Antrag: Lehrstellenlücke schließen - Transparenz in die Ausbildungssituation im Land bringen

 

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

1. Der Landtag stellt fest:

Während von den Arbeitgebern erneut weniger Ausbildungsstellen als in den Vorjahren gemeldet werden, steigt die Zahl der Ausbildungssuchenden, bedingt durch die Schulabschlüsse geburtenstarker Jahrgänge, weiter an. Die wachsende Lehrstellenlücke führt dazu, dass Niedersachsen laut aktuellem Bildungsbericht der Bundesregierung mit 46 % den im Ländervergleich höchsten Anteil der Jugendlichen in Übergangssystemen zwischen Schule und Berufsausbildung hat.

Wer den eigenen Lebensweg mit der Erfahrung der Ausbildungs- und Arbeitslosigkeit beginnt, verliert Perspektive, Motivation und Selbstvertrauen. Der individuelle Verlust von Zukunftschancen und -zutrauen bedeutet in der Folge hohe soziale und wirtschaftliche Lasten für alle.

Deswegen sind alle gesellschaftlichen und politischen Akteure in der Pflicht, diese frustrierende und perspektivlose Lage für die nachwachsende Generation so schnell wie möglich aufzulösen und für alle Jugendlichen Ausbildungsmöglichkeiten bereit zu stellen. Dabei muss eine bedarfsgerechte Ausweitung der betrieblichen Ausbildung im dualen System prioritäres Ziel aller Beteiligten sein. In Niedersachsen finden derzeit jedoch nur 37,5 % der Ausbildungssuchenden im dualen System einen Ausbildungsplatz. Das ist Minusrekord unter den Bundesländern (s. Bildungsbericht der Bundesregierung). Eine gut ausgebildete Bevölkerung ist aber die entscheidende Ressource, um im Innovationswettbewerb mit anderen Bundesländern und global bestehen zu können.  

2. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

a) Eine Zuwachsvereinbarung für Lehrstellen zu schließen

Die Landesregierung muss mit den Partnern im Pakt für Ausbildung die Vereinbarung für neu zu schaffende Ausbildungsplätze in eine echte Zuwachsvereinbarung umwandeln, um zukünftig auch die jährlich wegfallenden Plätze auszugleichen.

b) Prüfungsgebühren abzuschaffen

Die Landesregierung soll auf die Partner im Pakt für Ausbildung einwirken, damit diese über die Vereinbarungen im Pakt hinaus aktiv werden und beispielsweise die Unternehmen, die ausbilden, von Kosten entlastet werden. So könnten die Kammern einheitlich dem guten Beispiel einzelner Regionen folgen und die Prüfungsgebühren abschaffen. Wenn die Kosten der Prüfungen stattdessen auf die Mitgliedsbeiträge umgelegt werden, beteiligen sich auch die Unternehmen an den Kosten der Ausbildung, die selbst  nicht ausbilden.

c) Selbstverpflichtungen zu vereinbaren

Die Landesregierung Soll auf die Tarifpartner im Rahmen des Paktes Einfluss nehmen, sich in tariflichen Vereinbarungen selbst zur Erhöhung der Ausbildungszahlen zu verpflichten. Unterstützend muss das Land auch selbst im Landesdienst mit gutem Beispiel voran gehen.

d) Die Studierquote zu erhöhen

Die Landesregierung muss den negativen Trend der sinkenden Studierquote der Abiturienten durch gezielte Angebote und Informationen an den Schulen, die insbesondere das Interesse an technischen Studiengängen wecken, umkehren. Dazu sind auch an den Universitäten Anstrengungen erforderlich zur Ausweitung der Studienplatzkapazität und zur Erhöhung der Studienattraktivität.

e) Im Übergangssystem mehr Qualifizierung sicher zu stellen

Die Landesregierung muss das so genannte Übergangssystem mit dem Ziel straffen, so dass kein Teilnehmer diese "Warteschleife" ohne besseren Abschluss oder direkt beruflich verwertbare geprüfte Qualifikation verlässt. Daneben sind regional und zeitlich (bis 2012) begrenzte zusätzliche vollzeitschulische Ausbildungsangebote an den Berufsbildenden Schulen mit möglichst umfangreichen Betriebspraktika zu schaffen.

f) Eine Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit zu erreichen

Bis Oktober 2006 sind von der Landesregierung Konzepte vorzulegen, wie die im Ausbildungspakt vereinbarte Kooperation der Arbeitsagenturen, der Betriebe, der überbetrieblichen Bildungsstätten, der Berufsbildenden Schulen und anderer Berufsbildungsträger mit den allgemeinbildenden Schulen so intensiviert werden kann, dass dadurch zur Verbesserung der Berufsreife und vor allem auch der Berufsorientierung der Jugendlichen beigetragen wird.

g) Aktuelle und belastbare Zahlen vorzulegen

Die Landesregierung muss in Abstimmung mit der Arbeitsverwaltung, den Handwerkskammern und Industrie und Handelskammern sowie  den Kommunen kurzfristig einen jahrgangsbezogenen Datenabgleich über die jeweils aktuelle Ausbildungs-Situation der 16- bis 25-Jährigen in Niedersachsens Regionen vornehmen und halbjährlich fortschreiben. Zielssetzung ist es, Umfang und Ursachen der Angebots- und Versorgungslücke für Ausbildungsplatzbewerber zu identifizieren, zu systematisieren und damit die Handlungsgrundlage für Aktivitäten zur Beseitigung des Ausbildungsplatzmangels und der Stellenbesetzungsproblematik dauerhaft zu verbessern. Ein erster Schritt muss sein, dass zumindest alle angebotenen betrieblichen Lehrstellen besetzt werden.

Begründung

Nur durch eine offensive Strategie, die in allen Teilen der Gesellschaft für die berufliche Bildung wirbt und ihr eine prominente Stellung im öffentlichen Leben sichert, kann die grundlegende Aufgabe der Berufsausbildung für die Integration junger Menschen in die Gesellschaft für die Zukunft gesichert werden. Angesichts der Herausforderung des demografischen Wandels müssen  alle Talente genutzt werden. Die Wettbewerbsfähigkeit Niedersachsens sowie die Beschäftigungs- und Lebenschancen jedes Einzelnen hängen mehr denn je davon ab, ob es gelingt, die Lern- und Leistungspotenziale der Menschen zu aktivieren. Das gilt gerade für junge Menschen.

Die bisher angestoßenen Initiativen und Programme haben den weiter steigenden Mangel an betrieblichen Ausbildungsplätzen nicht stoppen können. Im Mai 2006 waren in Niedersachsen 37381 Ausbildungsstellen von Arbeitgebern gemeldet worden. Das ist im Vergleich zum Vorjahresmonat ein Minus von 6,1 Prozent.

Eine weitere Ursache des Bewerberüberhanges ist die seit den 80ger Jahren von 85 % auf heute 70 % gesunkenen Studierquote der Abiturienten. Diese verdrängen immer mehr Haupt- und Realschüler aus dem dualen Ausbildungssystem. Es gibt aber auch immer wieder qualifizierte SchulabgängerInnen und junge Arbeitssuchende, die keine Lehrstelle finden, obwohl es in den von ihnen angestrebten Tätigkeitsfeldern noch offene Lehrstellen gibt. Information und  Steuerung müssen also besser werden.

Angesichts von 25 % Migrationsanteil bei den derzeitigen unter 25 Jährigen ist es dabei besonders wichtig, dem hohen Stellenwert einer qualifizierten Berufsausbildung für den Integrationserfolg von Migrantinnen und Migranten zu entsprechen. Es ist nicht akzeptabel, wenn Jugendliche mit Migrationshintergrund bei gleichen schulischen Abschlüssen bei uns eine vielfach geringere Chance haben, eine Lehrstelle zu erhalten (s. Ulme Studie, Hamburg) und so an den Rand gedrängt werden.

In der beruflichen Ausbildung ist und bleibt vor allem die Wirtschaft gefordert, auch in ihrem eigenen Interesse an gut ausgebildeten Fachkräften für die Zukunft. Für die staatlichen Akteure bleibt die Aufgabe, Transparenz herzustellen, die bestehenden staatlichen Maßnahmen im Interesse der Jugendlichen zu koordinieren, zu bündeln und vor allem in ihrer Qualität zu verbessern.

Unverzichtbare Grundlage für Strategien, die dem herrschenden Mangel an betrieblichen Ausbildungsplätzen in Niedersachsen entgegenwirken können, ist eine möglichst aktuelle und transparente Übersicht über Angebot und Nachfrage auf dem Lehrstellenmarkt in Niedersachsen.

Bisher findet jedoch ein kontraproduktives Verwirrspiel um die tatsächliche Situation auf dem Ausbildungsmarkt für junge Menschen in Niedersachsen statt. Weder die Zahlen der Landesministerien noch die Zahlen von der Arbeitsverwaltung oder den Kammern ermöglichen den Überblick über die in den jeweiligen Jahrgängen noch nicht mit einem Ausbildungsplatz versorgten jungen Menschen in unserem Land. Damit sind weder die politischen Handlungsnotwendigkeiten noch die Anforderungen an die Wirtschaft so eindeutig zu bestimmen, wie es für das Wohl der jungen Menschen, aber auch für die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes erforderlich ist.

Am 24.06.06 meldete dpa: "Arbeitsagentur befürchtet Lehrstellen-Misere in Niedersachsen". Der Sprecher der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen musste zwar einräumen, dass noch keine verlässlichen Zahlen vorliegen, dass es aber eine eindeutige Tendenz gäbe. Sichere Aussagen könne man jedoch erst im August/September treffen.

Dieser Zeitraum ist in der entscheidenden Bewerbungs- und Suchphase von Schulabgängern und Unternehmern viel zu lang. Ein verlässlicher und regional differenzierter Bericht über die jeweilige Ausbildungssituation ist derzeit erst mit einem Jahr Verzögerung erhältlich. Es ist nicht länger hinzunehmen, dass auf Grund einer unklaren Datenlage Maßnahmen zur Verbesserung einer zügigen Vermittlung der Schulabgänger nicht oder mit mangelnder Zielgenauigkeit ergriffen werden. Alle der amtlichen Statistik zur Verfügung stehenden Mittel müssen von der Landesregierung endlich koordiniert eingesetzt werden, um sowohl die Nachfrage- als auch die Angebotsseite zeitnah abgleichen zu können und in die Öffentlichkeit zu kommunizieren. 

Nicht nur die Arbeitsverwaltung, sondern auch die regionale Wirtschaft, die Lehrstellensuchenden und auch die Schulen, die die Schulabgänger auf die Lehrstellensuche vorbereiten sollen, erhalten dadurch wichtige Hinweise und Anregungen für ein erfolgreicheres und zielgenaueres Agieren.

Dem Problem, dass immer wieder Talente und Fähigkeiten von Jugendlichen nicht erkannt und genutzt werden, kann so mit passgenauerer Vermittlung begegnet werden. Es wird auch eine möglichst wohnortnahe Versorgung der Jugendlichen mit Ausbildungsplätzen gesichert, um Abwanderungen zu reduzieren. Voraussetzung dafür sind allerdings neben der größeren Transparenz eine deutlich engere Kooperation von Schule und Ausbildungssystem und mehr Ausbildungsangebote.

Parlamentarische Geschäftsführerin

Zurück zum Pressearchiv