Antrag: Paketverkauf der Landeskrankenhäuser stoppen - Psychiatrische Versorgung regional und gemeindenah organisieren

...

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Hannover, den 6.9.2005

Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Der Landtag stellt fest:
Der von der Landesregierung geplante "en-bloc-Verkauf" der niedersächsischen Landeskrankenhäuser hat zu großer Verunsicherung und klarer Ablehnung bei allen Betroffenen geführt. Der Verkauf erfolgt nicht aus überzeugenden psychiatriepolitischen Gründen, sondern allein deswegen, um durch einen geschätzten Verkaufserlös Haushaltslöcher zu stopfen. Dabei würde die kurzfristige Entlastung des Landeshaushalts durch einen einmaligen Verkaufserlös durch die zu erwartenden Mehrbelastungen des Landeshaushalts auf Dauer konterkariert. Der Beschluss der Landesregierung stellt das funktionierende Versorgungssystem in Frage und gefährdet die erforderliche Weiterentwicklung der niedersächsischen Landespsychiatrie zu einer gemeindenahen Versorgungsstruktur.
Die Landesregierung wird aufgefordert die psychiatrische Versorgung neu zu ordnen und nach folgenden Zielen und Kriterien vorzugehen:
1.) Die Ausführung der Aufgaben des Maßregelvollzugs bleibt als hoheitlicher Eingriff in die Rechte Betroffener dem Land Niedersachsen vorbehalten.
2.) Ein "en bloc- Verkauf" findet nicht statt. Die Bildung einer oder mehrerer Anstalten des Öffentlichen Rechts oder gGmbH ggf. im Mehrheitseigentum des Landes oder anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts, sowie auch Mitarbeiterbeteiligungsmodelle sind zu prüfen.
3.) Ein eventueller Verkauf einzelner Landeskrankenhäuser oder eine Hineinnahme privater Investoren als Partner erfolgt nur an regionale zuverlässige Krankenhausträger, Belegschaftsträger, Kommunen oder von ihnen gegründete Zweckverbände. Mögliche Ausschreibungen für Verkäufe sind erst nach Vorlage und Prüfung der Empfehlungen der vom Sozialministerium eingesetzten Projektgruppe(n) vorzunehmen. Bei einem möglichen Verkauf sind folgende Punkte zu berücksichtigen:
 Vorzugsweise sollen die Träger die psychiatrische Versorgung übernehmen, die die stationäre psychiatrische Versorgung als Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern organisieren können. Das Land setzt für den Ausbau von Abteilungspsychiatrien entsprechende Prioritäten im niedersächsischen Krankenhausinvestitionsplan.
 Mögliche neue Träger sind auf die Bereitschaft, im sozialpsychiatrischen Verbund nach dem Niedersächsischen Psychisch Krankengesetz (NPsychKG) mitzuarbeiten und die dort vereinbarten Ziele zur psychiatrischen Versorgung mit zu tragen, zu verpflichten. Die Besuchskommissionen bleiben mit dem bisherigen Aufgabenspektrum bestehen.
 Die vorhandenen Institutsambulanzen sind von einem möglichen neuen Träger weiter zu führen; neue forensische Institutsambulanzen und eine Prognosekommission sind mit dem Ziel der verstärkten ambulanten Betreuung von Patientinnen und Patienten zur Entlastung des Maßregelvollzugs aufzubauen.
 Vor einem möglichen Verkauf oder einer Umwandlung in eine gGmbH oder AÖR wird zwischen dem Sozialministerium, der Leitung eines jeden LKH und der Vertretung der Beschäftigten eine Dienstvereinbarung abgeschlossen, die zum Bestandteil des Verkaufsvertrags wird. Die Dienstvereinbarung muss mindestens die in Schleswig-Holstein getroffenen Regelungen umfassen.
Begründung
Die Landesregierung hat in ihrer Kabinettsklausur vom 4./5.Juli d. J. beschlossen, die Niedersächsischen Landeskrankenhäuser zu verkaufen. Dieser Beschluss betrifft sowohl die Krankenhäuser und Abteilungen der allgemeinen Psychiatrie wie auch die forensischen Abteilungen an den NLKH. Im Gegensatz dazu hatten sich noch im Mai dieses Jahres die Sozialministerin wie auch Vertreter der Regierungsfraktion der CDU für die Überführung der Landeskrankenhäuser in eine oder mehrere Anstalten Öffentlichen Rechts ausgesprochen.
Der Beschluss, der aus rein fiskalischen Erwägungen getroffen worden ist, übersieht, dass die notwendige Weiterentwicklung der Psychiatrie in Niedersachsen zu einer gemeindenahen Versorgung durch einen Verkauf, womöglich als "en-Bloc-Verkauf" an einen Träger, beendet würde. Er übersieht auch, dass die niedersächsischen Landeskrankenhäuser in den Jahren 1999 bis 2003 mehr als 12 Millionen Überschüsse erzielt haben und damit für das Land eine Einnahmequelle darstellen.
Die Privatisierung des Maßregelvollzug (MRV) ist verfassungsrechtlich äußerst umstritten. Nach Auffassung namhafter Juristen muss der Maßregelvollzug vom Staat selbst getragen und durchgeführt werden. Über diese Frage gibt es zurzeit einen in Schleswig-Holstein vor Gericht ausgetragenen Grundsatzstreit, der absehbar bis zur höchsten gerichtlichen Instanz getrieben werden wird. Die Landesregierung sollte daher von einer Privatisierung des Maßregelvollzugs absehen. Da das Land auch im Falle der Privatisierung des MRV einziger Finanzier der forensischen Psychiatrie bleiben würde, ist auf Dauer mit einer höheren Kostenbelastung der Öffentlichen Hand zu rechnen. Allein bei einer durchschnittlich längeren Verweildauer der forensischen Patientinnen und Patienten von einem Monat würden sich Mehrkosten von ca. 6.6 Mio. € ergeben. Hinzuzurechen wäre die Amortisation der Investitionskosten für zusätzliche Betten in den Pflegesätzen.
Angesichts der ständig steigenden Zahl psychisch kranker Straftäter und der notwendigen Wiedereingliederung in die Gesellschaft ist es dringend erforderlich, die Zahl der stationär untergebrachten Patientinnen und Patienten durch die Einrichtung einer Prognosekommission sowie durch den Aufbau forensischer Ambulanzen und außerstationärer Betreuungsformen zu senken.
Ein "en-bloc-Verkauf" aller Landeskrankenhäuser an einen privaten, bundesweit agierenden Investor würde jegliche Perspektive auf einen Ausbau einer gemeindenahen Psychiatrie in Niedersachsen verstellen. Sofern sich die Landesregierung nicht zu einer Überführung der NLKH in eine oder mehrere Anstalten Öffentlichen Rechts (AÖR) oder in eine gGmbH durchringen kann, soll der Verkauf der LKH einzeln an regional vorhandene und zuverlässige Krankenhausträger, Belegschaftsträger oder an kommunale Zweckverbände oder Kommunen erfolgen. Vorzugsweise wird der weitere Ausbau von so genannten Abteilungspsychiatrien, wie sie in vielen Kreisen oder kreisfreien Städten des Landes schon existieren, befürwortet. In der Zwischenzeit haben bereits einige regionale Träger von Krankenhäusern ihr Interesse an der Übernahme eines LKH bekundet, so z.B. die Stadt Lüneburg, der Landkreis Ammerland oder das Bistum Osnabrück.
Die Verpflichtung auf die Zusammenarbeit im Sozialpsychiatrischen Verbund, wie er das Niedersächsische Psychisch Krankengesetz vorsieht, muss als Bedingung einem möglichen neuen Träger vertraglich auferlegt werden.
Die bisherigen Erfahrungen mir einem privaten Träger in Niedersachsen zeigen, dass der Krankenhausbetrieb in erheblichem Maße als "Durchlauferhitzer" für die eigenen Heimbetriebe genutzt wird, mit erheblichem Kosten für die Kommunen. Das Problem der assoziierten Heimeinrichtungen wurde bereits im 19. Bericht des Ausschusses über die Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung für das Jahr 2003 thematisiert. Das Land würde sich mit einer Privatisierung der Psychiatrie einer zentralen Steuerungsfunktion für eine bezahlbare und weiter zu entwickelnde Psychiatrie in Niedersachsen begeben.
Es ist zu erwarten, dass bei einem Verkauf wegen der Refinanzierungsnotwendigkeiten und der Gewinnerzielungsabsichten privater Träger ein erheblicher Druck auf die bestehenden Arbeitsverhältnisse ausgeübt werden wird. Gewinne können nur durch Einsparungen beim Personal erzielt werden, dies allerdings würde bei der personalintensiven psychiatrischen Versorgung die Qualität der Arbeit erheblich verschlechtern.
Vor einem möglichen Verkauf muss deshalb in Anlehnung an die in Schleswig-Holstein geübte Praxis eine Dienstvereinbarung zur Sicherung von Standards sowohl in personalrechtlicher Hinsicht wie auch zur therapeutischen Qualität mit den Leitungen und Personalräten der NLKH geschlossen werden, die zum verpflichtenden Bestandteil der Kaufverträge gemacht werden muss. Diese Vereinbarung muss mindestens Folgendes umfassen: Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, keine Schlechterstellung der MitarbeiterInnen, Beibehaltung der bestehenden Tarifverträge und der VbL, Erhalt der Stellen- und Aufgabenbeschreibungen; Anrechnung der Dienst- und Beschäftigungszeiten, Sicherung der Rechte der Personalräte im Gesamtprozess, Bestehen bleiben der Gleichstellungsbeauftragten und der Schwerbehindertenvertretung, Gewährleistung von Arbeits- und Unfallschutzauflagen, Einschränkung von Versetzungen auf einen engen Km-Radius, Verbleib der Entscheidungskompetenz vor Ort, Einschränkung des Tendenzschutzes im Fall des Übergangs in kirchliche bzw. kirchennahe Trägerschaft, Sicherung der von den Landeskrankenhäusern aufgebauten Qualitätsstandards in der psychiatrischen Behandlung und Versorgung ( z.B. Einhaltung der PsychPV ), Teilnahme an den Bemühungen zur Enthospitalisierung von PatientInnen und zur Stärkung der ambulanten Betreuung.
Stellvertr. Fraktionsvorsitzende

Zurück zum Pressearchiv