Antrag: Partizipation von Jugendlichen in Niedersachsen fördern und ausbauen

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

Kinder und Jugendliche sollen in den Angelegenheiten, die sie betreffen, mitreden können. Partizipationsmöglichkeiten müssen daher für alle junge Menschen verbessert und politische Teilhabemöglichkeiten geschaffen werden, die auch politik- und bildungsferne Jugendliche angemessen berücksichtigen. Die Jugendverbände in Niedersachsen tragen – ebenso wie andere Träger der Jugendarbeit – maßgeblich dazu bei, junge Menschen an Entscheidungsprozessen zu beteiligen und Lust auf politische Partizipation zu machen. Die Selbstorganisation Jugendlicher in Jugendverbänden wird daher ausdrücklich unterstützt.

Seitdem die ehemalige Landesregierung im Zuge der Föderalismusreform im Jahr 2006 den Jugendhilfeausschuss und das Landesjugendamt abgeschafft hatte, gibt es in Niedersachsen weder eine abgestimmte Jugendhilfeplanung noch einen fachlichen Austausch zwischen den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe. Dies ist ein folgenschwerer Fehler gewesen, der neben der starken Einschränkung die Partizipationsmöglichkeiten der Jugendlichen auch zur Zerschlagung der funktionierenden Kinder- und Jugendhilfestrukturen geführt hat. Die Akteure der Jugendpolitik müssen ihre umfassenden Beteiligungs- und Entscheidungsrechte bei der Gestaltung der Jugendpolitik des Landes wieder erhalten.

Der Landtag begrüßt in diesem Zusammenhang,

  1. den von der Landesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Kinder- und Jugendhilferechts zur Wiedereinrichtung des Landesjugendhilfeausschusses und des Landejugendamts in Niedersachsen.
  2. dass das Land seine gesetzlichen Aufgaben als überörtlicher Träger der Jugendhilfe wieder deutlich verstärkt wahrnimmt.

Der Landtag fordert die Landesregierung darüber hinaus auf,

  1. die Kommunen bei der Umsetzung und Verstetigung von Beteiligungsmodellen wie beispielsweise Jugendbeiräten und Jugendforen unter Einbeziehung der freien Träger der Jugendarbeit (z. B. kommunale Jugendringe) stärker als bisher zu unterstützen und zu beraten. Ziel muss eine Verbesserung der Beteiligung Jugendlicher sein. Der Interkulturalität, die durch die zunehmende Zahl Jugendlicher mit Migrationshintergrund bedingt wird, ist dabei Rechnung zu tragen.
  2. eine Ausweitung und Etablierung der Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in Kooperation mit den Kommunalen Spitzenverbänden zu prüfen.
  3. die Mittel und Förderinstrumente für verstärkte Jugendbeteiligung im Dialog mit den Trägern zu überprüfen, um mehr Jugendbeteiligung und -engagement zu erreichen. Die Arbeit der Träger der verbandlichen Jugendarbeit, insbesondere die des Landesjugendrings, ist nachhaltig partnerschaftlich abzusichern.
  4. neue Formen der E-Partizipation zu erproben und bereits bei der Entwicklung solcher Partizipationsformen die Träger der Jugendarbeit sowie die zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer mit einzubeziehen.
  5. eine Absenkung des Wahlalters bei den Wahlen zum Niedersächsischen Landtag auf 16 Jahre anzustreben.
  6. im Rahmen der politischen Bildung Maßnahmen zu entwickeln, die die Beteiligung junger Menschen an demokratischen Entscheidungen wie z. B. Wahlen erhöhen.
  7. den bundesweit gestarteten Prozess zur Entwicklung einer eigenständigen Jugendpolitik zu unterstützen und auf Landesebene die Einführung eines so genannten „Jugend-Check“ zu prüfen.
  8. die Qualifikation der Fachkräfte der Jugendhilfe für die Beteiligung junger Menschen durch geeignete Fortbildungen zu verbessern und auch die Aus- und Fortbildung für Kinder- und Jugendbeteiligungsmoderatorinnen und –moderatoren zu unterstützen.
  9. ein Landesprogramm aufzulegen, das die Jugendhilfe, kommunale Netzwerke und Schulen insbesondere in Brennpunkten besser verzahnt.
  10. den Dialog zwischen Jugendverbänden, Vereinen und Ganztagsschulen zu fördern.

Begründung

Die Rahmengesetzgebung des Bundes (§ 8 SGB VIII) sieht eine aktive Beteiligung junger Menschen an sie betreffende Entscheidungen und Verfahren sowie vor allem auch die Befähigung zur Selbstbestimmung und zur Übernahme sozialer Mitverantwortung vor. Nach § 36 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes sollen Kinder und Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die deren Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligt werden. Hierzu sollen die Gemeinden und Samtgemeinden über die in diesem Gesetz vorgesehene Beteiligung der Einwohnerinnen und Einwohner hinaus geeignete Verfahren entwickeln und durchführen. Auch andere Rechtsnormen wie die UN-Kinderrechtskonvention oder die Europäische Charta der Rechte des Kindes beinhalten Vorschriften zur Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Leider wird die Partizipation von Kindern und Jugendlichen jedoch zu selten im Alltag gelebt.

Engagement in der Jugendverbandsarbeit ist eine wichtige gesellschaftliche Weichenstellung für späteres Engagement in Politik und Gesellschaft. So lernen junge Menschen in den Angeboten der Jugendarbeit nicht nur, sich für ihre eigenen Interessen und solidarisch für die Interessen anderer einzusetzen, sondern erleben auch dass es sich lohnt, sich gesellschaftlich zu engagieren. Sie erlenen darüber hinaus durch das Engagement in Jugendverbänden, wie Entscheidungsprozesse in Organisationen und in der Gesellschaft funktionieren und wie sie sich persönlich einbringen können. Eine Förderung der Jugendarbeit ist daher unerlässlich für die Verbesserung der Partizipationsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen. Die Arbeit der Träger der Jugendarbeit, insbesondere die des Landesjugendrings, hat für die Jugendpolitik Niedersachsens einen sehr hohen Stellenwert und soll daher partnerschaftlich abgesichert werden. § 12 SGB VIII hebt die Rolle der Jugendverbände und deren Zusammenschlüsse als Interessenvertretung für die Belange junger Menschen hervor und verknüpft damit eine bedarfsgerechte Förderverpflichtung für diese Träger.

Darüber hinaus muss die Bedeutung der Jugendpolitik auf der kommunalen Ebene gestärkt werden. So ist die jugendpolitische Interessenvertretung in den Kommunen und Landkreisen von zentraler Wichtigkeit, denn die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen wird maßgeblich durch politische Entscheidungen auf Orts- und Kreisebene geprägt. Und auch die Arbeitsbedingungen der Jugendgruppen, Jugendringe und Jugendverbände hängen stark davon ab, welchen Stellenwert Jugendpolitik vor Ort hat.

Auf der kommunalen Ebene gibt es bisher zwar einige gute Beispiele, wie die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gelingen kann, jedoch sind diese noch nicht flächendeckend verbreitet, sondern meistens projektbezogen. Während zentrale Formen der Interessenvertretung von Kindern und Jugendlichen wie Kinder- und Jugendparlamente oder Kinder- und Jugendbeauftragte nur in einem Teil der Kommunen üblich sind, gibt es projekt- bzw. medienorientierte Angebote in vielen Bereichen. Eine Ausweitung der Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in Gemeinden und Samtgemeinden nach § 36 NKomVG ist daher zu prüfen. Eine Unterstützung bei der flächendeckenden Ausweitung der verschiedenen Beteiligungsmodelle wird in diesem Zusammenhang als  sinnvoll erachtet, um die Jugendbeteiligung in den Kommunen zu verbessern.

Dabei ist es wichtig, dass die Kommunalpolitik Jugendliche als Partnerinnen und Partner sowie als Expertinnen und Experten in eigener Sache anerkennt und respektiert. Die Teilhabe Jugendlicher ist darüber hinaus umfassend zu verstehen. Wie bei anderen demokratischen Beteiligungsformen sollte daher darauf geachtet werden, dass sich alle Jugendlichen, also auch jene aus sozial benachteiligten oder bildungsfernen Familien sowie Jugendliche mit Migrationshintergrund, beteiligen. 

Weiterer Nachholbedarf besteht bei der Entwicklung von Angeboten im Rahmen der politischen Bildung und der Nutzung digitaler Medien. So sollten digitale Medien bei der politischen Beteiligung eine größere Rolle spielen als bislang. Es gilt die Möglichkeiten der E-Partizipation auszubauen.

Zur Stärkung der Beteiligungsrechte Jugendlicher soll zusätzlich eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre angestrebt werden. Während Jugendliche in Bremen, Hamburg und Brandenburg bereits mit 16 und 17 Jahren an den Landtagswahlen teilnehmen dürfen, gilt in den übrigen Bundesländern das aktive Wahlrecht bei Landtagswahlen erst ab 18 Jahren. In Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein gilt das Wahlalter 16 bisher nur bei Kommunalwahlen.

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