Antrag: Stärkung der Patientensicherheit und des Patientenschutzes - Niedersächsisches Krankenhausgesetz (NKHG) muss weiter verändert werden

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Zur Aufarbeitung der Krankenhausmorde in Delmenhorst durch den ehemaligen Krankenpfleger Niels H. hat der Niedersächsische Landtag in seiner Sitzung am 18.02.2015 die Einsetzung des „Sonderausschusses zur Stärkung der Patientensicherheit und des Patientenschutzes“ beschlossen. Der Sonderausschuss sollte demnach untersuchen, wie es zu der Mordserie kommen konnte und vorhandene Kontrollmechanismen im Gesundheitswesen kritisch hinterfragen. Der Sonderausschuss sollte außerdem aufzeigen, ob und wo es ggf. gesetzgeberischen Änderungsbedarf auf der Bundes- und Landesebene zur Erhöhung der Patientensicherheit gibt.

In dem nunmehr dem Landtag vorgelegten Abschlussbericht des Sonderausschusses wurden Änderungsbedarfe aufgezeigt, um die Patientensicherheit und den Patientenschutz weiter zu verbessern. Einige der vorgeschlagenen Maßnahmen auf Landesebene sind in Niedersachsen in den vergangenen Monaten durch die Landesregierung bereits umgesetzt bzw. auf den Weg gebracht worden. Der Landtag bittet die Bundesregierung die in ihrem Zuständigkeitsbereich notwendigen Korrekturen und Ergänzungen ebenfalls zügig aufzugreifen.

Der Landtag ist sich bewusst, dass ein absoluter Schutz von Patientinnen und Patienten, insbesondere unter dem Gesichtspunkt unvorhersehbarer, krimineller Energie nicht gewährleistet werden kann. Der Respekt vor den Opfern und den Hinterbliebenen gebietet es jedoch, erkennbar gewordene Gesetzeslücken im eigenen Verantwortungsbereich schnell zu schließen und die Patientensicherheit zu optimieren. Der Landtag ist über die Geschehnisse in Delmenhorst sehr betroffen und spricht den Hinterbliebenen der Opfer sein tiefes Mitgefühl aus.

Der Landtag stellt fest:

Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass das Niedersächsische Krankenhausgesetz (NKHG) bereits dahin gehend verändert wurde, dass

  • an niedersächsischen Krankenhäusern bereits seit dem 01.01.2016 verpflichtend klinikinterne „Patientenfürsprecher/Innen“ eingesetzt werden müssen, die den Patientinnen und Patienten, aber auch Angehörigen im Zusammenhang mit Krankenhausaufenthalten, unterstützend zur Seite stehen.
  • neben den klinikinternen Patientenfürsprecherinnen und -sprechern auch auf Landesebene die Funktion einer/eines „Landespatientenschutzbeauftragten“ geschaffen wurde und sich gegenwärtig bereits in der Umsetzungsphase befindet.

Der Landtag fordert die Landesregierung darüber hinaus auf:

Das Niedersächsische Krankenhausgesetzes (NKHG) zu novellieren und

  1. in allen niedersächsischen Krankenhäusern die Funktion einer „Stationsapothekerin“ bzw. eines „Stationsapotheker“ verpflichtend vorzusehen, um auf den Stationen u.a. bei der Arzneimittelanamnese, der korrekten Einnahme der Medikamente und des fortlaufenden Verbrauchs beratend tätig zu werden.
  2. in Ergänzung einer Stationsapothekerin oder Stationsapothekers eine klinikinterne Arzneimittelkommission einzusetzen.
  3. die Möglichkeit zu eröffnen, modellhaft neue Organisations- und Personalstrukturen zu erproben, z.B. die Etablierung eines Rotationssystems, um der hohen Dauerbelastung des Pflegepersonals, insbesondere auf Intensivstationen, präventiv entgegenzuwirken
  4. Krankenhäuser zu verpflichten, für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter niedrigschwellig regelmäßige begleitete Reflexionen über berufsbedingte Belastungen und Erfahrungen anzubieten, z.B. in Form von Supervision. Die Teilnahme an derartigen Angeboten soll den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern frei stehen.
  5. in allen Krankenhäusern obligatorisch ein anonymes Meldesystem (Whistleblowing) einzuführen. Dieses ermöglicht es Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, evtl. Verdachtsmomente für Fehlverhalten- oder gar kriminelles Handeln innerhalb des Krankenhausbetriebes an eine neutrale Stelle zu melden, ohne dass dabei Rückschlüsse auf ihre Identität gezogen werden können.
  6. In allen Krankenhäusern das Führen von Morbiditäts- und Mortalitätsstatistiken und die Durchführung entsprechender Konferenzen verbindlich einzuführen.
  7. Und modellhaft zu prüfen, welche Vor- und Nachteile mit einer flächendeckenden Umstellung der Medikamentenversorgung in Krankenhäusern auf Verfahren der patientenindividuellen Verordnung und Verpackung (sog. „Unit-Dose“-Verfahren) verbunden sind.

Darüber hinaus soll die Landesregierung schnellstmöglich die sich aus dem Bericht des Sonderausschusses ergebenen Korrekturen u.a. im Niedersächsischen Bestattungsgesetz vorlegen, dazu gehört die Entkopplung von Todesfeststellung und äußerer Leichenschau auf externe Ärztinnen und Ärzte sowie die Spezifizierung der Meldepflicht, um dadurch die Rechtssicherheit und Kontrolldichte auf potentiell unnatürliche Todesfälle zu erhöhen.

Begründung:

Pflegekräfte haben mit großen Herausforderungen zu kämpfen. Besonders die Versorgung sowie Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen stellt für Pflegekräfte eine psychische Belastung dar und erfordert viel Empathie und Geduld. Dennoch gibt es in den wenigsten Einrichtungen Hilfesysteme (z. B. Supervision), die Pflegekräfte bei der Verarbeitung psychisch belastender Versorgungssituationen unterstützen. Von Pflegekräften wird gleichsam erwartet, dass sie über angemessene Strategien verfügen, um derartige Situationen dauerhaft eigenständig zu bewältigen. Diese Arbeitsbedingungen bringen Pflegekräfte in einen dauerhaften und nicht lösbaren Konflikt: sie treten ihre Arbeit mit dem Anspruch an, Menschen zu helfen, sie in belastenden Lebenssituationen zu begleiten und human und menschenfreundlich zu sein.

Diese belastenden Arbeitsbedingungen führen bei Pflegekräften zu überdurchschnittlich vielen Krankheitstagen, zu chronischen Erkrankungen (v.a. Erkrankungen des Bewegungsapparates und psychischen Erkrankungen wie Depression oder Burn-Out) und nicht zuletzt zu einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Beruf. Die durchschnittliche Verweildauer einer Krankenpflegekraft liegt bei gerade einmal 13 Jahren. Sie erhöhen jedoch auch das Risiko für Gewalt in der Pflege. Nur in sehr wenigen Fällen äußert sich diese wie im Fall von Niels H. in Form von Tötungsdelikten.

Auch im Fall von Niels H. haben die geschilderten Arbeitsbedingungen zu einer andauernden Belastungssituation geführt. Gepaart mit einer ausgeprägten Selbstunsicherheit und dem daraus folgenden Bedürfnis nach Anerkennung, ist es schließlich zu den Taten gekommen. Die Aufgabe des Sonderausschusses war es unter anderem, die Patientensicherheit zu stärken. Die bereits auf den Weg gebrachten bzw. geplanten gesetzlichen Änderungen leisten dazu einen wichtigen Beitrag.

Der Sonderausschuss hat mit dem jetzt vorgelegten Abschlussbericht viele Vorschläge erarbeitet, welche zukünftigen Maßnahmen ergriffen werden können, um eine derartige Mordserie im Pflegebereich zu verhindern bzw. zu minimieren.

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