Antrag: Liberalisierung der Trinkwasserversorgung stoppen

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Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Hannover, den 26.03.03


Der Landtag wolle beschließen:
"Entschließung
A. Der Landtag stellt fest,
- in den derzeit laufenden Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) über die Weiterentwicklung des allgemeinen Übereinkommens über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services (GATS)) sind Verhandlungsvorschläge der Europäischen Kommissson bekannt geworden, den Bereich der Trinkwasserversorgung, der in den weitaus meisten Staaten der Welt als grundlegende Aufgabe der staatlichen Daseinsvorsorge wahrgenommen wird, zu liberalisieren. Wasser würde damit nicht mehr als Lebensmittel von höchstem Rang behandelt, das zudem in den trockenen Klimazonen der Erde ein knappes Gut darstellt, sondern zu einer schlichten Handelsware herabgestuft;
- dass Liberalisierung und Privatisierung der Trinkwasserversorgung nach aller Erfahrung zu höheren Verbraucherpreisen, zu weniger Qualität und Versorgungssicherheit führen;
- dass eine Liberalisierung der Wasserversorgung mit der Bildung von Monopolen verbunden ist, die besonders die armen Staaten der Welt in neue Abhängigkeiten zu multinational agierenden Konzernen treibt;
- eine Liberalisierung der Trinkwasserversorgung in einem Welthandelsabkommen zum Dienstleistungssektor würde in der Konsequenz auch in den Ländern der Europäischen Union zu einer Liberalisierung der Trinkwasserversorgung führen, und damit auch die Struktur der Trinkwasserversorgung in Niedersachsen grundlegend betreffen.

B. Der Landtag unterstützt die Forderung von UN-Generalsekretär Kofi Annan nach einem weltweiten Menschenrecht auf Wasser. Der Landtag ist der Überzeugung, dass nur mit einem abgesicherten Menschenrecht auf Wasser sich dauerhaft und weltweit der freie Zugang zum Grundlebensmittel Trinkwasser zu sozialverträglichen Preisen für alle Menschen sichern läßt.

C. Der Landtag erwartet von der Europäischen Kommission,
- die bei den laufenden Verhandlungen der Welthandelsorganisation zu GATS die Länder der Europäischen Union vertritt, dass keine Verhandlungsangebote eingebracht werden, die eine weltweite Liberalisierung der Trinkwasserversorgung zum Ziel haben;
- dass nicht nur die demokratischen Organe der Staaten der EU, wie in der BRD der Bundestag, sondern auch – entsprechend dem Prinzip der Subsitiarität –, der Niedersächsiche Landtag ausreichend Zeit zur Stellungnahme und zur Diskussion der Verhandlungspositionen der EU-Kommission in den WTO-Verhandlungen erhält. Es ist vor allem ein regionales Interesse der Bevölkerung der EU, wie die Organisation und Struktur der Trinkwasserversorgung ausgestaltet werden;
- dass die Europäische Kommission auf der Grundlage der Ergebnisse des 3. Weltwasserforums in Kyoto vom März 2003 Vorschläge unterbreitet, wie der Zugang zu sauberem Trinkwasser für über 1,2 Milliarden Menschen in Wassermangelgebieten der Welt sichergestellt werden soll, und in welchem Umfang sich die Staaten der EU an den notwenigen Maßnahmen beteiligen sollen.

D. Der Landtag fordert die Landesregierung und die Bundesregierung auf,
- alle politischen Möglichkeiten zu nutzen, auf die Europäische Kommission als Verhandlungsführerin bei der WTO einzuwirken, eine Liberalisierung der weltweiten Trinkwasserversorgung zu verhindern.

E. Der Landtag fordert die Landesregierung weiter auf
- als Beitrag zur weltweiten Wasserpolitik in Niedersachsen eine regional orientierte und nachhaltigte Wasserpolitik auf der Grundlage des Berichts der Regierungskommission "Zukunftsfähige Wasserversorgung in Niedersachsen" vom April 2002 fortzusetzen und weiter zu entwickeln. Dazu gehören u.a. die Grundsätze:
- a. Die Trinkwasserversorgung bleibt Teil der Daseinsvorsorge der Kommunen;
- b. die Beibehaltung des Systems der Gebietsmonopole und des Prinzips der Regionalität;
- c. die Förderung der Kooperation der Trinkwasserversorgungsunternehmen untereinander;
- d. die Unterstützung der Trinkwasserversorgungsunternehmen durch das Land bei der Einführung neuer Techniken und wirtschaftlicherer Verfahren."

Begründung
Mit dem Inkrafttreten des GATS am 1. Januar 1995 hat die EU bereits weitreichende Verpflichtungen zur Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen übernommen. Mit den jetzt laufenden Verhandungen über eine Weiterentwicklung des GATS wird versucht, ein höheres und ausgewogeneres Liberalisierungsniveau der WTO-Mitglieder beim Wettbewerb der Anbieter von Dienstleistungen zu erreichen. Besonders problematisch ist hier die Liberalisierung der Trinkwasserversorgung.
Die Bestrebungen in dem Welthandelsübereinkommen über den Dienstleistungssektor GATS von einem Wassermarkt zu sprechen, und ihn liberalisieren zu wollen, geht vor allem auf Kosten der Länder des Südens und der Schwellenländer. Damit würde eine Linie der Weltbank fortgeführt, die die Vergabe von Krediten schon in verschiedenen Fällen an die Bedingung der Öffnung der Trinkwasserversorgung (Marktöffnung) der betroffenen Länder für westliche Wasserkonzerne geknüpft hat. Profitiert haben in allen Fällen die Wassermultis von USA und EU, die die Versorgungseinrichtungen in Ballungsgebieten errichten und betreiben konnten.
Lassen sich in den Millionenstädten des Südens diese Versorgungsanlagen noch wirtschaftlich betreiben, so wird der ländliche Raum in der Regel abgehängt. In dünn besiedelten ländlichen Räumen der Länder des Südens läßt sich die Trinkwasserversorgung schlicht nicht "wirtschaftlich" d.h. profitabel für Wasserkonzerne betreiben. Die strukturelle Benachteiligung der Bevölkerung auf dem Lande droht das Problem der Landflucht weiter zu verschärfen. Ohne staatliche Finanzmittel läßt sich hier in absehbarer Zukunft die grundlegende Versorgungsinfrastruktur nicht ausbauen und erhalten.
Deutlich werden die Folgen von Liberalisiserung eines grundlegenden Versorgungsbereichs beim deutschen Strommarkt. Bundesminister Trittin hat in einem Interview mit der "Welt am Sonntag" am 23.03.03 erneut festgestellt, dass wir es nach der Liberalisierung des Strommarktes bei den Netzbetreibern weiter mit Monopolen zu tun haben. Die EU, die bei den GATS-Verhandlungen die Liberalisiserung der Trinkwasserversorgung vorantreibt, fordert von der Bundesregierung die Einrichtung einer Regulierungsbehörde für den Energiemarkt, weil die Nachteile der Liberalisierung für den Markt – die Verbraucher - anders nicht in den Griff zu bekommen sind. Auch in Niedersachsen gibt es im Stromsektor die Diskussion um höhere Preise im ländlichen Raum. Die Stromunternehmen stellen – rein wirtschaftlich betrachtet - zu Recht fest, dass der Aufwand für das Vorhalten der Transportleitungen pro Abnehmer im ländlichen Raum sehr viel höher liegt, als in den Städten. Genau diese Tatsache spricht aber gegen die Liberalisierung der Wasserversorgung und für die Beibehaltung dieser Aufgabe als Daseinsvorsorge der Kommunen. Der Staat ist verpflichtet, für gleiche Lebensbedingungen, für den Ausgleich des Stadt – Land – Gefälles zu sorgen. Nach der Liberalisierung des Strommarktes ist aber genau dieser Ausgleich zwischen Regionen, zwischen Stadt und Land, zwischen Großabnehmern und Kleinabnehmern, letztlich das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit, nicht mehr gesichert. Nach der Liberalisierung folgt die Überliberalisierung, die Aufhebung der Grundlage menschlichen Miteinanders: der Solidarität der Gemeinschaft.
UN-Generalsekretär Kofi Annan hat zum Weltwassertag am 22.03.03 ein Grundrecht der Menschen auf Wasser gefordert. Schon in Hinblick auf die Situation allein in Niedersachsen, in der BRD, und der seit Jahren andauernden Diskussion um die Liberalisierung des sog. Wassermarktes, der angeblich ungerechtfertigten Gebietsmonopole für die Trinkwasserversorgung, würde ein Grundrecht auf Wasser Klarheit schaffen. Es würde sicherstellen, dass Staat für den Zugang zu Wasser, die Verteilung und den Erhalt der Ressourcen verantwortlich ist.

Fraktionsvorsitzende

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