Antrag: Unterrichtsversorgungserlass korrigieren -mehr Lehrerstunden für Förderung und Differenzierung, Gesamtschulen und Volle Halbtagsschulen nicht ausbluten

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Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Hannover, den 03.12.03

Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Der Landtag stellt fest:
Der neue Erlass zur Klassenbildung und Lehrerstundenzuweisung an den allgemein bildenden Schulen, der am 5.11.2003 im Entwurf vorgelegt worden ist, wird die Unterrichtsversorgung an der Mehrzahl der Schulen deutlich verschlechtern:
 Die Klassenfrequenzen an den Gesamtschulen, den Realschulen und den Gymnasien werden heraufgesetzt.
 Die Lehrerstunden für größere Klassen werden gekürzt.
 Zusatzbedarfe für schulzweig- und schulformübergreifenden Unterricht und für Wahlpflichtbereiche etc. werden gestrichen.
 Die Zuschläge für Ganztagsschulen werden in der Sekundarstufe I erheblich gekürzt und in der Sekundarstufe II ganz gestrichen.
 Für die Vollen Halbtagsschulen wird die Vertretungsreserve ersatzlos gestrichen.
Gesamtschulen und Volle Halbtagsschulen sind von diesen Kürzungen so massiv betroffen, dass sie ihrem pädagogischen Auftrag nicht mehr gerecht werden können.
Der Landtag fordert deshalb die Landesregierung auf, den Erlassentwurf zur Klassenbildung und Lehrerstundenzuweisung an den allgemeinbildenden Schulen mit folgender Maßgabe grundlegend zu überarbeiten:
1. Bei der Lehrerstundenzuweisung werden die jeweiligen örtlichen und schulformspezifischen Anforderungen stärker berücksichtigt. Die Schulen erhalten über den Einheits-Grundbedarf zur Erfüllung der Stundentafel hinaus ausreichende Mittel, um geeignete Differenzierungs- und Förderangebote einrichten bzw. weiterführen zu können.
2. Die Gesamtschulen und die Vollen Halbtagsschulen, deren Bestand im Schulgesetz garantiert ist, werden weiterhin so mit Lehrkräften ausgestattet, dass sie ihrem pädagogischen Auftrag in vollem Umfang gerecht werden können. Ein "Ausbluten" dieser Schulformen durch eine starke Absenkung der Ressourcen-Zuweisung wird verhindert.
3. Die Ganztagsschulen werden so mit zusätzlichen Lehrerstunden und mit Geldmitteln für andere Fachkräfte ausgestattet, dass sie nicht nur eine nachmittägliche Betreuung gewährleisten, sondern ihrem pädagogischen Konzept gerecht werden können.
Begründung
Mit der Änderung des Erlasses zur Klassenbildung und Lehrerstundenzuweisung an den allgemeinbildenden Schulen und durch die Streichung von Anrechnungs- und Ermäßigungsstunden will die Landesregierung insgesamt Lehrerstunden im Umfang von ca. 2.700 Lehrerstellen "umschichten.
Benötigt werden diese Lehrerstellen – neben einigen kleinen Verbesserungen wie der geringfügigen Anhebung der Stundentafeln an den Grundschulen, den Hauptschulen und den Realschulen – vor allem für die "Finanzierung" der ideologisch motivierten Schulstrukturreform der neuen Landesregierung:
 Die Aufteilung der SchülerInnen im 5. und 6. Jahrgang auf das gegliederte Schulsystem erfordert ca. 530 Lehrerstellen.
 Die geringere Lehrverpflichtung der jetzigen Orientierungsstufenlehrkräfte an den Realschulen und vor allem an den Gymnasien erfordert 450 zusätzliche Lehrerstellen.
 Die Aufstockung der Stundentafel an den Gymnasien, mit der die Schulzeit bis zum Abitur auf 12 Jahre verkürzt werden soll, erfordert aufsteigend bis zum Jahr 2012 ca. 1.000 zusätzliche Lehrerstellen.
Diese "Umschichtungen" werden jedoch an nahezu allen Schulformen zu erheblichen Verschlechterungen führen:
 An den Realschulen, den Gymnasien und den Gesamtschulen werden die Klassenfrequenzen heraufgesetzt.
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 Die Hauptschulen werden dagegen von der Herabsetzung der Klassenobergrenzen auf 26 SchülerInnen kaum profitieren, da es hier ohnehin nur sehr wenige Klassen mit mehr als 26 SchülerInnen gibt.
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 Die bisherigen Zusatzstunden für größere Klassen werden durch einen einheitlichen Stundenpool von 2 Lehrerwochenstunden pro Klasse ersetzt. Die Lehrerwochenstunden pro Klasse werden sich dadurch an Hauptschulen mit Klassen mit 26 SchülerInnen und an Gesamtschulen mit Klassen ab 26 SchülerInnen um bis zu 11% verringern. Auch bei durchschnittlichen Klassengrößen werden an Hauptschulen und Gesamtschulen die Lehrerstunden pro Klasse gesenkt. Differenzierungsmaßnahmen werden deshalb in diesen Klassen nicht mehr wie bisher möglich sein.
 Hauptschulen und Gesamtschulen sind so die eindeutigen "Verlierer" dieser Änderung des Unterrichtsversorgungserlasses.
 Besonders an den Gesamtschulen werden Zusatzbedarfe für den Wahlpflichtbereich gestrichen, mit denen Angebote zur individuellen Schwerpunktbildung für die SchülerInnen gemacht werden konnten.
 Der Zusatzbedarf für Ganztagsschulen wird an der Sekundarstufe I um ca. ein Drittel gekürzt und in der Sekundarstufe II ganz gestrichen.
 Die Vertretungsreserve an den Vollen Halbtagsschulen wird ganz gestrichen. Diese Schulen erhalten nicht einmal als Ausgleich hierfür ein Budget für Vertretungskräfte wie die verlässlichen Grundschulen. Die Vollen Halbtagsschulen werden durch die ersatzlose Streichung der Vertretungsreserve nicht mehr in der Lage sein, eine verlässliche Unterrichtszeit zu garantieren.
Durch diese Verschlechterungen werden ganz besonders die Gesamtschulen und die Vollen Halbtagsschulen benachteiligt. An den Gesamtschulen summieren sich die Kürzungen zu einer Absenkung des Lehrerstunden-Solls um insgeamt 10 bis 15 %.
Beide Schulformen werden so durch den neuen Erlass auf kaltem Wege ausgeblutet.
Aber auch an den übrigen Schulformen werden die zusätzlichen 2.500 Lehrkräfte nicht dafür genutzt, mehr Differenzierungs- und Förderangebote zu machen, um alle SchülerInnen individuell fördern zu können, sondern es wird lediglich der Einheits-Unterricht nach Stundentafel in größeren Klassen abgesichert.
Deshalb ist eine grundlegende Überarbeitung des Unterrichtsversorgungserlasses erforderlich, die die Lehrerzuweisung stärker an dem jeweiligen besonderen Bedarf der einzelnen Schulen orientiert und der es allen im Schulgesetz vorgesehenen Schulformen, also auch den Gesamtschulen und den Vollen Halbtagsschulen ermöglicht, ihren Bildungsauftrag zu erfüllen.


stellv. Fraktionsvorsitzender

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