Antrag: Staatsmodernisierung in Niedersachsen: Auflösung der Bezirksregierungen

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Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Hannover, den 12.05.03

Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Der Landtag begrüßt die Entscheidung der Landesregierung, der Abschaffung der Bezirksregierungen eine Aufgabenkritik voranzustellen, um in diesem Prozess Aufgabenverzicht und Aufgabenverlagerung vorzubereiten.
Der Landtag stellt darüber hinaus fest, dass
1. es aus Gründen der Bürgernähe, der regionalen Besonderheiten und Kompetenzen sowie aus strukturpolitischen Erwägungen angezeigt ist, der Verlagerung von Aufgaben auf die kommunale Ebene vor der Neueinrichtung von zentralen Kompetenzzentren den Vorzug zu geben.
2. eine weitgehende Aufgabenverlagerung aus der Mittelinstanz auf die kommunale Ebene eine Regionsbildung bzw. die Schaffung interkommunaler Zweckverbände/regionaler Verwaltungsgemeinschaften voraussetzt.
3. der Prozess der Regionsbildung bzw. der Bildung von interkommunalen Strukturen/regionalen Verwaltungsgemeinschaften in Niedersachsen unterschiedlich weit fortgeschritten ist und auch in Zukunft unterschiedlich schnell fortschreiten wird.
4. eine Aufgabenverlagerung auf die regionale Ebene nur unter Zuweisung entsprechender Personal- und Sachmittel vonstatten gehen kann.
Der Landtag fordert die Landesregierung deshalb auf,
1. prioritär die Aufgabenverlagerung auf die regionale/kommunale Ebene zu verfolgen und zentrale Lösungen nur dann zu wählen, wenn nach eingehender Prüfung festgestellt wurde, dass dezentrale Lösungen nicht möglich oder nicht sinnvoll sind.
2. die Voraussetzungen zur Bildung von Regionen bzw. von interkommunalen Zweckverbänden/regionalen Verwaltungsgemeinschaften zu erleichtern und die Bildung von solchen regionalen Zusammenschlüssen besonders zu fördern.
3. die Aufgabenverlagerung prozesshaft und damit die Auflösung der Bezirksregierungen schrittweise, je nach Fortschreiten der Entwicklung des regionalen Unterbaus, zu organisieren. Bis zur vollständigen Aufgabenverlagerung sollen Restaufgaben jeweils bei den Bezirksregierungen gebündelt werden.
4. bei der Aufgabenverlagerung streng nach dem Konnexitätsprinzip zu verfahren.
5. möglichst schnell die Aufgabenbereiche zu benennen, die künftig ganz verzichtbar sind.
Begründung
Die frühere SPD-Landesregierung hatte in ihrer (leider unveröffentlichten) Abschlussbilanz zum bisherigen Prozess der Verwaltungs-/Staatsreform in Niedersachsen festgestellt, dass die Wirkungen der Reformen bislang eher bescheiden waren, insbesondere aber "die Neuordnung der Aufgabenverteilung zwischen Staat und Gesellschaft (....) noch nicht gelungen (ist)".
Insoweit ist die Beschlussfassung im Koalitionsvertrag von CDU und FDP und der anschließenden Regierungserklärung, die Konzentration staatlicher Aufgaben auf die Kernaufgaben anzugehen, zu begrüßen und in der Sache konsequent.
Notwendiger Bestandteil des Vorgehens ist eine flächendeckende Aufgabenkritik der öffentlich vorgehaltenen Dienstleistungen und Aufgaben, die einmünden soll in einen Aufgabenabbau (Aufgabenverzicht), eine Privatisierung bestimmter Aufgaben und eine Kommunalisierung dann noch verbleibender Aufgaben. Verbunden mit diesem Prozess ist die Erklärung der Landesregierung, die Bezirksregierungen in Niedersachsen und zahlreiche Landesämter abschaffen zu wollen und statt dessen wenige sog. Kompetenz-Center errichten zu wollen.
Das Vorgehen der Landesregierung ist eng verbunden mit der Notwendigkeit der Haushaltssanierung (Einsparung von 6000 Stellen im Landeshaushalt bis zum Jahr 2008). Da aber zugleich das sog. Konnexitätsprinzip ("wer bestellt, der zahlt") zur Anwendung kommen soll, wird die Kommunalisierung bisher staatlich wahrgenommener Aufgaben nur geringe Einsparpotenziale eröffnen. Bezüglich der Privatisierungspläne muss daran erinnert werden, dass andere Landesregierungen, beispielsweise die Sächsische Landesregierung unter Ministerpräsident Kurt Biedenkopf in der zweiten Hälfte der 90er Jahre mit einem sehr ambitionierten Konzept der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen faktisch gescheitert sind.
Ob die Niedersächsische Landesregierung insoweit erfolgreicher sein wird, bleibt abzuwarten.
Letztlich wird das angestrebte Ziel der Konzentration staatlicher Dienstleistungen auf die Kernbereiche (was zu definieren ist) durch Aufgabenverzicht/Aufgabenabbau realisiert werden müssen.
Die Landesregierung verfolgt im Rahmen ihres Gesamtvorhabens die ersatzlose Abschaffung der Bezirkregierungen in Niedersachsen. Im Haushaltsplan 2003 sind für die Bezirksregierungen 3252 Stellen ausgebracht. Bis zum Jahr 2008 soll durch die ersatzlose Abschaffung der Bezirksregierungen ein Volumen von 1000 Stellen eingespart werden können.
Die neue Landesregierung kann bei ihren Plänen auf Vorarbeiten der früheren SPD-Landesregierung der 14. Wahlperiode aufbauen. Sie hatte durch externe Gutachter für die Straffung der Bezirksregierungen eine aufgabenkritische Bestandsaufname erarbeiten lassen .Das Ergebnis war, dass von den insgesamt 300 Aufgabenblöcken, die von den Bezirksregierungen und zum Teil den Landesämtern bearbeitet werden, knapp 30% einer besonders intensiven fachübergreifenden Koordinierung und regionaler Bündelung bedürfen.
An die Stelle der Bezirksregierungen sollen nach Auffassung der Landesregierung neue Landesämter (sogenannte Kompetenzzentren) treten. Hier scheint es innerhalb der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen des Landtages allerdings noch Unklarheiten zu geben, denn während beispielsweise der Fraktionsvorsitzende der CDU, McAllister in einem Interview mit der Nordseezeitung vom 24.4. 2003 ausführt: " Zur Zeit haben wir 4 Schulabteilungen in den 4 Bezirksregierungen. Zukünftig wird es ein Kompetenz-Center Bildung an einem Standort für das ganze Land geben", erklärte Wirtschaftsminister Walter Hirche auf dem FDP Landesparteitag in Braunschweig: "An die Stelle der Bezirksregierungen dürften keine spezialisierten Landesämter treten, von Braunschweig aus kann man nicht die Verkehrsprobleme im Ammerland lösen "(Braunschweiger Zeitung vom 31.3.2003). Es wäre eine "Verschlimmbesserung", an die Stelle der Bezirksregierungen Landesämter treten zu lassen.
Am Beispiel eines Landesamtes für Bildung/Schule, das etwa seinen Sitz in Oldenburg oder Lüneburg nimmt, würde die zentrale Lösung nämlich bedeuten, dass die Verwaltungen der Schulen und der damit zusammenhängenden personalwirtschaftlichen Aufgaben für das gesamte Land Niedersachen von dort zu regeln wären, obwohl die speziellen regionalen Bedingungen, bspw. Süd-Niedersachsens, von Oldenburg oder Lüneburg aus schlechter als aus der jeweiligen Region heraus zu bewerten und umzusetzen sind.
Voraussetzung für die Abschaffung der Bezirksregierungen ist die Regionalisierung auf freiwilliger Basis. Eine annähernd flächendeckende Aufgabenverlagerung aus der bisherigen Mittelinstanz auf die kommunale Ebene verlangt eine Funktionalreform auf der Kreisebene. Die soll allerdings auf freiwilliger Basis durch die Bildung von Regionen oder die Schaffung interkommunaler Zweckverbände/regionaler Verwaltungsgemeinschaften erreicht werden. Insoweit müsste die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen des Niedersächsischen Landtages diesen Prozess befördern und voranbringen, um ihrem Ziel näher zu kommen.
Der Auffassung des Niedersächsischen Städtetages ist zuzustimmen, nach "der jede die Bezirkregierungen ablösende Behördenstruktur (...) in Niedersachen, dem zweitgrößten Flächenland der Bundesrepublik Deutschland, mindestens eine regionale Präsenz begründen (muss)" (Niedersächsischer Städtetag, Grundlegende Vorstellungen und Forderungen ... zur Verwaltungsreform in Niedersachsen, Hannover, den 24.4 2003, Seite 3 Ziffer7 ).
Solange eine solche Veränderung der kommunalen Strukturen nicht realisiert ist, bedarf es in Hinblick auf den Kernbestand von zwingend notwendigen regionalen Bündelungsaufgaben für die Landesregierung für diesen Übergangszeitraum der Beibehaltung der Bezirksregierungen bei wesentlich verringertem Aufgaben- und Personalbestand.

stellv. Fraktionsvorsitzender

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