Antrag: Verbesserung der wirtschaftlichen, ökologischen und humanitären Lage der Menschen im globalen Süden heißt Fluchtursachen bekämpfen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Die beste Flüchtlingspolitik ist und bleibt diejenige, die Menschen davor bewahrt, ihre Heimat verlassen zu müssen, sei es aufgrund von Krieg, Verfolgung, Folter, Hunger, Dürren oder anderen Krisen.

Vor diesem Hintergrund stellt der niedersächsische Landtag fest, dass ein wichtiger Baustein der niedersächsischen, deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik die Bekämpfung der Fluchtursachen sein muss. Unser Ziel muss sein, die wirtschaftliche, ökologische und humanitäre Situation der Menschen in ihren Herkunftsländern zu verbessern und vor Ort Frieden, Sicherheit und Entwicklungsperspektiven zu schaffen. Darüber hinaus braucht es eine effektive Klimaschutzpolitik, um zu vermeiden, dass zukünftig Millionen von Menschen wegen der Klimakrise ihre Heimat verlassen müssen.

Die strukturellen Ursachen der Zerstörung von Lebensgrundlagen sind nicht kurzfristig zu beseitigen. Vielmehr ist das eine Daueraufgabe, die aber kurzfristig anzugehen ist. Dabei tragen Niedersachsen, Deutschland und Europa eine große Verantwortung.

Obwohl Krieg eine zentrale Fluchtursache ist, exportieren wir Rüstungsgüter in Kriegs- und Krisengebiete. Auch Niedersächsische Unternehmen tragen mit ihren Rüstungsexporten dazu bei, dass sich die Situation in den Ländern des globalen Südens nicht hin zu einer friedlicheren, stabileren Gesellschaft entwickeln kann.

Zusätzlich überfischen wir die Weltmeere und nehmen in Kauf, dass unsere Agrarexporte andernorts die Existenzgrundlage von Bäuerinnen und Bauern zerstören. Der ungleiche Ressourcenverbrauch der Industrieländer sowie die immer noch bestehenden Menschenrechtsverletzungen in internationalen Lieferketten wirken sich ebenfalls auf Fluchtbewegungen aus. Mit unseren CO2-Emmissionen zerstören wir das weltweite Klima. Als Folge ist die Klimakrise eine Fluchtursache, die sich in den nächsten Jahren deutlich verstärken wird. Es braucht deshalb eine kohärente internationale Politik und strukturelle Reformen in Bereichen wie Handel, Landwirtschaft, Energie, Fischerei, Außenpolitik und beim Klimaschutz, wie sie die nachhaltigen Entwicklungsziele der UN vorgeben.

Der Landtag steht zum Recht auf Asyl. Dieses Recht darf weder eingeschränkt noch aufgeweicht werden. Klar ist jedoch auch, dass Fluchtursachen reduziert werden, wenn auch Niedersachsen durch eine soziale, faire, umweltfreundliche und friedensstiftende Politik seinen Anteil leistet.

Vor diesem Hintergrund fordert der Landtag die Landesregierung auf

  1. sich im Bundesrat und gegenüber der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass die Mechanismen der Rüstungsexportkontrolle weiterentwickelt und dabei die vertragsgemäße Verwendung exportierter Rüstungsgüter durch Partner*innen und Verbündete stärker Berücksichtigung findet. Darüber hinaus ist ein Rüstungsexportgesetz zu fordern, welches die bestehenden nationalen, europäischen und internationalen Exportrichtlinien präzisiert und sachgerecht verschärft. Nur so wird ein restriktiver, transparenter, nachvollziehbarer und glaubwürdiger Umgang mit Rüstungsexporten erreicht.
  2. sich nicht nur gegenüber der Bundesregierung, sondern auf allen Ebenen dafür einzusetzen, dass zivile Konfliktmechanismen zunehmend Anwendung finden, im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit die Stärkung der Zivilgesellschaft höher gewichtet werden sowie die Fluchtursachenbekämpfung -unter Anerkennung der fluchtverstärkenden Rolle von Rüstungsexporten in Konfliktregionen- ein größerer Raum in der internationalen Sicherheitspolitik eingeräumt wird.
  3. einen verstärkten Dialog zwischen Politik, Gesellschaft und Unternehmen zu initiieren, um die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen unter Berücksichtigung wirtschaftlicher und ethischer Aspekte fortzuentwickeln und dabei veränderten Konfliktdynamiken sowie der Fluchtursachenbekämpfung angemessen Rechnung zu tragen. Darüber hinaus ist der Runde Tisch zur Bekämpfung von Fluchtursachen unter Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen wieder einzurichten.
  4. die niedersächsische Nachhaltigkeitsstrategie umzusetzen und weiterzuentwickeln sowie zur Grundlage des politischen Handelns zu machen. Dazu gehört die konsequente Anwendung eines Nachhaltigkeitschecks für neue und bestehende niedersächsischen Gesetze und Verordnungen. Im Besonderen sind alle umweltschädlichen Subventionen bis Ende 2020 abzubauen.
  5. eine konsequente Prüfung, Umsetzung und Weiterentwicklung der 2015 vom Kabinett beschlossenen entwicklungspolitischen Leitlinien, um die negativen Folgen unseres Wirtschaftens für andere Weltregionen abzustellen sowie Armut und Zukunftslosigkeit zu bekämpfen.
  6. einen SDG-konformen Landeshaushaltes bzw. ein Nachhaltigkeitscheck im Sinne der SDGs für den Landeshaushalt aufzustellen.
  7. die (regionale) Wirtschaftsförderung an den Prinzipen der Nachhaltigkeit auszurichten und regionale Wirtschaftskreisläufe zu unterstützen. Bei der Förderung von Unternehmensgründungen in Niedersachsen ist ein Fokus auf Nachhaltigkeitskriterien (SDGs) zu richten.
  8. sich auf EU- und Bundesebene sowie innerhalb der eigenen Wirtschaftspolitik stärker für eine inklusive, multilaterale Handelsordnung einzusetzen, in der verbindliche Regeln für einen fairen Handelsaustausch und für global agierende Wirtschaftsakteurer*innen geschaffen und Sozial- und Umweltstandards abgesichert werden.
  9. sich auf Bundesebene für die Einführung eines Lieferkettengesetzes zur gesetzlichen Verankerung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten und verbesserter Transparenz von deutschen Unternehmen in den globalen Lieferketten durch wirksame ordnungsrechtliche Sanktionen einzusetzen.
  10. Global Footprint Analysen (ISO 14044, ISO 20400 & Sustainable procurement) als Vergabekriterien im Vergabegesetz festzuschreiben.
  11. eine Konferenz zur „Nachhaltigen Beschaffung in Norddeutschland“ unter Beteiligung der Kompetenzstelle Nachhaltige Beschaffung sowie weiterer Akteure wie Mitgliedsorganisationen des VEN, kirchlicher Träger und Gewerkschaften zu veranstalten.

Begründung

Weltweit sind Millionen Menschen vor Krieg, Terror, politischer Verfolgung sowie den Folgen der Klimakrise und Armut auf der Flucht. Die beste Möglichkeit, um die Menschen vor der oft gefährlichen Flucht aus ihrer Heimat und allen damit auf die Lebensführung der Betroffenen assoziierten negativen Folgen zu schützen, ist eine Bekämpfung von Fluchtursachen. Diese erfolgt bisher aufgrund fehlender internationaler Solidarität nicht. In der Folge sucht ein Großteil der Flüchtenden Schutz in den zumeist ebenfalls instabilen Nachbarregionen ihrer Herkunftsländer.

Viele Menschen sind aufgrund von Krieg, Armut und Perspektivlosigkeit zur Flucht gezwungen. In Westafrika werden vielen Menschen durch die europäische Fischerei- und Agrarpolitik – wie beispielsweise den Export billiger Hühnchenschenkel – die Lebensgrundlagen zerstört. Auch die fehlende oder mangelhafte Umsetzung von Landrechten und wirksamen Maßnahmen gegen „Land Grabbing“ bedrohen die marginalisierte Landbevölkerung. Dies sind zwei exemplarische Beispiele, die verdeutlichen, dass diese Menschen keine Zukunft im eigenen Land haben, da auch Niedersachsen als Industriestandort durch seine Politik und Wirtschaftsweise eine Mitverantwortung dafür trägt, dass sie sich in dieser Lage befinden.

Aus diesem Grund muss sich Niedersachsen beim Bund dafür einsetzen, dass Deutschland endlich sein jahrzehntealtes Versprechen einlöst und 0,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für globale Entwicklung verwendet. Dabei ist klar, dass Entwicklungspolitik nur einen begrenzten Beitrag leisten kann, Menschen aus der tiefsten Armut zu befreien. Darum müssen Deutschland und Niedersachsen endlich mit Entschiedenheit darangehen, die 17 Ziele der globalen Nachhaltigkeitsagenda 2030 umzusetzen. Eine wirkliche Nachhaltigkeitsagenda, die ganzheitlich auch Fragen der Friedens-, Entwicklungs-, Handels-, Geschlechter-, Klima- und Flüchtlingspolitik in den Blick nimmt und Grundsätze für unser außenpolitisches Handeln beschreibt, kann die Welt friedlicher und gerechter machen. Sie ist somit integraler Bestandteil einer aktiven Fluchtursachenbekämpfung und Konfliktprävention.

Auch die Klimakrise zwingt schon heute jedes Jahr mehrere Millionen Menschen weltweit zur Flucht, weil Hochwasser, Meeresspiegelanstieg, Wetterextreme, Dürren, Stürme und Hitzewellen ihre Heimat bedrohen. Es ist davon auszugehen, dass diese Zahlen in den nächsten Jahren noch ansteigen werden, wenn wir die Klimakrise nicht in den Griff bekommen. So geht die internationale Organisation für Migration (IOM) in ihren mittleren Szenarien von über 200 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2050 aus. Darüber hinaus wirkt die Klimakrise auf gewalttätige Konflikte um Ressourcen, Lebensraum, Wasser und soziale Ungleichheit wie ein Brandbeschleuniger. Die Klimakrise, die vor allem von den Industriestaaten verursacht wurde und wird, gefährdet damit die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte großer und besonders verwundbarer Bevölkerungsgruppen im globalen Süden. Zudem bedroht die Klimakrise weltweit Artenvielfalt und Ökosysteme und damit auch unser aller Lebensgrundlagen. Während die Industrieländer für fast 80 Prozent der CO2-Anreicherung in der Atmosphäre verantwortlich sind, tragen die ärmsten Länder 80 Prozent der dadurch entstandenen und entstehenden Schäden. Die Klimakrise und der zunehmende Verlust von Artenvielfalt ergeben eine gefährliche Mischung, denn nur starke, gesunde und artenreiche Ökosysteme sind gegenüber der Klimakrise widerstandfähig. Der Umgang mit der Klimakrise ist darum in erster Linie eine globale Gerechtigkeitsfrage. Es braucht Unterstützung für Anpassungsmaßnahmen in den Ländern, die dafür die wenigsten Kapazitäten haben. Außerdem muss umgehend die Debatte für einen verbesserten Schutz und Rechtssicherheit von Klima- und Umweltflüchtlingen vorangebracht werden.

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