernahme von Verantwortung gewünscht.

Warum so spät? Warum so wenig? Warum dieses ewige Hin und Her mit den Verordnungen? Warum erneut so wenig gelernt?

Erstens, Sie beklagen die langen Schlangen vor den Teststationen, nachdem Sie selbst 2G+ eingeführt, aber die Voraussetzungen für eine ausreichende Testinfrastruktur vernachlässigt haben. „Das Testchaos  in Niedersachsen war programmiert“, schreibt die HAZ am 2.12.2021. Und weiter: „Wenn der Staat eine Testpflicht vorschreibt, muss er auch für die notwendigen Testkapazitäten sorgen. Das Testchaos trifft ausgerechnet diejenigen, die sich in der Pandemie an die Regeln gehalten haben und z.B. geimpft sind.“

Und es war ja nicht so, dass niemand Sie darauf hingewiesen hätte:

Z.B. meine geschätzte Kollegin Meta Janssen-Kucz forderte am 24. August (!) 2021 per Pressemitteilung: Grüne zur Corona-VO - Testinfrastruktur muss erhalten bleiben.

„Die Landesregierung muss ihr Werben um Menschen, die sich noch nicht impfen lassen wollen, verstärken und gleichzeitig sicherstellen, dass die flächendeckende Testinfrastruktur auch nach dem Ende der kostenlosen Bürgertests erhalten bleibt. Gerade Tests sind von großer Bedeutung, auch um etwaige Impfdurchbrüche frühzeitig zu erkennen. Deshalb sollte die Regierung Weil ein Minimum an Tests, z.B. einmal pro Woche, auch nach Oktober kostenfrei gewährleisten.“

Das war im August – passiert ist nichts.

Zweitens beklagen Sie zu Recht die zu niedrige Impfquote in Niedersachsen. Aber auch hier gilt, man muss es den Menschen auch einfach machen und ermöglichen sich impfen zu lassen. Am Beginn der Pandemie waren die Hotlines nicht erreichbar, man bekam keinen Termin, falsche Briefe, doch im Sommer behaupteten dann Gesundheitsminister Spahn und Ministerpräsident Stephan Weil auf einmal, man sei jetzt über den Berg, feierten sich gemeinsam für Rekordimpfzahlen und die regionalen Impfzentren wurden flächendeckend geschlossen. Auch dies war ein Fehler wie wir heute wissen.

Und auch hier waren Sie gewarnt: „Grüne fordern Wiedereröffnung von regionalen Impfzentren in Niedersachsen - Land soll vorangehen

Angesichts der stetig steigenden Zahl von Corona-Erkrankungen fordern die Grünen im Landtag die Wiedereröffnung zumindest eines Teils der Ende September geschlossenen regionalen Impfzentren. Die Grünen setzen sich außerdem dafür ein, dass die besonders betroffenen Menschen ab 70 Jahren mit dem Hinweis auf die notwendige weitere Impfung erneut direkt angeschrieben werden.“ (Pressemitteilung Grüne vom 1.11.2021)

Auch hier wieder zu spät und zu langsam, so kommen wir nicht vor die Welle. Es war ein Fehler, die Impfzentren in den Kommunen zu schließen und jetzt wieder mühsam aufzubauen.

(Anrede)

Und Drittens: Ihre chaotischen und unverständlichen Verordnungen.  Jetzt soll ja schon wieder im Schnellverfahren eine neue Verordnung in Kraft treten. Die Kritik der Opposition und selbst Ihrer eigenen Abgeordneten nehmen Sie nicht ernst. Wir bleiben dabei: Auf das Parlament zu hören und mehr Menschen zu beteiligen, macht Verordnungen nicht schlechter, sondern besser.

Chaotische, sich ständig ändernde Regeln bis ins kleinste Detail werden hingegen nicht akzeptiert, wenn sie nicht verständlich sind und sich ständig ändern.

Und die Landesregierung macht immer noch zu viele Fehler, die dann korrigiert werde müssen. Jedes mal fragen sich die Kommunen: Gilt eigentlich das gesprochene Wort der Regierungssprecherin Pörksen mehr als das Ministerialblatt? Da wird 2G+ für Geboosterte mal eben wieder ausgenommen, aber keiner weiß, wie das genau geregelt und überprüft werden soll. Der Braunschweiger Oberbürgermeister Kornblum fordert, Geimpfte mal eben komplett aus der Testpflicht wieder rauszunehmen. Der stellvertretende Ministerpräsident will den Katastrophenfall ausrufen, das Innenministerium weiß nicht was das soll.

Wie soll sich bei all dem Hin und Her noch eine Bürgerin, eine Einzelhändlerin, eine Gastronomin, eine Kulturschaffende mit diesen Regeln zurechtfinden?

Und dann verschlimmbessern Sie es auch noch, indem Sie es -kaum in Kraft getreten- wieder korrigieren. „Verordnungskorrektur“ könnte das Unwort des Jahres werden.

„Das ändern wir dann in der nächsten Verordnung“, hören wir dann immer wieder. Das erinnert an den KfZ-Lehrling, der kurz nach der Reparatur des Autos einräumt, dass er doch noch ein paar Dinge vergessen hat und es beim nächsten Mal bestimmt noch prüfen will.

Herr Ministerpräsident, sie sind aber kein Lehrling und hektische Fehler in Verordnungen können vielleicht am Anfang der Pandemie vorkommen, aber doch nicht nach fast 2 Jahren und Dutzenden Verordnungskorrekturen der letzten Monate.

(Anrede)

Was sind unsere Vorschläge? Auch hier legen wir jedes Mal wieder gute Anträge vor, die Sie pauschal ablehnen. 

Kommen wir zur Impfpflicht, die wir Grüne in Niedersachsen bereits vor dem Ministerpräsidenten gefordert haben:

22.11.2021: Grüne: Landesregierung stolpert unsortiert durch die vierte Welle

„Es ist erschreckend, wie unsortiert die Landesregierung in die vierte Welle der Pandemie stolpert, statt endlich den Ehrgeiz zu entwickeln, die dynamische Entwicklung bei den Infektionen zu verhindern (…) Wir haben zudem immer wieder gesagt, dass eine Impfpflicht, gerade in Berufen, die mit vulnerablen Gruppen arbeiten, geprüft und ernsthaft abgewogen werden muss. Hier kommt viel zu wenig von Ministerpräsident Weil und der Landesregierung insgesamt. Es kann doch nicht sein, dass sich der MP und die Landesregierung mit der ins Stocken geratenen Impfkampagne und unwirksamen Regelungen offenbar abgefunden haben und nur noch die Schultern zucken. Das ist auch gegenüber den zahlreichen Pflegekräften, Impf- und Praxisteams, die über das normale Maß hinaus im Einsatz sind, eine unverantwortliche Haltung. Wir erwarten somit schnelles Handeln und kein weiteres Aussitzen.“

Herr Weil, wir sind für eine allgemeine Impflicht, auch um schlimmere Einschränkungen zu vermeiden. Aber es reicht nicht aus.

 Testen ist das A und O. In dieser Phase der 4. Welle sollten wir dieses Instrument ausbauen - und nicht leichtfertig aus der Hand geben. Deshalb sollten wir auch im Sinne des Arbeitnehmerschutzes wieder vermehrt auf Homeoffice und Testpflichten am Arbeitsplatz setzen.

Geboosterte sollen sich also nicht mehr testen - nur: wo kriegt man denn gerade einen Impftermin? Hausärzte sind überlastet, haben nicht genügend Impfstoff und reihenweise werden Impftermine abgesagt. Alte Menschen telefonieren wild von Praxis zu Praxis und kriegen keinen Termin - und stellen sich auch nicht drei Stunden in eine Warteschlange. Wie viele Menschen bleiben gerade auf der Strecke, weil sie sich erfolglos um einen Impftermin bemühen oder diese Barrieren einfach nicht nehmen können? Ist das Tempo beim Impfen? Nein, das ist ein einziges Drama und klingt für Menschen, die sich durch Boostern von der Testpflicht befreien können wie blanker Hohn.

Kinder sind immer noch nicht geimpft - aber in Schulen in großen Zahlen zusammen. Vielfach werden Schulen oder Klassen wieder dicht gemacht wegen Quarantäne. Stellt sich die Frage, was ist in den letzten anderthalb Jahren passiert, Herr Tonne? Zu wenig. Keine Luftfilter und Lüftungssysteme, immer noch keine qualifizierten PCR-Pooling Tests, keine Konzepte für sichere Schule bei hohen Infektionszahlen, keine entzerrten Schülerverkehre - und dann in die hohen Zahlen hinein die Auflösung des Kohortenprinzips. Besser als andere Bundesländer - aber wirklich weit von wissenschaftlichen Standards und einer pandemiefesten Schule entfernt. Dabei haben wir im Landtag mehrfach zu diesen Fragen Anträge gestellt. Und das BVerfG hat jüngst festgestellt: Vorkehrungen sind zu treffen, damit das Recht auf Bildung auch in Pandemiezeiten umgesetzt werden kann. Damit ist allerdings nicht gemeint, auszusitzen und die Kinder weiter in die Schulen zu schicken - egal wie hoch die Zahlen sind - sondern Vorkehrungen für digitales Lernen ebenso wie für infektionssichere Schulen und Bildungsangebote zu schaffen. Ob Luftfilter oder Digitalisierung - diesem Ziel werden wir in Niedersachsen noch lange nicht gerecht. Bildung First muss man machen - nicht nur sagen.

Sie, Herr Ministerpräsident Weil haben sich öffentlich zu einer sogenannten Weihnachtsruhe geäußert, aber in Ihrer Regierungserklärung war da kein Wort. Zieht wohl die CDU nicht mit? Aber es muss auch vor Weihnachten etwas passieren - und je schneller wir Anstrengungen unternehmen, desto weniger lang und schwerwiegend werden die Folgen sein.

Zum Abschluss aber noch etwas was mich wirklich aufregt. Die Bildzeitung titelte mit den Köpfen von drei Wissenschaftler*innen und der Schlagzeile: „Die Lockdown-Macher - dieses Trio bringt uns Frust zu den Festtagen“.

Wir dürfen nicht zulassen, dass Wissenschaftler*innen auf deren Expertise wir angewiesen sind, durch solche Aktionen eingeschüchtert werden. Nicht sie sind schuld an den hohen Corona-Zahlen, sondern das nicht Ernstnehmen von deren Warnungen und die vielen Ungeimpften. Daher stellen wir uns als Landtag vor sie und sagen: Dank und Hochachtung stellvertretend für alle Wissenschaftler*innen, Ärzt*innen und Pflegekräfte die unser aller Leben retten.

Vielen Dank an Viola Priesemann, Dirk Brockmann und Michael Meyer-Hermann.

 

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