Antrag: Missbrauch von Werkverträgen bekämpfen!

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

Seit dem Inkrafttreten der tariflichen Branchenzuschläge in der Zeitarbeit umgehen Personaldienstleister daraus sich ergebende Lohnerhöhungen durch die verstärkte Nutzung von Werkverträgen. Werkverträge ersetzen als Lohndumpingmodell zunehmend Leiharbeit, die in der Vergangenheit häufig bereits Stammarbeitsplätze verdrängt hat.

Unternehmen lagern oft allein aus profitorientierten Gründen ganze Teile ihrer Produktion über Werkverträge an Fremdfirmen aus. Dabei unterscheiden sich die Löhne von Werkvertragsbeschäftigten erheblich von denen der Stammbeschäftigten. Der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ zwischen Stammbelegschaften und Werkvertragsbeschäftigten wird damit massiv verletzt. Vor diesem Hintergrund ist ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn auf Bundesebene zwingend erforderlich.

Dieses Vorgehen ist umso mehr ein Problem, als die Unternehmen auf diese Weise gesetzliche Bestimmungen und von ihnen selbst abgeschlossene Tarifverträge umgehen. Die Abgrenzung zwischen einem echten Werk- oder Dienstleistungsvertrag einerseits und illegaler Arbeitnehmerüberlassung andererseits bereitet zunehmend Schwierigkeiten.

Immer häufiger werden Beschäftigte, die formal über Werkverträge ihre Dienstleistung vollbringen, wie Leiharbeitnehmerinnen und -nehmer eingesetzt. So werden die geringen rechtlichen und tariflichen Standards für die Leiharbeit noch weiter unterschritten.

Dies ist möglich, weil der Nachweis illegaler bzw. verdeckter Arbeitnehmerüberlassung selten geführt werden kann. Die Kontrollkapazitäten reichen nicht aus, dem zunehmenden Missbrauch von Werkverträgen wirksam entgegen zu wirken.

Weil keine Meldepflicht besteht, gibt es derzeit keine offiziellen Statistiken darüber, wie und in welchem Umfang Werkverträge in Niedersachsen eingesetzt werden. Es gibt neben den Erkenntnissen der Landkreise und Gemeinden nur punktuelle Erhebungen der Gewerkschaften, die aber nur die Spitze des Eisberges erkennen lassen.

Anfang 2014 endet die eingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit für Arbeitnehmerinnen und -nehmer aus Rumänien und Bulgarien. Mit großer Sorge stellt der Niedersächsische Landtag fest, dass dieser Personenkreis derzeit als „Beschäftigte dritter Klasse“ nach Deutschland geholt und zum Lohndumping missbraucht wird. Dieser Zustand muss rechtzeitig beendet werden.

Der Landtag fordert deshalb die Landesregierung auf:

  1. mit Hilfe einer Bundesratsinitiative die politischen Rahmenbedingungen zu verbessern, d. h.:
    • durch geeignete Änderungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes dem Missbrauch von Werkverträgen entgegen zu wirken.
    • die Mitbestimmung der Betriebsräte zum Schutz der Stammarbeitnehmerinnen und -nehmer bei Auslagerung und Vergabe von Aufträgen an Subunternehmen auszuweiten, um auch juristisch handlungsfähig zu sein.
    • die Generalunternehmerhaftung auszuweiten, damit Arbeitnehmerinnen und -nehmer nicht wie bereits häufig geschehen, um ihren Lohn betrogen werden können.
    • eine Meldepflicht für Werkvertragsbeschäftigte einzuführen.
    • den Nachweis der Sozial- und Krankenversicherung für Werkvertragsbeschäftigte einzufordern.
    • die Barauszahlungen abzuschaffen und die Nachweispflicht über die bargeldlose Zahlung der Arbeitsentgelte einzuführen.
    • den möglichen Missbrauch von Transferleistungen (z. B. Kindergeld) zu überprüfen.
  2. die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) und die Staatsanwaltschaften zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität personell weiter zu verstärken, um so die Prüfungs-, Feststellungs- und Ermittlungskapazitäten zu erhöhen.
  3. die Instrumente der Wohnungsaufsicht unter Beteiligung der Landkreise und Gemeinden zu überprüfen und zu verbessern, um landeseinheitliche soziale Mindeststandards für Wohnräume und deren Kontrolle festzulegen. Dabei gilt es, in enger Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden schnellstmöglich wirksame Instrumentarien auf untergesetzlicher Ebene zu verabschieden und darüber hinaus die Erarbeitung eines Wohnraumaufsichtsgesetzes zu prüfen. Dazu gehört auch die Sicherung von ausreichendem und menschenwürdigem Wohnraum für die berufliche Zuwanderung in der Leih-, Werks- und Kontingentarbeit. Darüber hinaus ist eine einheitliche Regelung über die Ordnungswidrigkeiten herbeizuführen.
  4. die EEG-Befreiung von Betrieben in Niedersachsen zu überprüfen, die Dienstleistungen in Form von Werkverträgen auslagern und diese als Sachkosten (Zahlungen an Subunternehmen für Werkvertragsbeschäftigte) geltend machen.
  5. die konsequente Einhaltung der Tier- und Verbraucherschutzrichtlinien sowie der EU-Hygienevorschriften von Betrieben in der Lebensmittelbranche zu überprüfen und zu kontrollieren.
  6. die Einhaltung von Arbeitsschutz- und Arbeitszeitbestimmungen in Betrieben mit einem hohen Anteil von Werkvertragsbeschäftigten und dies über die Gewebeaufsichtsämter zu überprüfen und zu kontrollieren. Zudem sind regionale Beratungsmöglichkeiten insbesondere für osteuropäische Arbeitnehmerinnen und -nehmer einzurichten.

Begründung

Die Zahl der Werkverträge hat in der Vergangenheit erheblich zugenommen. Insbesondere in der fleischverarbeitenden Industrie werden Werkverträge inzwischen in großem Umfang eingesetzt. Von vielen Unternehmern wird dieses rechtliche Instrument missbraucht, um möglichst wenig Personal fest zu binden. Häufig übersteigt die Zahl der Werkvertragsbeschäftigten die der Stammbelegschaft. Damit wird die Idee ad absurdum geführt, die dem Konzept der Werkverträge zu Grunde liegt.

Mit dem übermäßigen Einsatz von Werkverträgen geht auch das Problem der Dumpinglöhne einher. Bisher war u. a. Leiharbeit ein oft genutztes Instrument, um Tariflöhne zu umgehen und Stundenlöhne auf ein Niveau zu drücken, das sittenwidrig ist. Da für die Leiharbeit in bestimmten Branchen durch das Arbeitnehmerentsendegesetz mittlerweile ein gesetzlicher Mindestlohn gilt, werden in immer mehr Betrieben Werkverträge für Lohndumping missbraucht. Faktisch handelt es sich jedoch weiterhin um klassische Leiharbeit, die als Werkvertrag getarnt wird.

Besonders Arbeitnehmer aus Bulgarien und Rumänien sind häufig Opfer der missbräuchlichen Ausgestaltung von Werkverträgen. Die Ursache liegt hier in den schwierigen Bedingungen in ihren Herkunftsländern. Ihre Ausgangslage wird oft auch dadurch erschwert, dass sie über kaum ausreichende Sprachkenntnisse und Bildungsvoraussetzungen verfügen. Primäres Ziel muss es deshalb sein, die Lebensverhältnisse in den Heimatländern zu verbessern. Diese Anliegen gegenüber den Heimatländern zu vertreten, ist in erster Linie Aufgabe der Bundesregierung. Sie muss in Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union u.a. für die Schaffung sozialer Sicherungssysteme in Bulgarien und Rumänien eintreten, die allen Bürgerinnen und Bürger ihrer Staaten zugänglich sind. Die Bundesregierung muss dafür Sorge tragen, dass Bildung vor Ort gefördert wird, die eine adäquate Schulausbildung sichert. Sie muss darauf hinwirken, dass vor Ort die Fördermittel des Europäischen Sozialfonds (ESF) zielgerichtet eingesetzt werden, und ihre zweckentsprechende Verwendung durch den EU- Integrationskommissar kontrolliert wird. Ziel muss die Annäherung der sozialen Verhältnisse, wie sie in den meisten Staaten Europas vorherrschen, auch in den Herkunftsländern sein. Die gezielte Förderung von Projekten zur Bildung, Zugang zu Arbeit, Gesundheitsvorsorge und Wohnraum muss von der Europäischen Union in den Herkunftsländern kurzfristig initiiert und überwacht werden. Voraussetzung hierfür ist, dass bereit gestellte Fördermittel auch tatsächlich abgerufen werden können, hierzu sollten die Bundesregierung und die Länder ihre administrative Unterstützung zusagen.

Prekäre Beschäftigung muss zurückgedrängt werden, um dem Leitbild „Gute Arbeit“ und dem Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gerecht zu werden.

Um den Missbrauch von Werkverträgen zu verhindern, müssen auf Bundesebene die gesetzlichen Regelungen konkretisiert und verbessert werden. Insbesondere sind die Rechte der Betriebsräte zu stärken, um den Schutz der Werkvertragsbeschäftigten zu erhöhen. Denn nur eine Ausweitung der Mitbestimmungsrechte kann Betriebsräte in die Lage versetzen, den Einsatz von Arbeitern zu kontrollieren, die zu prekären Bedingungen beschäftigt werden. Werkverträge müssen in ihrer rechtlichen Definition klar von Leiharbeit abgegrenzt werden. Sind diese Unterschiede klar definiert, kann von den zuständigen Behörden auch effektiv kontrolliert werden.

Es gilt jetzt, jene Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer gesetzlich zu schützen, die sich gegen die neuen Auswüchse der Tarifumgehung und des Lohndumpings nicht wehren können. Es ist nicht länger hinzunehmen, dass Werkvertragsbeschäftigte aus dem In- oder Ausland zu Stundenlöhnen von teilweise weniger als fünf Euro arbeiten und zudem noch in menschenunwürdigen Unterkünften zu Wuchermieten untergebracht sind.

Ein weiterer Effekt dieser Art des Lohndumpings ist die Aushebelung der in Deutschland geltenden Sozialstandards. Der Missbrauch von Werkverträgen führt dazu, dass keine Sozialbeiträge in der Bundesrepublik Deutschland abgeführt werden. So wird versucht, das Solidarsystem der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung zu unterhöhlen. Das muss verhindert werden.

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