Antrag: Sexuellen Missbrauch an Kindern verhindern - Charité-Präventionsprojekt „Dunkelfeld“ als einen Baustein in der Präventionsarbeit auch in Niedersachsen etablieren

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

Eine Intensivierung der Präventionsarbeit gegen Kindesmissbrauch ist bundesweit dringend geboten. Kinder müssen schon frühzeitig in ihrer Persönlichkeit gestärkt werden, um die Wahrscheinlichkeit, Opfer zu werden, zu verringern. Entsprechende Programme sind flächendeckend auszubauen.

Aber auch die Präventionsarbeit mit potenziellen Tätern muss aufgebaut werden, denn Täterarbeit ist Opferschutz. Um die verschiedenen, präventiven Ansätze im Kampf gegen Kindesmissbrauch zu ergänzen, ist als neuer Baustein in Niedersachsen die Präventionsarbeit mit denjenigen pädophilen Männern notwendig, die von sich aus ein Therapie- und Behandlungsangebot suchen, um nicht übergriffig zu werden.

Der Landtag fordert:

  1. Die Landesregierung wird aufgefordert, das Berliner Präventionsprojekt "Dunkelfeld", das von der Bundesregierung und der Opferorganisation "Weißer Ring" unterstützt wird, auch in Niedersachsen zu implementieren. Das Projekt "Dunkelfeld" am sexualwissenschaftlichen Institut der Charité ist ein kostenloses Behandlungsangebot für Personen, die auf Kinder gerichtete sexuelle Impulse verspüren.
    Zur Umsetzung in Niedersachsen ist eine geeignete Institution wie zum Beispiel die Medizinische Hochschule Hannover zu gewinnen.
  2. Die Landesregierung wird ebenfalls aufgefordert, die Einrichtung von unabhängigen Anlauf- und Beratungsstellen für Missbrauchsopfer sicherzustellen.

Begründung

Es ist in den letzten Wochen deutlich geworden, dass ein großer Handlungsbedarf besteht, um künftig ein sichereres Aufwachsen ohne die Gefahr von sexuellen Übergriffen, Gewalttaten und Demütigungen für Kinder in Deutschland möglich zu machen.

Bislang bestehen vor allem Präventionskampagnen, um potentielle Opfer zu stärken und ErzieherInnen und Erziehungsberechtigte zu sensibilisieren. Ziel muss es sein, im Zusammenspiel von Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik Programme wie "Mein Körper gehört mir"  künftig flächendeckend anzubieten.

Die Arbeit mit  (potentiellen) Tätern beschränkt sich allerdings in Niedersachsen auf die strafrechtliche Sanktionierung und auf die therapeutisch- psychiatrische Arbeit mit bekannten, so genannten "Hellfeld"-Tätern. Sexuelle Übergriffe an Kindern tauchen aber in überwiegender Zahl nicht in den Kriminalstatistiken auf, sie bleiben im Dunkelfeld. Völlig vernachlässigt wird derzeit- wie in den meisten anderen Bundesländern- die präventive Arbeit mit potentiellen und realen "Dunkelfeld"-Tätern. Die therapeutische Arbeit mit Erwachsenen also, die von sich aus therapeutische und gegebenenfalls medikamentöse Unterstützung suchen, um wegen ihrer auf Kinder gerichteten sexuellen Impulse nicht übergriffig und straffällig zu werden.

Das seit 2005 von der Berliner Charité durchgeführte "Dunkelfeld"-Projekt wurde inzwischen von über 700 Männer kontaktiert, 150 von ihnen konnte ein Therapieplatz angeboten werden. Nach Aussagen des Projektleiters Prof. Dr. Dr. Beier wird das Angebot auch von Männern aus Niedersachsen genutzt, etliche niedersächsische behandlungswillige Interessenten können sich die wöchentlichen Behandlungsbesuche in Berlin aber zeitlich und finanziell nicht  erlauben. Daher ist es notwendig, auch in Niedersachsen selbst ein solches Präventionsprojekt zu etablieren, zum Beispiel an der Medizinischen Hochschule Hannover.  Nach Schätzungen des Forschungsleiters der Charité verspürt ein Prozent aller Männer zwischen 18 und 75 auf Kinder gerichtete sexuelle Neigungen- in Niedersachsen also über 20.000 Männer. Nicht all diese Männer begehen sexuelle Übergriffe gegenüber Kindern. Diejenigen , die ein Problem- und Unrechtsbewusstsein haben, müssen die Möglichkeit der Behandlung erhalten, damit so wenig Kinder wie möglich in Zukunft Opfer sexueller Gewalt werden.

Es können Personen teilnehmen, die den Strafverfolgungsbehörden (noch) nicht bekannt sind und Personen, die bisher nicht übergriffig geworden sind, aber dies befürchten. Auch einschlägig verurteilte Männer können teilnehmen, aber nur wenn sie nicht (mehr) unter Bewährung und/oder Führungsaufsicht stehen und keine Therapieauflage (mehr) zu erfüllen haben. Als Voraussetzung wird von der Projektleitung formuliert: "Teilnahmewillige Personen müssen bezüglich ihrer auf Kinder gerichteten sexuellen Impulse über ein Problembewusstsein verfügen und selbst (von sich aus) therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen wollen, um keine sexuellen Übergriffe auf Kinder (mehr) zu begehen."

Das Präventionsprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Beier ist Forschungsprojekt und Behandlungsprogramm zugleich und will Möglichkeiten präventiver Therapie zur Verhinderung bzw. Vorbeugung sexueller Übergriffe auf Kinder untersuchen.

Alle Interessenten, die die genannten Kriterien erfüllen, werden, im Anschluss an eine eingehende Untersuchung, nach dem Zufallsprinzip entweder einer Gruppentherapie, einer Einzeltherapie oder einer Kontrollgruppe zugewiesen. Das Berliner Projekt wurde mittlerweile ausgeweitet auf die Untersuchung, wie die Nutzung von Kinderpornographie als Form eines indirekten sexuellen Übergriffs therapeutisch verhindert werden kann

Sexuelle Übergriffe gegenüber Kindern werden nicht nur, aber auch von Menschen mit pädophiler Neigung begangen. Das Behandlungsprogramm setzt sich als therapeutisches Ziel, dass Personen mit pädophiler Neigunglernen, mit ihren sexuellen Impulsen so umzugehen (bei Bedarf auch mit medikamentöser Therapie), dass sie weder Kinder noch sich selbst schädigen. Eine Heilung im Sinne einer Löschung des ursächlichen Problems (auf Kinder bezogene sexuelle Impulse) ist - genau wie bei vielen organischen Krankheiten, chronischen Erkrankungen und den meisten psychischen und Verhaltensstörungen - nach derzeitigem Stand des sexualmedizinischen Wissens nicht möglich.

Miriam Staudte

stellvertretende Fraktionsvorsitzende

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