Antrag: Stärkung deeskalierender Ansätze in der psychiatrischen Behandlung

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Im Rahmen von schweren psychischen Erkrankungen kann es zu krisenhaften Ausnahmezuständen kommen, in denen sich die betroffenen Menschen selber oder Dritte gefährden[1]. Können diese Situationen nicht mit milderen Mitteln deeskaliert werden, so sieht bei Fremdgefährdung das Niedersächsische Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke (NPsychKG) und bei Eigengefährdung das NPsychKG sowohl als auch das BGB vor, dass Zwang ausgeübt werden kann. Dies betrifft die zwangsweise Unterbringung der betroffenen Menschen, Zwangsmaßnahmen zur Sicherung und ihre Behandlung gegen den Willen.

Es ist ein erklärtes Ziel der Landesregierung, das sie im noch gültigen Landespsychiatrieplan von 2016 festgeschrieben hat, Zwang in der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu reduzieren. Der aktuelle Bericht zur Versorgung von Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen Niedersachsen (Landespsychiatriebericht) weist allerdings darauf hin, dass zumindest die Anwendung von Zwang unter dem NPsychKG eher stabil ist denn sich reduziert.

Seit 2020 veröffentlicht das Land Niedersachsen im Landespsychiatriebericht Daten zu den Zwangseinweisungen, Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlungen nach NPsychKG. Daten zu den Unterbringungen, Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlungen nach BGB in psychiatrischen Kliniken liegen nicht vor. Schätzungsweise sind aber eine ähnlich große Anzahl von Personen hiervon betroffen wie von Unterbringungen, Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlungen nach NPsychKG.

Der Landtag begrüßt die öffentliche Berichterstattung des Landes Niedersachsen über Unterbringungen, Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlung nach dem NPsychKG im Bericht zur Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen Niedersachsen.

Ferner bittet der Landtag die Landesregierung:

  1. die Landespsychiatrieberichterstattung rechtlich im NPsychKG abzusichern.
  2. Zu prüfen, wie eine rechtliche Grundlage geschaffen werden kann, nach der psychiatrische Kliniken Unterbringungen, Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlungen nach §§1631b und 1831 BGB melden müssen (vergleichbar der bestehenden Meldepflicht zu den Unterbringungen, Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlung nach NPsychKG). Diese erweiterte Berichterstattung sollte folgende Daten einschließen:
    • Anzahl der untergebrachten Fälle nach den §§ 1631b und 1831 BGB,
    • Anzahl der Fälle mit Zwangsmaßnahmen nach §§ 1631b und 1831 BGB,
    • Dauer der Unterbringung,
    • Art, Anzahl und Dauer der angewandten Zwangsmaßnahmen.
  3. Die stationsäquivalente Versorgung nach § 115d SGB V im niedersächsischen Krankenhausplan auszuweisen.
  4. Zu prüfen, wie die Implementierung von evidenzbasierten Konzepten zur Reduzierung von Zwangsmaßnahmen (z.B. Safewards) in psychiatrischen Kliniken durch das Land unterstützt und gefördert werden kann und ggf. entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
  5. Bau- und Umbauvorhaben, die das Ziel haben, psychiatrische Kliniken, insbesondere Akutstationen deeskalierender zu gestalten, in der baufachlichen Prüfung vorrangig zu berücksichtigen.[2]

Begründung

Zwang in der psychiatrischen Versorgung ist immer ein Eingriff in die im Grundgesetz fixierten Grundrechte der betroffenen Menschen mit psychischen Erkrankungen. Diese Grundrechtseingriffe sind nur zulässig bei krankheitsbedingter Eigengefährdung (BGB und NPsychKG) oder bei krankheitsbedingter Gefährdung Dritter (NPsychKG). Diese Grundrechtseingriffe bedürfen einer richterlichen Genehmigung. Zu den in diesem Kontext legitimierten Grundrechtseingriffen zählen die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik (NPsychKG, BGB) oder in einer geschlossenen Einrichtung der Eingliederungshilfe (BGB), das Anwenden von besonderen Sicherungsmaßnahmen wie Fixierung oder Isolierung und die Behandlung gegen den natürlichen Willen, z.B. durch eine Zwangsmedikation.

Diese Grundrechtseingriffe, insbesondere Zwangsmaßnahmen zur Sicherung wie Fixierung und Isolierung können für die betroffenen Menschen schwere Folgen haben. Gleichzeitig ist Zwang in durch psychische Erkrankung bedingten eskalierenden Krisensituationen häufig das einzige Mittel, um eine akute Gefährdung abzuwenden.[3]

Bauliche Voraussetzungen von Akutstationen tragen zu einer deeskalierenden Atmosphäre bei und können die Anwendung von Zwang reduzieren. Das Land Niedersachsen ist auf eine gut funktionierende und qualitativ hochwertige zwangsvermeidende Akutversorgung von Menschen in eskalierenden psychischen Krisen angewiesen, um seinem mit dem NPsychKG definierten Auftrag nachzukommen. Das Ausschöpfen aller deeskalierenden Möglichkeiten und das Reduzieren von Zwang in der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen ist daher nicht nur im Interesse der betroffenen Menschen und im Interesse des Personals auf Akutstationen, sondern auch des Landes Niedersachsen.

Bereits der Landespsychiatrieplan (vgl. Landespsychiatrieplan 2016) empfiehlt als Maßnahme zur Reduzierung von Zwang in der psychiatrischen Versorgung das Einführen eines Registers zum Zwang und die Implementierung innovativer deeskalierender Ansätze. Mit der Einführung der Landespsychiatrieberichterstattung und der Dokumentation von Unterbringungen, Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlung nach NPsychKG hat das Land einen Teil dieser Empfehlungen umgesetzt. Da aber eine Dokumentation der Unterbringungen, Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlungen nach BGB fehlt, ist diese Berichterstattung unvollständig. Das Nutzen der Betreuungsstatistik der Justizbehörden für diese Berichterstattung ist leider nicht weiterführend. Diese Statistik weist nur Anträge und Verfahren auf Unterbringung, Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlung nach BGB aus, nicht aber wie diese in psychiatrischen Kliniken umgesetzt wurden. Diese Daten können nur die ausführenden psychiatrischen Kliniken verlässlich liefern, so wie sie es gegenwärtig für dien nach NPsychKG untergebrachten Menschen tun.

Das Ausdehnen der Landespsychiatrieberichterstattung auf die Gesamtheit der zwangsweise untergebrachten Menschen unabhängig von ihrer rechtlichen Grundlage ist notwendig, weil über die auf gesetzlicher Grundlage notwendigen Grundrechtseingriffe Transparenz herrschen sollte. Eine Reduktion von Zwang in der Psychiatrie verlangt, dass zuverlässige Daten hierzu vorliegen und die erhobenen Daten wichtige Informationen zur Versorgungsplanung des Landes liefern können.

Zur Reduktion von Zwangsmaßnahmen gehört eine Versorgung, die Zwangsmaßnahmen durch gute und zugängliche Versorgung vermeidet, bevor die Situation eskaliert. Dies ist idealerweise mit aufsuchender Versorgung und durch den Abbau von Überbelegung von geschlossenen Stationen möglich. Letzteres wird auch erreicht durch das Schaffen von Behandlungsalternativen außerhalb einer Klinik.

Darüber hinaus ist es notwendig, dass das Land die Implementierung von evidenzbasierten deeskalierenden Maßnahmen sowohl durch evidenzbasierte Konzepte, als auch anhand von Bau- und Umbaumaßnahmen von Akutstationen primär fördert, weil es das erklärte Ziel der Landesregierung ist, Zwangsmaßnahmen zu vermeiden.

Zudem stellen Zwangsmaßnahmen eine sowohl körperliche als auch psychische Belastung für die betroffenen Personen als auch für das medizinische Personal dar.

Es liegen ausreichend evidenzbasierte Konzepte vor, um hier effektiv tätig zu werden, so dass eine Reduktion der Fixierungen möglich erscheint. Dafür braucht es anfänglich eine verbesserte Datenlage über bestehende Zwangsmaßnahmen. Darauf aufbauend können evidenzbasierte Konzepte übertragen bzw. angepasst angewendet werden, die ihrerseits positive Effekte auf alle am Prozess beteiligte haben können.

 


[1] vgl. Hans-Joachim Salize 2023

[2] vgl. Planungshilfe deeskalierende psychiatrische Akutstationendes niedersächsischen

Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung

[3] vgl. Hirsch, Sophie; Steinert, Tilman 2019

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