Antrag: Selbstbestimmte Schwangerschaft – Beratungs- und Versorgungsstrukturen in Niedersachsen weiter verbessern
Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90 Die Grünen
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Eine Schwangerschaft ist ein physiologisches, natürliches Lebensereignis im Leben einer Frau und zugleich einzigartig, individuell und für die meisten Frauen ein Grund zur Freude. Sie muss selbstbestimmt verlaufen können, denn nicht jede Frau wird gewollt schwanger oder wünscht sich Kinder. Auch bleiben viele Frauen ungewollt kinderlos.
Ob gewollt, ungewollt oder ungeplant schwanger, ungewollt kinderlos, verunsichert oder aus anderen Gründen: Rund um das Thema Schwangerschaft brauchen Frauen einen niedrigschwelligen Zugang zu klar verständlichen Informationen, zu umfassender Beratung und Versorgung, zu einer guten medizinischen Infrastruktur, unabhängig vom Einkommen, Wohnort, Alter oder Sprache. Dies schließt die Beratung rund um das komplexe Thema der Pränataldiagnostik bzw. der IGeL Leistungen (Individuelle Gesundheitsleistungen für Selbstzahlende) ein.
Hebammen begleiten Frauen auf deren Wunsch durch diese Lebensphase und spielen mit ihrer Expertise eine zentrale Rolle. Hebammenversorgung sollte deswegen allen Frauen in der Schwangerschaft als Angebot ausreichend zur Verfügung stehen.
Neben der Frage nach einer guten Versorgung und Begleitung oder auch dem Ausbau der Teilhabe, stehen viele Frauen oder Paare bei einem unerfüllten Kinderwunsch, neben den physischen und psychischen Belastungen, oft vor hohen bürokratischen Hürden, die abgebaut werden müssen.
Die Selbstbestimmung bei einer Schwangerschaft ist essentiell. Doch auch in Niedersachsen ist der Zugang zu Verhütungsmittel für viele allein aus finanziellen Gründen eingeschränkt. Mitunter hat dies die gravierende Folge einer ungeplanten Schwangerschaft.
Im Fall einer ungewollten Schwangerschaft ist eine gute, neutral beratende und medizinische Infrastruktur erforderlich. Die schwerwiegende Entscheidung über den Abbruch einer Schwangerschaft kann von der betroffenen Frau nur dann gefällt werden, wenn sie sich umfassend zu allen Fragen und über mögliche Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs informieren kann. Kompetente Anlaufstellen sind die anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen. Eine erreichbare Beratung sicherzustellen ist eine gesetzliche Aufgabe, der das Land Niedersachsen angemessen nachkommt und dennoch ist die bestehende Versorgung beständig zu evaluieren mit dem Ziel die Erreichbarkeit der Beratungsstellen zu verbessern. Unbenommen bleibt, dass die Entscheidung, ob eine Schwangerschaft abgebrochen wird, allein bei der Frau liegt.
Es ist zudem auch in Niedersachsen vom Wohnort abhängig, ob der Zugang zu einer medizinischen Infrastruktur zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs gut erreichbar ist. Die bisher veröffentlichten Ergebnisse der ELSA-Studie haben dies jüngst aufgezeigt[1]. Dazu kommt, dass die Methodenwahl bei weitem noch nicht frei getroffen werden kann. Die jeweiligen Gründe hierfür sind multifaktoriell, umso wichtiger ist es, ihnen zu begegnen.
Nicht zuletzt haben die Ergebnisse der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin die Debatte um die unangemessene strafrechtliche Verortung eines Schwangerschaftsabbruchs bestätigt. Nach wie vor ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit für ungewollt Schwangere aktuell gefährdet. In Niedersachsen müssen daher weiterhin die Infrastrukturen für die Frauen gestärkt und verbessert werden.
Mit einer Reform des Schwangerschaftskonfliktgesetzes auf Bundesebene werden die Rechte der Schwangeren sowie das Beratungs- und Schutzkonzept in seiner Gesamtheit gestärkt. Durch die aktuellen Gesetzesänderungen werden vor allem nicht hinnehmbare Verhaltensweisen untersagt, die Hilfesuchende, Beratende oder medizinisches Personal belästigen oder bedrohen (sog. Gehsteigbelästigungen). Offizielle Zahlen liegen hierzu bisher noch nicht vor.
Der Landtag begrüßt:
- Die Abschaffung des § 219a sowie die Reform des Schwangerschaftskonfliktgesetzes durch
den Bundesgesetzgeber. - Die Empfehlungen der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, insbesondere zur unangemessenen strafrechtlichen Verortung eines Schwangerschaftsabbruchs.[2]
- Die diskriminierungsfreie Förderung bei Kinderwunschbehandlung von verheirateten und unverheirateten Paaren in gleicher finanzieller Höhe durch das Land Niedersachsen.
Darüber hinaus erkennt der Landtag uneingeschränkt die selbstbestimmte Schwangerschaft von Frauen an, mit dem Ziel, Frauen sowohl medizinisch als auch beratend bei ihrer Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft bestmöglich zu unterstützen.
Der Landtag bittet die Landesregierung:
- Die Aufklärung und Beratung zur Pränataldiagnostik zu verbessern. Aufgrund der unübersichtlichen Vielzahl an pränataldiagnostischen Zusatzangeboten soll ein tragfähiges Beratungskonzept für Frauen in der Schwangerschaft entwickelt werden, um Frauen eine informierte, selbstbestimmte Entscheidung zu diagnostischen Methoden in der Schwangerschaft zu ermöglichen. Die Evidenz zur Wirksamkeit, aber auch zu fehlendem Nutzen und zu möglichen Risiken bzw. unerwünschten Folgen von Maßnahmen in der Angebotspalette müssen dabei dargelegt werden.
- Die ambulante Hebammenversorgung zu unterstützen und vor Ort passgenaue Angebote mit den Hebammenzentren oder hebammengeleiteten Institutionen weiterzuentwickeln. Zudem sollte ein Konzept zur Unterstützung der Hebammenversorgung in strukturschwachen Regionen erarbeitet werden.
- Kinderwunschbehandlungen für werdende Eltern diskriminierungsfrei zu gestalten und in der „Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Maßnahmen der assistierten Reproduktion“[3] folgendes zu berücksichtigen:
- Die Förderung für alle Frauen soll diskriminierungsfrei, unabhängig vom Familienstand und bis zu einer Altersgrenze von 45 Jahren gewährt werden.
- Das Verfahren zur Kostenübernahme des Landes Niedersachsen mit dem Ziel zu überprüfen, es an die physiologischen Bedingungen der Frauen anzupassen, die Belastungen der werdenden Eltern zu reduzieren, den bürokratischen Aufwand abzubauen und eine pragmatische Lösung anzubieten, die möglichst vielen Frauen mit den vorhandenen Haushaltsmitteln die Teilhabe ermöglicht. Dabei sollte die Antragstellung digital zugelassen werden.
- Die Schwangerschaftskonfliktberatung online mit Ausstellung des Beratungsscheins zuzulassen.
- Die wohnortnahe und medizinische Versorgung bei einem Schwangerschaftsabbruch zu verbessern:
- In Niedersachsen verpflichtend Schwangerschaftsabbrüche und deren Durchführung ins Curriculum der fachmedizinischen gynäkologischen Ausbildung aufzunehmen.
- Aufbauend auf den schon bekannten Ergebnissen der ELSA-Studie gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen und den Kliniken zu prüfen, wie in Niedersachsen die Möglichkeiten für ein flächendeckendes Angebot geschaffen werden kann, um einen Schwangerschaftsabbruch wohnortnah durchführen zu lassen.[4]
- Die Informationslage über Schwangerschaftsabbrüche und die schwangerschaftsabbruchdurchführenden Praxen und Kliniken zu verbessern inkl. der Information, welche Methoden dabei jeweils eingesetzt werden.
- Den niedrigschwelligen Zugang zum Schwangerschaftsabbruch zu verbessern, indem die Landesregierung sich gegenüber der Selbstverwaltung dafür stark macht, dass Hausärztinnen und -ärzte mit entsprechender Weiterbildung einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch durchführen dürfen, wie es bereits in den meisten anderen Bundesländern möglich ist.
- Soweit möglich in Zusammenarbeit mit weiteren interessierten Institutionen und Interessensverbänden den Aufbau eines Versorgungsnetzwerkes der durchführenden Ärzte und Ärztinnen zu unterstützen, um den kollegialen Austausch zu fördern, die Versorgung gemeinsam weiterzuentwickeln und der Stigmatisierung entgegenzuwirken.
- Die telemedizinische Versorgung bei einem Schwangerschaftsabbruch auszubauen und so durch vorhanden Expertise die flächendeckende Versorgung zu verbessern, wie von der WHO gefordert.[5]
- Stigmatisierung entgegenzutreten und Übergriffe sichtbar zu machen indem geprüft wird, wie in den vorhandenen Strukturen die Fälle von Gehsteigbelästigung (Schwangerschaftskonfliktgesetz) in Niedersachsen statistisch erfasst werden können und geeignet sichtbar dargestellt werden können.
Zudem bittet der Landtag die Landesregierung, sich auf Bundesebene einzusetzen für:
- eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten 12 Wochen, also einer Streichung des Paragraph 218 aus dem Strafgesetzbuch und dennoch das Recht auf Beratung bei Schwangerschaftsabbruch beizubehalten,
- eine verpflichtende Aufnahme der Thematik Schwangerschaftsabbrüche und deren Durchführung ins Curriculum der fachmedizinischen gynäkologischen Ausbildung, im bereits angelaufenen Prozess der Reform der Approbationsordnung,
- Initiativen zur Einführung von Mutterschutz für Selbstständige,
- die Kostenübernahme für Verhütungsmittel zur sexuellen und reproduktiven Gesundheitsversorgung, wie die Pille, die Pille danach, Spirale, Kondome o.ä. zu gewährleisten, beispielsweise indem diese Mittel in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen werden,
- statt der geplanten Kürzung, die Erhöhung der Mittel für diskriminierungsfreie Kinderwunschbehandlungen.
Begründung
Frauen haben das Recht auf eine selbstbestimmte Schwangerschaft. Jedoch ist es heute für Schwangere immer schwieriger, Zugang zu neutraler und fachkundiger Beratung und medizinischer Versorgung zu bekommen.
Deswegen ist es unbedingt erforderlich, die Unterstützungs- und Informationsstrukturen zu stärken und zu sichern, unabhängig von Einkommen, Wohnort, Alter oder Sprache der Ratsuchenden. Dazu zählen:
- ein niedrigschwelliger, wohnortnaher Zugang zu umfassenden Informationen für alle Fragen, die die Schwangerschaft betreffen, vom Kinderwusch über die medizinische Versorgung bis hin zum Abbruch einer Schwangerschaft,
- eine wohnortnahe medizinische Infrastruktur und Hebammenbetreuung für alle Frauen,
- ein Ende der Stigmatisierungen, der Kriminalisierung und mangelnden Unterstützung bei Schwangerschaftsabbruch,
- eine diskriminierungsfreie Förderung bei Kinderwunschbehandlung,
- bezahlbare bzw. kostenlose Verhütung für alle.
Heute treffen Schwangere unvorbereitet auf ein kaum überschaubares Angebot von Vorsorgeuntersuchungen, IGeL-Leistungen und pränataldiagnostischen Maßnahmen und gleichzeitig auf ein immer dünner werdendes Netz von stark ausgelasteten Unterstützungsstrukturen. Häufig ist es für sie unmöglich zu erkennen, welche (medizinischen) Interventionen in der vorgeburtshilflichen Versorgung nötig und sinnvoll sind.
Hebammen spielen bei der Begleitung von Frauen in der Schwangerschaft eine zentrale Rolle mit ihrer spezialisierten Ausbildung in Bezug auf die reproduktive Lebensphase. Hebammenversorgung sollte deswegen allen Frauen als Angebot auch schon in Schwangerschaft zur Verfügung stehen.
So zeigen Erfahrungen aus anderen Ländern, dass Hebammenhilfe ein wichtiger Präventionsbeitrag zur Gesundheit von Frauen und Familien ist.
Eine wachsende Anzahl von werdenden Eltern findet jedoch keine erreichbare und vom Umfang her angemessene Betreuung durch Hebammen und Frauenärztinnen und -ärzte und vielfach wird auch ihr Wunsch nach Selbstbestimmung aus den unterschiedlichsten Gründen nicht gehört. Dabei sind eine wohnortnahe Unterstützungsstruktur und medizinische Versorgung für die Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft essentiell und haben für uns höchste Priorität.
Der Weg zur Verwirklichung des Wunsches einer Schwangerschaft bei ungewollter Kinderlosigkeit muss so diskriminierungsfrei und unbürokratisch wie möglich für werdende Eltern gestaltet werden. Deshalb ist eine Überprüfung der Prozesse mit dem Ziel der Verbesserung der Verfahren für die Frauen und Eltern geboten. Zur Erreichung dieses Ziels ist es zudem notwendig, dass auf Bundesebene die finanzielle Förderung unabhängig vom Familienstand gleichgestellt wird. Deshalb wird die Landesregierung gebeten, sich dafür einzusetzen.
Ein niedrigschwelliger Zugang zu sicheren Verhütungsmitteln kann dazu beitragen, die Anzahl ungewollter Schwangerschaften und damit einhergehend die Anzahl von Schwangerschaftsabbrüchen zu reduzieren. Doch die Möglichkeiten zur Verhütung einer Schwangerschaft sind heute auch in Niedersachsen noch abhängig von den finanziellen Möglichkeiten. Viele Kommunen regeln die Kostenübernahme von Verhütungsmitteln für Menschen mit wenig Geld erfreulicherweise freiwillig. Entsprechend variieren der Zuschuss und die Ausgestaltung der Kostenübernahme je nach Wohnort. Deswegen fordert das Land Niedersachsen den Bund eindringlich auf, Schwangerschaftsverhütungsmittel kostenlos zugänglich zu machen[6]. Neben der Verhütung von ungewollten Schwangerschaften sollte dabei stets auch das Verhindern einer Verbreitung sexuell übertragbaren Infektionen bedacht sein.
Bei einer persönlichen Notsituation, wie einer ungewollten Schwangerschaft, sind vertrauliche und kompetente Anlaufstellen essentiell. Schwangerschaftskonfliktberatungen sind hierfür gesetzlich beauftragt. Diese Beratungsstellen haben einen umfangreichen Beratungsauftrag, der u.a. Beratung zur Verhütung, Familienplanung, Vorsorge, Adoption und eine soziale Beratung umfasst[7]. Da nicht alle Ratsuchenden in gleichem Maß mobil sind, ist ein online-Angebot zur Beratung ein zeitgemäßes und unkompliziertes Angebot, was während der Corona-Pandemie erprobt werden konnte. Dass diese Beratung auch zur Ausstellung eines noch immer notwenigen Beratungsscheins legitimiert, ist dabei unbedingt anzustreben.
Dass die Versorgungslage bei einem Schwangerschaftsabbruch auch in Niedersachsen verbesserungsfähig ist, haben die schon bekannten Teilergebnisse der ELSA-Studie aufgezeigt[8]. Die Zahl der Stellen, die einen Abbruch durchführen hat sich seit 2003 annähernd halbiert[9]. Vor allem im Westen Niedersachsens ist dies ein Problem. Teilweise müssen Frauen 100 Kilometer und mehr bis zur nächsten Praxis oder Klinik fahren, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt[10]. Auch die Information über der angewendeten Methodik des Abbruchs in den Praxen oder Klinken ist vorab oft intransparent. Die Information- und Versorgungssituation ist daher zu verbessern.
Bei der Absicherung einer guten medizinischen Versorgung spielt der Ausbau der Aus- und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten eine große Rolle. Dabei ist es für die Verbesserung der Versorgungslage dringend notwendig, dass auch Hausärzte und -innen mit entsprechender Weiterbildung einen medikamentösen Abbruch durchführen dürfen, wie es schon in annähernd allen anderen Bundesländern der Fall ist. Der Anteil der Methode eines medikamentösen Abbruchs ist in Deutschland im internationalen Vergleich eher niedrig. Beispielsweise hatten 2020 die medikamentösen Abbrüche in der Schweiz einen Anteil von 79 %, in Schweden von 96 %.[11] Der nicht-invasive Eingriff in der frühen Schwangerschaft stellt eine gute Alternative zu einem risikoreicheren invasiven Eingriff, dar. Die Möglichkeiten hierfür gilt es in Niedersachsen entsprechend auszubauen.
Auch der Ausbau der Telemedizin spielt für die Verbesserung der Versorgungslage eine wichtige Rolle[12]. Weil die Fachexpertise in einem Flächenland wie Niedersachsen nicht überall gleich verteilt ist, wollen wir diese für die Versorgung in der Schwangerschaft und auch im Falle eines medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs mit Telemedizin landesweit besser verfügbar machen. In Berlin zeigt dies erfolgreich das Modellprojekt „Telemedizinisch begleiteter medikamentöser Schwangerschaftsabbruch“ (2020).
Ziel ist, in Niedersachsen über ein Bündel von Maßnahmen einen verbesserten Zugang zu einer modernen Reproduktionsmedizin zu ermöglichen.
[2]https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Kom-rSF/Kurzbericht_Kom-rSF.pdf (Bericht der Kommission, kurz)
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Kom-rSF/Abschlussbericht_Kom-rSF.pdf (Bericht der Kommission, lang)
[6] vgl. auch Empfehlungen des Abschlussberichtes des Modellprojekts biko – Beratung, Information und Kostenübernahme bei Verhütung (www.biko-verhuetung.de, www.profamilia.de)