Britta Kellermann: Rede zu Wattenmeer im Würgegriff (Aktuelle Stunde GRÜNE)
TOP 21A – Aktuelle Stunde Grüne: Das Wattenmeer im Würgegriff: Klimakrise, Gasbohrungen und Plastikmüll gefährden das Weltnaturerbe. Wie weiter nach der UN-Konferenz zum Schutz der Meere?
- Es gilt das gesprochene Wort -
Anrede,
Das Wattenmeer – diese einzigartige, lebendige Landschaft – ist nicht nur ein Naturwunder, sondern Weltnaturerbe der UNESCO. Es spielt eine zentrale Rolle für die Artenvielfalt auf unserem Planeten. Doch wir sind dabei, diesen Schatz zu verspielen.
Der Klimawandel verändert das Wattenmeer rasant. Steigende Meeresspiegel, Extremwetter und höhere Temperaturen bedrohen das empfindliche Gleichgewicht von Land und Meer. Viele Tier- und Pflanzenarten verlieren ihren Lebensraum.
Vor allem steigende Wassertemperaturen setzen den Arten zu. Manche wandern ab – wie der Kabeljau –, andere, wie die Steppenmöwe, wandern ein. Doch viele können sich nicht anpassen – und verschwinden. Auch die Lebenszyklen geraten aus dem Takt. Der Knutt, ein Watvogel, nutzt das Wattenmeer als Rastplatz auf seiner Reise. Doch wenn seine Küken in der Arktis schlüpfen, ist ihre Nahrung – kleine Insekten – oft schon verschwunden. Die Folge: Schlecht ernährte Jungvögel mit zu kurzen Schnäbeln, ein echtes Problem in den Winterquartieren in Afrika.
Klimakrise heißt nicht nur weniger Lebensraum – sie zerstört das feine Zusammenspiel der Natur.
Doch damit nicht genug: Plastikmüll ist längst im Wattenmeer angekommen. Über Strömungen und Wind gelangt er in diesen sensiblen Lebensraum. Tiere verwechseln ihn mit Nahrung, verhungern oder verenden daran. Auch wir Menschen sind betroffen – durch die Nahrungskette. Plastik im Meer ist Plastik auf unseren Tellern.
Auf der UN-Ozeankonferenz haben 95 Staaten den Weckruf von Nizza unterzeichnet. Sie fordern ein Plastikabkommen, das die Reduktion der Produktion von Primärkunststoffen regelt und die problematischsten Kunststoffe schrittweise verbietet.
Hinzu kommen andere Belastungen, die das Wattenmeer unter Druck setzen: Fischerei, Munitionsaltlasten, Phosphateinträge aus der Landwirtschaft – aber auch Frachtschiffe, deren Tankwaschungen Paraffin freisetzen, das später an unseren Stränden landet. Die Liste der Eingriffe ist lang – und wir kennen die Risiken.
Doch statt diesen Druck zu mindern, soll er weiter erhöht werden: Lobby-Ministerin Reiche plant, gemeinsam mit den Niederlanden ein sogenanntes Unitarisierungsabkommen zu unterzeichnen. Es würde neue Gasbohrungen und Leitungsbau am Rande des Niedersächsischen Wattenmeers rechtfertigen - mit erheblichen Auswirkungen auf den Borkumer Riffgrund. Diese Bohrungen widersprechen allem, was wir energie- und klimapolitisch beschlossen haben!
Das Gas, das wir jetzt noch brauchen, kommt über die bestehenden LNG-Terminals. Und ja: auch diese Terminals belasten das Wattenmeer. Deshalb arbeitet unser Umweltminister auch stetig an einer Umrüstung der Höegh Esperanza auf das Ultraschallverfahren zur Reinigung. Wenn es nach uns gegangen wäre, hätte es diese LNG-Terminals auch nicht gebraucht. Aber wir wissen alle, welche Umstände zum Bau geführt haben – nämlich die Energiekrise, ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Jetzt sind sie da und jetzt müssen wir das Beste draus machen indem wir sie schnellstmöglich auf klimaneutrale grüne Gase wie Wasserstoff umstellen.
Aber neue fossile Infrastruktur im Wattenmeer? Das widerspricht all dem, was wir aus der Klimakrise gelernt haben.
Noch dazu sollen für den Übergang doppelt so viele Gaskraftwerke gebaut werden, wie in der bisherigen Kraftwerksstrategie vorgesehen. Stattdessen sollte sich die Lobby-Ministerin Reiche lieber endlich auf den konsequenten Ausbau der Erneuerbaren Energien konzentrieren. Neue Gasbohrungen vor Borkum sind ein Irrweg – ökologisch falsch, klimapolitisch überholt, energiepolitisch unnötig.
Liebe Kolleg*innen, der Meeresaktionsplan, der auf der UN-Ozeankonferenz von Nizza unterzeichnet wurde, sieht rund 2500 Selbstverpflichtungen und Finanzzusagen vor, z.B. für die Ausweitung von Schutzgebieten.
Mit dem Niedersächsischen Wattenmeer haben wir bereits ein riesiges Schutzgebiet vor der Haustür, das auf einer Stufe ist mit anderen globalen Naturwundern, wie dem Grand Canyon oder dem Great Barrier Reef. Es gehört zu den unschätzbaren und unersetzlichen Schätzen der Menschheit. Diese internationale Anerkennung verpflichtet uns, dieses wertvolle Erbe zu schützen und für zukünftige Generationen zu bewahren.
Vielen Dank.