Antrag: Zukunftsgerechte Verkehrspolitik statt immer mehr unbezahlbarer Neubauplanungen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

  • Das im Schreiben vom 27.07.2012 des Niedersächsischen Verkehrsministers Jörg Bode an den Landtagspräsidenten vorgestellte Konzept der Landesregierung zur Anmeldung der niedersächsischen Projekte zur Neuaufstellung des Bundesverkehrswegeplanes bedarf dringend der Korrektur. Angesichts der bescheidenen Umsetzungsbilanz des laufenden Bundesverkehrswegeplanes in Niedersachsen und angesichts der vielen, bisher nicht einmal mit einem Spatenstich begonnenen Großprojekte, die bis 2015 fertig gestellt sein sollten, sind die jetzt von Minister Bode ins Spiel gebrachten diversen neuen Autobahnprojekte geradezu absurd.
  • Verantwortliche Verkehrs- und Infrastrukturpolitik muss sich in Zukunft zugleich den strengen Vorgaben zur CO2-Minderung als auch dem demografischen Wandel, ebenso wie dem zunehmenden Güterverkehr und der öffentlichen Finanzklemme stellen. Um alle vier Kriterien zugleich zu berücksichtigen, ist es in Zukunft zwingend erforderlich, mit dem bisher für Verkehr vorhandenen Geld auszukommen und es sinnvoll umzuverteilen. Dies drückt sich grundsätzlich auch in der Vorgabe des Bundesverkehrsministers aus, der ein Gesamtkonzept für die Verkehrsinfrastruktur anstrebt, das realistisch und finanzierbar ist. Es bedarf aber offenbar noch gezielter Interventionen von Seiten der Länder, um nicht nur die haushalterische Ausgewogenheit der zukünftigen Verkehrsplanung sicher zu stellen, sondern auch die Berücksichtigung von Klimaschutz und Demografie.
  • Grundlage des neuen Bundesverkehrswegeplanes müssen unter den oben genannten Rahmenbedingungen ein verbesserter Substanzerhalt, die gezielte Entlastung bisheriger Engstellen und überforderter Knotenpunkte sowie die möglichst effiziente Vernetzung der Verkehrsträger Schiene, Wasser und Straße sein.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

  1. Die Landesregierung wird aufgefordert, die Anmeldung des Landes zum neuen Bundesverkehrswegeplan aus einer fundierten und aktualisierten niedersächsischen/norddeutschen Verkehrsentwicklungsplanung heraus abzuleiten. Maßstab dazu sollen die zukünftig dominierenden Rahmenbedingungen Klimaschutz, Neuverschuldungsverbot, globalisierungsbedingte Güterverkehrsentwicklung und Bevölkerungsentwicklung sein. Fortgeschriebene Verkehrsentwicklungszahlen vergangener Jahrzehnte, die weder die Erfordernisse der Anpassung an den Klimawandel noch die zukünftig weiter abnehmende Bevölkerung oder das sich bereits heute verändernde Mobilitätsverhalten der Menschen berücksichtigen, sind als Grundlage für eine zukunftsfähige Verkehrsentwicklungsplanung ungeeignet.
  2. Der Landtag fordert auch eine Abkehr von der bisherigen Praxis von absehbar nicht realisierbaren und für den Landeshaushalt teuren Schubladenplanungen und von der politischen Anscheinserweckung mit mehrfacher Überzeichnung des Bundesverkehrswegeplanes, wodurch eine echte Prioritätensetzung mit Umsetzung der jeweils dringendsten und effektivsten Verkehrsprojekte nicht sichergestellt war und durch willkürliche politische Eingriffe oft unterlaufen wurde.
  3. Zukünftig muss im Bundesverkehrswegeplan wie auch in der Landesverkehrsplanung der Substanzerhalt der Infrastruktur Vorrang vor dem Ausbau und dieser wiederum Vorrang vor dem Neubau haben. Über die Verteilung der Planungskosten wird mit dem Ziel einer höheren Kostendeckung mit dem Bund neu verhandelt. Auch die Mitfinanzierung des Bundes bei Erhalt und Ausbau von NE-Bahntrassen (Nicht bundeseigene Bahnen) soll in Zukunft gewährleistet werden.
  4. Eine Umgehung von Finanzierungsengpässen beim Straßenbau durch die Erhebung einer allgemeinen PKW-Maut, wie von einigen Politikern auch in Niedersachsen immer wieder gefordert, lehnt der Landtag ab. Steigende Einnahmen aus der LKW-Maut müssen für den Substanzerhalt und den klimafreundlichen Umbau der Infrastruktur genutzt werden.
  5.  Auch die Verlagerung der Aus- oder Neubaukosten von Verkehrswegen in die Zukunft durch sogenannte Public-Private-Partnership–Projekte (PPP) mit einer teilweisen Vorfinanzierung der Baukosten durch private Bauträger hält der Landtag nach den bisher bekannten Konzepten und den damit gemachten Erfahrungen nicht für sinnvoll. Nur wenn im Einzelfall eindeutig und überprüfbar nachgewiesen wird, dass eine private Finanzierung von Verkehrwegeprojekten für öffentliche Haushalte mit klaren finanziellen Vorteilen verbunden ist und auch auf lange Sicht dem Staat keine finanziellen Nachteile entstehen, ist dies eine Option.
  6. Der Landtag fordert die Landesregierung ferner auf, sich dafür einzusetzen, dass die Leistungen und Funktionen der Binnenschifffahrt und intermodaler Güterverkehre stärker als bisher im Bundesverkehrswegeplan berücksichtigt werden. Die Landesregierung soll daher auch die nach den Kriterien dieser Entschließung notwendigen Maßnahmen bei den Binnenschifffahrtswegen und den landseitigen Schienenanbindungen der Seehäfen stärker berücksichtigen. Das betrifft insbesondere den notwendigen Neubau eines Schiffshebewerkes bzw. einer Schleuse am ESK in Scharnebeck, sowie die Rücknahme der Abstufung des Küstenkanals im Binnenwasserstraßenkonzept der Bundesregierung.

Begründung

Die Bundesverkehrswegeplanung muss vom bisherigen Wunschdenken und alten Verkehrskonzepten dringend auf die aktuellen Rahmenbedingungen und Herausforderungen umgestellt werden. Wie groß die Lücke zwischen den Wunschlisten der Landesregierung und der eigenen Regierungsrealität bereits klafft, wird an der Aus- und Neubaubilanz von CDU/FDP aus den vergangenen neun Jahren deutlich (Drs. 16/4996). Mit rund 1,6 Milliarden Euro, die der Bund für Aus- und Neubauten einschließlich erheblicher Konjunkturprogramme in dieser Zeit zur Verfügung stellte, konnten 74 Kilometer neue Autobahnen gebaut werden, 88 Autobahnkilometer wurden damit ausgebaut und auf 146 Kilometer Bundesstraße fanden Aus- bzw. Neubaumaßnahmen statt. Setzt man dies in das Verhältnis zum zukünftigen Neuverschuldungsverbot bei Bund und Land, den explodierenden Tiefbaukosten bei Großprojekten (derzeitige Kosten bei der geplanten A 39 über 1 Milliarde Euro und bei der A 20 mit Elbquerung eher 4 als 3 Milliarden Euro) macht das bereits deutlich, das hier nur Luftbuchungen und populistische Klientelpolitik gemacht werden, wenn immer mehr Straßenneubauprojekte in Niedersachsen von der CDU/FDP-Landesregierung gegenüber allen anderen verkehrspolitischen Belangen in den medialen Vordergrund geschoben werden.

Straßenbaupolitik wird sich angesichts des in den vergangenen Jahrzehnten stark gewachsenen Straßennetzes zudem in Zukunft stärker dem Substanzerhalt widmen müssen. Es ist alarmierend, dass nach einer Übersicht der Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr in Niedersachsen bereits 36 Prozent der Bundesstraßen und sogar 44 Prozent der Landesstraßen sofort oder zumindest so bald wie möglich grundlegend repariert werden müssen. Die mangelnde Instandhaltung der vergangenen Jahre aus Gründen der Priorität für die prestigeträchtigeren Neubauprojekte ist auch nach Ansicht des Rechnungshofes eine Vernichtung öffentlichen Vermögens.       

Zur Erfüllung der Klimaschutzziele der Bundesregierung ist bis 2020 eine Minderung der CO2-Emissionen des Verkehrs von 40 Prozent gegenüber 1990 erforderlich. Die Verkehrsemissionen in Deutschland stiegen aber zwischen 1990 und 2007 um mehr als 12 Prozent. Ursache ist der in dieser Zeit massiv gestiegene Verkehrsaufwand im Güterverkehr um 66 Prozent und im Personenverkehr um 26 Prozent. Die Länge der Straßen nahm um 2 Prozent, die der Autobahnen um 14,4 Prozent zu. Dagegen wurden die Schienentrassen um 6,3 Prozent reduziert. In Niedersachsen werden über 90 Prozent der CO2-Emissionen des Verkehrs (gesamt 17 Millionen Tonnen) durch den Straßenverkehr verursacht (Schiene 5 Prozent, Luftverkehr 4 Prozent, Binnenschifffahrt 0,2 Prozent). Durch eine Verlagerung vom PKW auf Bus und Bahn können die Treibhausgasemissionen pro Fahrt um 40 bis 70 Prozent reduziert werden.

Um das besonders klimafreundliche ÖPNV-Angebot insbesondere für den größer werdenden Anteil an älteren und sehr alten Menschen in unserem Land und die zunehmende Zahl der Hauhalte ohne eigenes Automobil auszubauen, kann deshalb nur zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern umgeschichtet werden. Daneben sind für den nicht anderweitig vermeidbaren, wachsenden Güterverkehr die effizientesten und klimaverträglichsten Wege zum Kapazitätsausbau zu suchen.

Niedersachsen kann und darf es sich nicht länger leisten, jährlich mit 90 Millionen Euro Landesmitteln die  Bundesfinanzierung für Bundesstraßen und Autobahnen zu bezuschussen. Ziel muss eine vollständige Eigenfinanzierung der Bundesaufgabe durch den Bund sein. Als ersten Schritt soll der Eigenanteil an den Schnitt anderer Länder angepasst werden und der Landesbeitrag zumindest halbiert werden, um damit zumindest einen 50-Prozent-Eigenanteil an der Landesfinanzierung für den Schülerverkehr zu übernehmen. Damit hätte das Land 45 Millionen Euro aus den bisher hierfür fälschlicherweise genutzten Regionalisierungsmitteln des Bundes für Angebots- und Qualitätsverbesserungen im Schienenverkehr zur Verfügung.                                                                                    

Die Zukunft der Straßeninfrastruktur muss dem Grundsatz folgen: „Erhalt vor Neubau!“

Sowohl aufgrund der notwendigen Umsteuerung zu den klimaverträglicheren Verkehrsträgern als auch wegen der Versäumnisse der vergangenen Jahre müssen Investitionen in den Substanzerhalt der Infrastruktur Priorität erhalten gegenüber dem Neubau. Daneben muss ein modernes Verkehrsmanagement aufgebaut werden, das mehr Verkehrssicherheit, -effizienz und -intermodalität im Zeichen des Klimaschutzes zum Ziel hat. Dazu braucht es einen umfassenden Aufbau von Telematik-Anlagen auf allen Autobahnen und stark befahrenen Bundesstraßen in Niedersachsen, um dort umwelt- und sicherheitsbezogen Verkehrslenkung und -kontrolle zu ermöglichen.

Güter verlagern auf Schienen und Binnenwasserwege!

Wirtschaftlicher und schneller als der bisher vorrangig geplante Neubau von Trassen für ICE-Züge ist der Bestandsausbau durch zusätzliche Gleise für mehr Güterzüge. Damit würde vermieden, neue Belastungen in bisher unbelastete Bereiche zu tragen, und die AnwohnerInnen an den Bestandsstrecken würden durch den Ausbau mit den damit zwingend verbundenen Lärmschutzwänden sogar entlastet.

Für den wachsenden Güterverkehr auf der Schiene ist eine europaweite Vorgabe zur Lärmminderung an den Wagen durch die neuartigen Kunststoffbremsblöcke überfällig. 

Die Möglichkeit, Güter auf vorhandenen Binnenwasserstraßen zu transportieren, muss z.B. durch den kurzfristigen Ausbau des Schiffshebewerkes Scharnebeck und andere Maßnahmen zur Beseitigung von Engstellen konsequenter genutzt und im Bundesverkehrswegeplan gefördert werden.

Stefan Wenzel

Fraktionsvorsitzender

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