Antrag: Sanders Kampagne gegen den Naturschutz im Wattenmeer stoppen, bewährte Grundsätze für einen effektiven Küstenschutz beibehalten

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Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Hannover, den 13.04.2005

Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Der Landtag stellt fest:
Die Salzwiesen im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer sind ein einzigartiger, ökologisch hoch sensibler Lebensraum, der durch nationale und europäische Naturschutzbestimmungen streng geschützt ist. Eine Anmeldung als UNESCO-Naturerbe wird derzeit vorbereitet. Um dem Naturschutz und dem Schutz der Bevölkerung vor Sturmfluten gleichermaßen gerecht zu werden, wurden im April 1995 "10 Grundsätze für einen effektiven Küstenschutz" von der Landesregierung beschlossen. Mit seinen Äußerungen, künftig solle der Kleiabbau zur Erhöhung und Verstärkung der Seedeiche an der Küste ausschließlich in den Salzwiesen des Deichvorlandes erfolgen, leitet Herr Minister Sander einen unverantwortlichen Politikwechsel ein, der Nutzungsinteressen selbst im Nationalpark Wattenmeer Vorrang vor dem notwendigen Schutz dieses einzigartigen und hochsensiblen Naturraums einräumt. Ein Abweichen von den genannten Grundsätzen durch vermehrten Kleiabbau in den Salzwiesen und eine verstärkte Verbreiterung der Deiche an der Außenseite
- greift empfindlich in das sensible Ökosystem ein,
- verstößt gegen nationale und europäische Naturschutzbestimmungen,
- führt dazu, dass die Förderfähigkeit der Küstenschutzmaßnahmen durch Bundes- und EU-Mittel erheblich gefährdet wird,
- lässt befürchten, dass frühere Auseinandersetzungen zwischen Natur- und Küstenschutz wieder aufbrechen werden.

Der Landtag fordert die Landesregierung daher auf, entsprechend der bisherigen Praxis:
1. Den für Deichbaumaßnahmen erforderlichen Kleiboden im Regelfall im Binnenland zu gewinnen und den Kleiabbau im Deichvorland auf das notwendige Minimum zu beschränken.
2. Die zur Deichsicherheit erforderliche Verstärkung und Erhöhung der Hauptdeiche so weit als möglich auf der Binnenseite vorzunehmen.
3. Eingriffe in den Naturhaushalt und das Landschaftsbild aufgrund von Küstenschutzmaßnahmen und den Abbau von Sand und Klei in vollem Umfang auszugleichen bzw. zu ersetzen.
4. Sicherzustellen, dass die Naturschutzanforderungen der EU und des Nationalparkgesetzes im Wattenmeer eingehalten werden

Begründung:
Die Salzwiesen im Deichvorland sind ein einzigartiger, ökologisch hoch sensibler Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Entsprechend sind die Salzwiesen durch das Nationalparkgesetz und die FFH- und Vogelschutzrichtlinie streng geschützt. Der Abbau von Klei stellt einen erheblichen Eingriff in diesen Lebensraum dar und ist deshalb auf das absolut notwendige Minimum zu beschränken.
Aus Landesmitteln geförderte wissenschaftliche Untersuchungen zur Regeneration ehemaliger Kleipütten im Deichvorland und zu ihrer Wiederbesiedlung durch standorttypische Tierarten (z.B. benthische Makrofauna, Vögel) sind noch nicht abgeschlossen. Die daraus bisher vorliegenden Erkenntnisse belegen die durch Kleiabbau verursachten erheblichen negativen Folgen für den Naturhaushalt eindeutig.
Mit jeder Erhöhung eines Deiches geht gleichzeitig eine Verbreiterung um das Sechsfache der Erhöhung einher. Sofern diese Verbreiterung auf der dem Wattenmeer zugewandten Außenseite vorgenommen wird, geht damit wertvoller Salzwiesen-Lebensraum in erheblichem Umfang verloren. Notwendige Verbreiterungen sind daher – so weit aufgrund der örtlichen Gegebenheiten möglich – auf der Binnenseite vorzunehmen.
Deichverbreiterungen auf der Außenseite und Kleiabbau in den Salzwiesen sind Eingriffe in ein Schutzgebiet des europäischen Schutzgebietsnetzes "Natura 2000". Diese Vorhaben sind gemäß Artikel 6 der FFH-Richtlinie bzw. des § 34c des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes (NNatG) einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Gemäß § 34 (3), Satz 2 NNatG könnte eine Genehmigung des Eingriffs in das FFH-Gebiet nur erteilt werden, wenn zumutbare Alternativen zum Kleiabbau im Wattenmeer und zur Deichverbreiterung an der Außenseite nicht bestünden.
Die bisherige Praxis zeigt jedoch, dass es in den meisten Fällen zumutbare Alternativen gibt. Über das bisherige Maß hinausgehender Kleiabbau und Überbauung von Salzwiesen wären deshalb ein klarer Verstoß gegen niedersächsisches und europäisches Naturschutzrecht. Die Europäische Kommission verweigert die Auszahlung von Fördermitteln für Vorhaben, mit denen europarechtswidrig in europäisches Schutzgebiet eingegriffen wird. Z.B wurde der Elisabethgrodendeich bisher mit 2,3 Mio. € aus Mitteln der Europäischen Union gefördert. Derartige Fördermittel setzt der Umweltminister fahrlässig aufs Spiel, wenn von den bisherigen Grundsätzen für Deichverstärkungsmaßnahmen abgewichen würde.
Darüber hinaus werden Küstenschutzmaßnahmen überwiegend aus der "Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" (GAK) und damit zu 70% vom Bund finanziert. Der Förderbereich Küstenschutz des GAK-Rahmenplans wurde vom "Planungsausschuss für Agrarstruktur und Küstenschutz" (PLANAK) am 18.11.2004 beschlossen. Demnach sind Küstenschutzmaßnahmen, für die ökologisch wertvolle Flächen in Anspruch genommen werden, nur eingeschränkt förderfähig, "soweit die notwendige Sicherheit nicht durch andere vertretbare Maßnahmen erreicht werden kann". Unabhängig von EU-rechtlichen Vorgaben gingen demnach in erheblichem Umfang Bundesmittel verloren, wenn von einer Alternativenprüfung abgewichen würde.
In früheren Jahren haben Küstenschutzmaßnahmen zu gerichtlichen Auseinandersetzungen mit den Naturschutzverbänden geführt: Im Jahre 1996 wurde eine Deichbaumaßnahme am Cäciliengroden aufgrund einer Verbandsklage des BUND gerichtlich gestoppt. Dieser Baustopp hat zu erheblichen Auseinandersetzungen in der Region geführt. Die am 11.04.95 von der Niedersächsischen Landesregierung beschlossenen "10 Grundsätze für einen effektiven Küstenschutz" stellen einen für alle Seiten tragfähigen Kompromiss zwischen Küsten- und Naturschutz dar. Hierin ist u.a. die in den Punkten 1.und 2. beantragte Vorgehensweise geregelt. Durch Einhaltung dieser Grundsätze konnte der latente Streit zwischen Natur- und Küstenschutz in den letzten Jahren befriedet werden. Ein vom Umweltminister befürwortetes erhebliches Abweichen von diesen Grundsätzen wird diesen Streit mit all seinen Folgen erneut aufbrechen lassen.
Eingriffe in Natur und Landschaft, die notwendigen Maßnahmen zu ihrer Vermeidung/Verminderung, zum Ausgleich und zum Ersatz von Eingriffen in Natur und Landschaft sind in den §§ 7 – 16 des NNatG definiert. Das geltende Recht ist selbstverständlich auch für Deichbaumaßnahmen und beim Bodenabbau zur Gewinnung von Deichbaumaterial anzuwenden.


stellv. Fraktionsvorsitzende


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