Antrag: Sinnvolle Veränderungen statt Kürzungen in der Arbeitsförderung

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

  1. Die Ziele einer Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente mit dem Ziel einer höheren Qualität bei den Maßnahmen, größerer Flexibilität bei der Anwendung, mehr Berücksichtigung der individuellen Problemlagen der Arbeitslosen und Stärkung der Dezentralität der Jobcenter vor Ort sind grundsätzlich zu unterstützen.
  2. Mit dem von der Bundesregierung vorgelegten "Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt" können diese Ziele jedoch nicht erreicht werden. Insbesondere die Kürzungen im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit um über 7 Mrd. €, die mit dem Gesetz umgesetzt werden sollen, werden auch in Niedersachsen zu dramatischen Folgen bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik vor Ort führen. Besonders negativ wird sich die beabsichtigte Deckelung der Trägerpauschalen zur Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen in AGH- und Jobaktivmaßnahmen auswirken. In Niedersachsen würden damit viele Jugendwerkstätten in ihrer Existenz gefährdet.
  3. Eine wirkungsvolle Instrumentenreform darf nicht mit dem Ziel der Mitteleinsparung betrieben werden, sondern muss sich an den Bedürfnissen aller arbeitslosen Menschen - auch der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen im SGB II - orientieren und die wissenschaftliche Evaluation der Instrumente beachten.
  4. Es ist insbesondere zu kritisieren, dass mit dieser Instrumentenreform der Grundsatz des Förderns und Forderns im SGB II auf der Strecke bleiben wird. Individuelle Arbeitsförderungsmaßnahmen für langzeitarbeitslose Menschen, auf die sie aufgrund ihrer schwierigen  Lebenssituation angewiesen sind, drohen wegzufallen. Die vorgeschriebene Begrenzung des Mitteleinsatzes bei beschäftigungsfördernden Maßnahmen, wie z.B. beim Beschäftigungszuschuss, reduziert die Möglichkeiten eines öffentlich geförderten Beschäftigungsmarktes erheblich.
  5. Der wachsende Fachkräftebedarf ist eine Chance für viele Arbeitslose, vorausgesetzt, sie verfügen über die richtigen Qualifikationen. Daher sollen die über die Arbeitsagenturen und Jobcenter geförderten Weiterbildungsangebote gestärkt und auf Geringqualifizierte und auf Angebote mit einem anerkannten Berufsabschluss in Zukunftsbranchen konzentriert werden. Darüber hinaus ist die modulare, mit Teilqualifikationen zu absolvierende Weiterbildung zu stärken, mit der berufliche Abschlüsse schrittweise erworben werden können.

Der Landtag fordert die Landesregierung deshalb auf, sich im anstehenden Gesetzgebungsverfahren. dafür einzusetzen, dass

  1. die Kürzungen in diesem Bereich so nicht vollzogen werden,
  2. die Arbeitsvermittler, die einen größeren Beurteilungs- und Ermessensspielraum erhalten sollen, gerade in den Jobcentern ausreichend für diese erweiterte Aufgabe qualifiziert werden, um den Betroffenen besser zu helfen und um unnötige Bürokratie, z.B. durch steigende Widerspruchsverfahren und Gerichtsverfahren, zu verhindern. Als Voraussetzungen für eine qualitativ hochwertige Betreuung und ein individuelles Fallmanagement werden die Jobcenter und Arbeitsagenturen mit den dafür erforderlichen personellen und materiellen Grundlagen ausgestattet,
  3. insbesondere für die langzeitarbeitslosen Menschen, die individuelle Beratungshilfen und Förderungsmaßnahmen benötigen, weiterhin angemessene individuelle Förderleistungen erhalten bleiben,
  4. der mittel- und langfristig sehr erfolgreiche Gründungszuschuss nicht durch eine Verkürzung der Förderungsphasen und restriktivere Teilnahmevoraussetzungen gefährdet wird,
  5. die Möglichkeiten für dezentrale Entscheidungen der Jobcenter erhalten bzw. erweitert wer­den und grundsätzlich die Vielfalt der Beschäftigungsträgerlandschaft nicht beschnitten wird,
  6. 6.      ein verlässlicher sozialer und öffentlich geförderter Arbeitsmarktes eingeführt wird. Dabei soll die gesamte Transferleistung, die eine langzeitarbeitslose Person erhält, für die Einrichtung eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses umgewandelt werden. So wird "Arbeit statt Arbeitslosigkeit" finanziert und besonders schwer vermittelbare Arbeitslose erhalten die Chance auf Teilhabe an Erwerbstätigkeit. Die Identifizierung von Tätigkeitsfeldern soll im Konsens von den lokalen Akteuren vorgenommen werden,
  7. 7.      neben der Integrationsquote in den ersten Arbeitsmarkt weitere Erfolgsindikatoren festgelegt werden, die Zwischenziele auf dem Weg zur Beschäftigungsaufnahme darstellen. Damit wird sichergestellt, dass auch die Personengruppen, deren Integration in den ersten Arbeitsmarkt sich als überdurchschnittlich langwierig und kostspielig herausgestellt hat, intensiv gefördert und die Erfolge dieser Förderung anerkannt werden. Hierfür ist es auch notwendig, ausreichende Mittel für den zusätzlichen Betreuungs- und Begleitungsbedarf dieser Arbeitslosen zur Verfügung zu stellen und die Trägerpauschalen bedarfsgerecht auszugestalten.

Begründung

Die geplante Instrumentenreform ist eindeutig von der Vorgabe der Einsparung von Haushaltsmitteln des Bundes bzw. der Bundesagentur für Arbeit geprägt und nicht an inhaltlichen Erfordernissen orientiert. Der Bundesfinanzminister verlangt Einsparungen von rund 7,8 Milliarden Euro bis 2015. Nur an dieser Vorgabe orientieren sich die vorgelegten Vorschläge. Damit droht ein Kahlschlag bei der Arbeitsförderung, der überall im Land zu spüren sein wird. Die Chancen vieler Arbeitsloser auf Arbeit und Teilhabe würden zunichte gemacht und die Spaltung des Arbeitsmarkts würde sich noch vertiefen. Der Kahlschlag wird vor allem die arbeitslosen Menschen treffen, die Schwierigkeiten haben, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Sie drohen wegen der einseitigen Orientierung der Förderung auf eine schnelle Integration in den ersten Arbeitsmarkt vollkommen abgehängt zu werden. Ein verlässlicher sozialer Arbeitsmarkt rückt durch die Vorgaben der Bundesregierung in weite Ferne.

Obwohl der Fachkräftebedarf wächst, werden mit dem Gesetzentwurf keine Impulse gesetzt, um Arbeitslose intensiver als bisher zu qualifizieren und ihnen damit Brücken in Arbeit zu bauen. Im Gegenteil: Wegen der Kürzungen wird die Zahl der Qualifizierungen weiter zurückgehen. Auch das große Problem – die geringe Partizipation gerade von Langzeitarbeitslosen oder Geringqualifizierten an Weiterbildungen – wird nicht angegangen.

Eine klarere Struktur der Arbeitsförderung und die Streichung wenig wirksamer Instrumente sind durchaus sinnvoll. Grundsätzlich nutzen die besten Instrumente jedoch nichts, wenn die Agenturen und Jobcenter nicht genügend Geld und Personal zur Beratung, Förderung und Vermittlung zur Verfügung haben. Schon die bereits im Jahr 2010 beschlossenen Kürzungen bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik haben zu einem erheblichen Rückgang der Förderungen geführt: In den ersten vier Monaten des Jahres 2011 ist im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Weiterbildungen um mehr als ein Drittel, die Selbstständigenförderung um fast die Hälfte und die Jobperspektive um zwei Drittel zurückgegangen. Dieser dramatische Rückgang korrespondiert in keiner Weise mit dem Rückgang der Arbeitslosigkeit, insbesondere nicht im Bereich des Arbeitslosengeld II, in dem mittlerweile über 70 Prozent aller Arbeitslosen betreut werden.

Die nun im Zusammenhang mit der Instrumentenreform beabsichtigten Kürzungen bergen die Gefahr, dass viele gering qualifizierte Arbeitslose von der derzeit positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt abgeschnitten werden. Sie brauchen aktuelle und auf dem Arbeitsmarkt nachgefragte Qualifizierungen. Diese Investitionen in die Kompetenzen der Arbeitslosen sind hochrentabel wie die wissenschaftliche Evaluierung von Weiterbildungsmaßnahmen zeigt. Auch der wachsende Bedarf der Wirtschaft an Fachkräften weist darauf hin, dass Qualifizierungen Arbeitslosen neue Perspektiven am Arbeitsmarkt schaffen. Hierfür ist es auch notwendig, auf die ausschließliche Organisation der Weiterbildung über Bildungsgutscheine zu verzichten. Gleiches gilt für die Förderung der Selbstständigkeit aus der Arbeitslosigkeit, die nach den Plänen der Bundesregierung massiv zurückgefahren werden soll, obwohl kaum eine andere Förderung derartige Erfolge aufweisen kann. Auch in der Stellungnahme des Bundesministeriums für Wirtschaft zum Gesetzentwurf zur Instrumentenreform heißt es: "Diese einseitige Maßnahme ist wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch fragwürdig. Bei der Förderung der Selbständigkeit handelt es sich um ein erfolgreiches Instrument, das nicht nur einen vielversprechenden Weg aus der Arbeitslosigkeit aufweist, sondern - wie vom IAB für die Vorgängerinstrumente nachgewiesen - auch zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigung schafft."

Nach den Plänen der Bundesregierung bleibt einheitliches Ziel der Arbeitsmarktpolitik im SGB III und im SGB II die Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Darunter liegende Zwischenziele für besonders schwer vermittelbare Personen werden nicht eingeführt. Mit dem alleinigen Fokus auf die Aufnahme ungeförderter Beschäftigung besteht jedoch die Gefahr, dass Menschen dauerhaft abgehängt werden, die nicht kurzfristig zu vermitteln sind. Negativ wird sich darüber hinaus die beabsichtigte Deckelung der Trägerpauschalen bei AGH- und Jobaktivmaßnahmen auswirken. In Niedersachsen würden damit viele Jugendwerkstätten in ihrer Existenz gefährdet.

Mit der geplanten Reform wird eine "Bestenauslese" unter den Schwervermittelbaren zusätzlich befördert. Dabei bietet die derzeitige wirtschaftliche Situation bei realistischer Zielsetzung und konzentrierter Förderung eine gute Chance, die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit nachhaltig zu reduzieren. Dies erfordert jedoch die Abkehr von einer Arbeitsmarktpolitik, für die nur der schnelle statistische Erfolg zählt.

Für diejenigen, denen der erste Arbeitsmarkt trotz der derzeit guten Verfassung absehbar keine Chance bietet muss über einen sozialen Arbeitsmarkt Teilhabe organisiert werden. Dafür bedarf es verlässlicher Strukturen und einer verlässlichen Finanzierung. Dabei muss die Identifizierung und Organisation von Tätigkeiten der lokalen bzw. regionalen Ebene übertragen werden. Zur Finanzierung dieser Beschäftigungsverhältnisse ist die Umwandlung passiver Leistungen (Regelsatz Arbeitslosengeld II, Kosten der Unterkunft, Sozialversicherungsbeiträge, Maßnahmekosten) in ein Arbeitsentgelt zu ermöglichen (Passiv-Aktiv-Transfer).

Rund 70 v.H. aller Arbeitslosen sind dem SGB II zugeordnet, viele von ihnen sind langzeitarbeitslos. Diese Menschen brauchen flexible und passgenau einsetzbare Instrumente, mit denen ihnen individuelle Angebote gemacht werden können. Das setzt gleichzeitig voraus, dass qualifiziertes Personal in den Arbeitsagenturen und den Jobcentern und genügend Mittel für die Förderung zur Verfügung stehen. Eine Instrumentenreform nutzt nichts, wenn gleichzeitig wirkungsvolle arbeitsmarktpolitische Instrumente abgeschafft oder eingeschränkt werden. Das Gleiche gilt für mehr dezentrale Handlungsspielräume: Wenn sich das Ermessen der Jobcenter darin erschöpft, Förderungen ablehnen zu müssen, steigt nur die Sockelarbeitslosigkeit.

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