Antrag: Versorgung von traumatisierten und psychisch erkrankten Geflüchteten verbessern!

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Niedersachsen hat den Anspruch, Geflüchteten Schutz und Sicherheit zu bieten. Eine gute Versorgung von traumatisierten und psychisch erkrankten Geflüchteten gehört ganz wesentlich dazu. Die-se Geflüchteten brauchen, um genesen zu können, besonderen Schutz und Fürsorge. Ihre gute Versorgung ist aber auch ein wichtiger Baustein sowohl für ihre gelingende Integration als auch für die Sicherheit der Aufnahmegesellschaft.

Niedersachsen wird sich für eine frühzeitigere Erkennung und bessere Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen und anderen psychischen Erkrankungen bei Geflüchteten einsetzen. Es wird für eine sichere Umgebung sowie für ein gutes Angebot an stabilisierender psychosozialer und psychotherapeutischer Unterstützung sorgen. Auch sollen eine gute Unterbringung im Rahmen der Aufnahme, eine entsprechende Betreuung und spezielle Unterstützungsleistungen im Asylverfahren sichergestellt werden.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. die Aufnahmeeinrichtungen des Landes klein, stadtnah und leicht erreichbar zu gestalten. So ist der Vertrag für die abseits im Wald und neben einem aktiven Truppenübungsplatz gelegene Aufnahme-einrichtung in Bad Fallingbostel-Oerbke, der zum Ende des Jahres 2022 ausläuft, nicht zu verlängern.
  2. die Verweildauer in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes möglichst kurz zu gestalten
  3. eine geschützte Unterbringung anzubieten
  4. für Privatsphäre und Rückzugsräume zu sorgen
  5. ein höchstmögliches Maß an selbstbestimmter Lebensführung zu gewährleisten
  6. geschützte Räume sowie eine psychosoziale Begleitung sind speziell für Frauen und Kinder auf-grund deren besonderer, häufig sexualisierter, Gewalterfahrungen zu gewährleisten
  7. Transparenz bei allen Abläufen in den Aufnahmeeinrichtungen und Möglichkeiten der Mitbestimmung zu schaffen
  8. Zugang zu Arbeit, Beschäftigung, Bildung und Mobilität zu ermöglichen
  9. eine unabhängige Beschwerdestelle zu schaffen
  10. Verwandtschaftsverhältnisse und soziale Beziehungen bei der Verteilung zu berücksichtigen
  11. möglichst eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen in den Kommunen zu ermöglichen
  12. den Zugang zu Fachärzt*innen zu erleichtern, insbesondere in ländlichen Regionen, und einheitliche Standards für die von verschiedenen Wohlfahrtsträgern angebotenen Gesundheitsdienste in den Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen
  13. den möglichst unbürokratischen Zugang zu Medikamenten zu ermöglichen
  14. eine Weiterverteilung an Standorte oder Kommunen vor Abschluss der diagnostischen Gespräche zu unterlassen, es sei denn, eine Frühdiagnostik kann am Folgeort weitergeführt werden
  15. eine Verteilung in Gebiete mit wenig oder keinem Zugang zu Behandlungsangeboten für psychisch erkrankte Menschen zu unterlassen
  16. schutzbedürftige Personen konsequent an Psychosoziale Zentren weiterzuvermitteln und die geschaffene Infrastruktur an psychosozialen Zentren zu erhalten sowie von den in Aussicht gestellten Einspar- und Abbauszenarien auch nach Auslaufen der Bundesmittel Abstand zu nehmen
  17. die Asylverfahrensberatung individuell und unabhängig zu gestalten
  18. sich dafür einzusetzen bzw. zu gewährleisten, dass sämtliche Mitarbeiter*innen des BAMF und der LAB NI einschließlich des Security-Personals sowie die Dolmetscher*innen regelmäßig im Umgang mit Traumatisierung und psychischer Erkrankung geschult werden und dafür Standards entwickelt werden. Zudem ist für diese Personen Supervision anzubieten, auch um dem Burn-Out-Syndrom und der sogenannten Mitleidsmüdigkeit (compassion fatigue) vorzubeugen.
  19. sich gegenüber dem BAMF dafür einzusetzen, dass bei der Erstellung von Arztberichten und Stellungnahmen längere Zeiten toleriert werden
  20. dienststellenübergreifende Arbeitsgruppen in den Aufnahmeeinrichtungen einzurichten und dort regelmäßige Fallbesprechungen zu ermöglichen

Begründung

Geflüchtete Menschen haben oftmals schwere Menschenrechtsverletzungen erlebt und leiden infolge ihrer Erlebnisse häufig unter Traumafolgeerkrankungen. Im Vergleich zur übrigen Bevölkerung und zu anderen Migrant*innen sind Geflüchtete vielfach stärker von psychischen Störungen betroffen. Laut einer in einer Landesaufnahmebehörde in Leipzig durchgeführten Studie wurden bei 49,7 Prozent der befragten Geflüchteten mindestens eine der untersuchten psychischen Störungen fest-gestellt, wovon knapp 30 Prozent an einer depressiven Episode oder einem anderen depressiven Syndrom und knapp 30 Prozent an einer Posttraumatischen Belastungsstörung litten. Eine Untersuchung in Berlin zeigte bei 74,6 Prozent der untersuchten Geflüchteten Symptome von mindestens einer psychischen Erkrankung auf. In einer anderen Studie von Richter aus dem Jahr 2018 wurden in einer zentralen Aufnahmeeinrichtung in Bayern bei 45 Prozent der Asylsuchenden eine oder mehrere psychische Diagnosen festgestellt.

Seit dem 20. Juli 2015 verpflichtet sich Deutschland durch die Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/ EU, die speziellen Bedürfnisse schutzbedürftiger Asylsuchender zu identifizieren und ihnen die erforderliche Unterstützung zu gewähren. Im Erwägungsgrund 14 der Aufnahmerichtlinie heißt es: „Die Umstände für die Aufnahme von Personen mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme sollten ein vorrangiges Anliegen für einzelstaatliche Behörden sein, damit gewährleistet ist, dass bei dieser Aufnahme ihren speziellen Aufnahmebedürfnissen Rechnung getragen wird.“ Zu den besonders schutzbedürftigen Personen gehören unter anderen Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wie z.B. Opfer der Verstümmelung weiblicher Genitalien. Diese Personen benötigen besonderen Schutz und haben Anspruch auf spezielle Unterstützungsleistungen sowie angepasste Aufnahmebedingungen und medizinisch-psychologische Hilfen.

Um die besonderen Leistungen garantieren zu können, müssen betroffene Asylsuchende als Personen mit besonderen Bedürfnissen erkannt werden. Eine frühzeitige Erkennung und Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen und anderen psychischen Erkrankungen können einer Chronifizierung der Krankheit vorbeugen und sind Voraussetzungen für die erfolgreiche Integration der Betroffenen. Entscheidend für die Verarbeitung der Krankheiten sind eine sichere Umgebung sowie stabilisierende psychosoziale und psychotherapeutische Unterstützungsangebote. Die Qualität der Unterbringung im Rahmen der Aufnahme, eine entsprechende Betreuung und spezielle Unterstützungsleistungen im Asylverfahren sind zu diesem Zweck essentiell.

Hilflosigkeit und Kontrollverlust sind die Kernerfahrungen traumatischen Erlebens. Erneutes Erleben von Ausgeliefertsein und Ohnmacht kann als Trigger wirken und damit erneut Verzweiflung, Angst, Panik und Wut auslösen und die Symptomatik posttraumatischer Erkrankungen verstärken. Deshalb sind diese Trigger unbedingt zu vermeiden und den Geflüchteten einen Kontrollgewinn zu verschaffen.

Zurück zum Pressearchiv