Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Im zunehmenden Maße werden Politikerinnen und Politiker belästigt, beleidigt, bedroht und sogar körperlich angegriffen. Dies geschieht insbesondere bei Menschen, die sich häufig ehrenamtlich oder mit einer geringen Aufwandsentschädigung für die Belange ihrer Kommune einsetzen. Aber auch Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages oder des Bundestages sind betroffen von solchen Angriffen. Der Deutscher Städte- und Gemeindebund hat sich bereits im Mai 2018 in einer Veröffentlichung „HASS, BEDROHUNGEN & ÜBERGRIFFEGEGEN MANDATSTRÄGER URSACHEN & GEGENSTRATEGIEN“ positioniert und Gegenstrategien angeregt. Seitdem gibt es vielfältige Initiativen aus verschieden Bereichen, die sich mit der Problematik beschäftigen. Allein im kommunalen Bereich sind nach einer Umfrage des Magazins KOMMUNAL 40 % aller Rathäuser mit Stalking, Beschimpfungen und Drohungen konfrontiert.
Einschüchterungen und Hassbotschaften finden dabei nicht nur in der Anonymität der sozialen Medien im Internet statt, sondern sie dringen vor bis in das Privatleben von Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen. Der Hass kommt oft von rechts, aber auch aus der Mitte der Gesellschaft.
Der Mord an dem Landrat des Kreises Hameln-Pyrmont, Rüdiger Butte im Jahr 2013, die Anschläge auf die heutige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reger im Jahr 2015, auf den Bürgermeister der westfälischen Stadt Altena, Andreas Hollstein, im November 2017 oder den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 zeigen, dass Hass in tödliche Gewalt münden kann.
Die Bedrohung (10.01.2020, 20:01 Uhr - NDR 1 Niedersachsen) hat auch Oldenburgs Polizeipräsident Johann Kühme erreicht, der eine E-Mail mit den Worten "Nicht heute, nicht morgen, denk einfach an Lübcke" erhielt.
Vor diesem Hintergrund fordert der Landtag die Landesregierung auf:
I.
- In den Polizeidirektionen des Landes hauptamtliche Ansprechpartner*innen für Betroffene von Hate Speech im Netz zu installieren;
- Hate Speech-Delikte und deren effektive Verfolgung in der polizeilichen Ausbildung an der Polizeiakademie und auch in Fortbildungen für langjährige Polizeibeamt*innen umfassender zu behandeln;
- Schwerpunktstaatsanwaltschaften oder spezialisierte Dezernate für Hate Speech-Delikte einzurichten, bei denen alle Anzeigen im Bereich Hass im Netz zentral zusammenlaufen, damit konzertiert bei Hassangriffe ermittelt werden kann;
- Strafverfolgungsbehörden und Gerichte personell und technisch so auszustatten und auszubilden, dass Strafrechtsverstöße im Netz den Bedürfnissen der Betroffenen angemessen und zeitnah bearbeitet werden können;
- darüber hinaus dafür zu sorgen, dass Hate Speech im Rahmen der juristischen Ausbildung eingehend behandelt wird und dass die Anwärter*innen auf das zweite Staatsexamen umfangreich hierauf vorbereitet werden;
- ein Konzept für eine zentrale Beratungsstelle für Opfer von Hate Speech zu entwickeln, um Betroffene schnell und kompetent unterstützten zu können.
II.
- ein Forschungsprojekt aufzulegen, in dem insbesondere die Fragen untersucht werden,
a. welche Bedeutung Hate Speech im Netz hat;
b. welche gesellschaftlichen Gruppen besonders von Hate Speech und digitaler Gewalt betroffen sind;
c. nach Frauenfeindlichkeit und Rassismus sowie
d. wie erfolgreiche Gegenstrategien entwickelt werden können. - nach dem Vorbild der zentralen Meldestelle "respect!" für Hate Speech in Baden-Württemberg ein vergleichbares Angebot für Niedersachsen zu installieren;
- das Thema Hate Speech als schulart- und fächerübergreifenden Bildungs- und
- Erziehungsziele in der Medienbildung/Digitale Bildung zu verankern;
- Unterrichtsmaterialien und eine Handreichung zum Thema Hate Speech bereitzustellen, um alle Lehrkräfte zu befähigen, in ihrem Unterricht „Hass im Netz“ zu thematisieren;
- Inhouse-Schulungen für Lehrkräfte, Schulpsychologen und Beratungslehrkräfte zum Thema Hate-Speech und Intervention anzubieten;
- die Konzeptionen der Landeszentrale für politische Bildung und dem Landespräventionsrat Niedersachsen um das Problemfeld Hate Speech zu erweitern sowie personelle Ressourcen für den Bereich der Aufklärung und Bekämpfung von Hate Speech zur Verfügung zu stellen.
Begründung
Hate Speech umfasst sämtliche Ausdrucksformen des Rassismus, der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, etwa des Antisemitismus’ oder andere auf Intoleranz gründende Formen von Hass, diese zu propagieren, zu befördern oder zu rechtfertigen, Hate Speech drückt einen aggressiven Nationalismus und Ethnozentrismus, Diskriminierung und Feindseligkeit gegenüber Minderheiten und Menschen mit Migrationshintergrund aus (vgl. Europarat, Ministerkomitee, Empfehlung Nr.(97/20). Hate Speech ist kein virtuelles Problem, sondern vergiftet den Umgang der Menschen miteinander im Alltag. Es geht darum, anderen die Würde, die Menschlichkeit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit abzusprechen. Hate Speech und die dahinterstehenden Einstellungen sind nicht zu akzeptieren, sondern ist nach dem Strafgesetzbuch als Bedrohung (Paragraph 241) zu verfolgen und zu verurteilen.
Demokratinnen und Demokraten müssen Hasssprache auf allen Ebenen begegnen und sie bekämpfen. Denn sie trifft Kinder und Jugendliche, die Cyber-Mobbing und brutalen Angriffen ausgesetzt sind. Sie trifft politisch und gesellschaftlich Aktive, die sich für die Gemeinschaft engagieren und für eine Sache eintreten genauso wie religiöse Minderheiten, Menschen mit Migrationshintergrund sowie queere Lebensformen. Hate Speech kann jede und jeden treffen.