Antrag: Lebensmittel retten – Containern und „Bändern“ entkriminalisieren

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stelle fest:

Lebensmittelverschwendung ist ein seit Jahren in Gesellschaft und Politik diskutiertes Thema. Parteiübergreifend werden die großen Mengen an genießbaren, weggeworfenen Lebensmitteln kritisiert. Auch der niedersächsische Landtag hat dazu bereits Beschlüsse wie die Einrichtung eines Runden Tisches gefasst. Dennoch zeichnet sich keine positive Entwicklung für eine nennenswerte Reduktion ab.

Nach einer Studie des WWF (World Wildlife Fund) landen aktuell jedes Jahr in Deutschland über 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel im Müll.

Es muss festgestellt werden, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichend sind.

Der Landtag fordert daher die Landesregierung auf,

  1. eine Bundesratsinitiative zu initiieren und einen Gesetzentwurf vorzulegen,
    • der dem Handel und verarbeitendem Gewerbe das Wegwerfen von Produkten, die noch zum menschlichen Verzehr geeignet sind, ordnungsrechtlich untersagt und stattdessen die kostenfreie Abgabe der Waren an interessierte Personenkreise oder gemeinnützige Einrichtungen vorsieht
    • der eine Änderung des §242 StGB vorsieht, sodass zukünftig die Aneignung entsorgter Lebensmittel von der Strafverfolgung ausgenommen werden, sowie
  2. Initiativen wie Foodsharing, organisatorisch und finanziell zu unterstützen.

Begründung

Der größte Teil der Lebensmittelverschwendung in Deutschland liegt bei den Endverbraucherinnen und Enderbrauchern (je nach Studie zwischen 50% (WWF (2015)) und 60% (Universität Stuttgart (2012)). Diesem Problem wird sich auf verschiedenen Ebenen seit längerer Zeit angenommen. So zielt beispielsweise die Kampagne des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft „Zu gut für die Tonne!“ www.zugutfuerdietonne.de insbesondere auf das Handeln von Verbraucherinnen und Verbrauchern ab. Doch außer Informationskampagnen hat die Politik kaum Einflussmöglichkeiten, diesen Anteil in den Privathaushalten zu reduzieren.

Der Groß- und Einzelhandel hat nach Berechnungen des WWF allerdings auch einen Anteil von rund 25% der vermeidbaren Lebensmittelverluste. www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF_Studie_Das_grosse_Wegschmeissen.pdf Um auch diesen in die Verantwortung zu nehmen sind weitere Schritte notwendig. Nachbarländer wie Frankreich, Italien und Tschechien haben zu gesetzlichen Maßnahmen gegriffen.

In Frankreich trat als erstem Staat im Februar 2016 das „Gesetz zur Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung“ in Kraft. Im Kern werden demnach alle Supermärkte, mit einer Fläche von mehr als 400 Quadratmetern, dazu verpflichtet, nicht verkaufte Lebensmittel zu spenden anstatt sie zu entsorgen. Dafür müssen Vereinbarungen mit gemeinnützigen Organisationen geschlossen werden, die die Produkte dann an Bedürftige verteilen. Für den Fall, dass Unternehmen sich nicht an diese Vorgaben halten oder sichere Lebensmittel absichtlich ungenießbar machen sind Geldstrafen vorgesehen. https://www.bundestag.de/blob/568808/21ec9f0fbd1bce3c48c063f24498428e/wd-5-095-18-pdf-data.pdf . Tschechien droht sogar mit empfindlichen Geldstrafen von mehreren Hunderttausend Euro, Italien setzt hingegen auf Steuervorteile. Insgesamt hat sich das Gesetz in Frankreich als praxistauglich erwiesen. So erhalten gemeinnützige Organisationen, wie die Tafel, durchschnittlich 22 Prozent mehr Spenden als vor der Gesetzesinitiative. www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article173988923/Muessen-Supermaerkte-bald-Lebensmittel-spenden.html

Eine gesetzliche Regelung schafft gleiche Voraussetzungen für alle am Wettbewerb teilnehmenden Unternehmen und sorgt so für fairer Bedingungen.

Weil der Handel derzeit keinen gesetzlichen Vorgaben unterliegt, die das Wegwerfen von Lebensmitteln sanktionieren, ist eine Entkriminalisierung des so genannten „Containerns“ nötig. Dabei suchen Menschen gezielt im Abfall von Supermärkten und Fabriken nach weggeworfenen aber noch genießbaren Lebensmitteln. Die Motivationen für dieses Handeln sind sehr unterschiedlich und reichen von ethischen bis hin zu finanziellen Gründen. http://www.spiegel.de/gesundheit/ernaehrung/containern-lebensmittel-aus-der-muelltonne-a-1009663.html

Neben dem Containern wächst zudem die Bedeutung des so genannten „Bänderns“, bei dem sich Menschen in Mensen genießbares Essen, von zur Entsorgung freigegebenen Tabletts, aneignen, um es zeitnah zu verzehren. Aufgrund juristisch ungeklärter Fragen, steht diese bisher weitgehend tolerierte Form der sinnvollen Verwertung von Lebensmittelresten vielfach vor dem Aus. http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/freiburg-uni-verbietet-reste-essen-in-der-mensa-schluss-mit-baendern-a-1123514.html

„Containern“ erfüllt derzeit den Straftatbestand des Diebstahls nach § 242 StGB. Je nach Tatgeschehen können zudem Hausfriedensbruch gemäß § 123 Abs. 1 StGB oder Qualifikationen des Diebstahls vorliegen, welcher, beispielsweise durch Überklettern eines Zaunes, als besonders schwer eingestuft werden kann.

Die Frage, ob es sich bei den weggeworfenen Lebensmitteln überhaupt um fremde Sachen im Sinne des § 242 StGB handelt, oder ob das Eigentum an dem Essen nicht vielmehr aufgegeben wurde als es entsorgt wurde, ist nach wie vor umstritten, auch wenn die herrschende Meinung eine Eigentumsaufgabe ablehnt. Der Fischer (2018) kommentiert dahingehend, dass eine Dereliktion in der Regel bejaht wird, sofern Müll bereits „zur Abfuhr bereitgestellt ist“, dies gelte allerdings nicht für „zur Abholung bereitgestellte[s] Sammelgut“. Insgesamt ist die Rechtsprechung sehr uneinheitlich, u.a. deshalb, weil es an einem höchstrichterlichen Urteil fehlt. Ausführlich über den Stand der deutschen Strafverfolgung hinsichtlich des Containerns, berichtet unter anderem „legal tribune online“ https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/containern-strafbarkeit-diebstahl-hausfriedensbruch-besitzwille/

In der Praxis werden die Verfahren zwar oftmals wegen Geringfügigkeit nach § 153 bzw. 153a StPO ohne Auflagen oder gegen Geldzahlungen eingestellt. Es kommt aber auch regelmäßig zu Verurteilungen von Beschuldigten.

Die derzeit herrschende Unklarheit, führt dazu, dass die Frage der Strafbarkeit von Gericht zu Gericht unterschiedlich beantwortet wird. Um dauerhaft Rechtssicherheit zu schaffen braucht es eine Entkriminalisierung bei der Aneignung von Müll, durch Einführung einer Bagatellgrenze.

Eine Entkriminalisierung von Containern und Bändern könnte bspw. dadurch erreicht werden, dass der derzeit in § 243 II StGB angeführte Verweis auf die Geringwertigkeit einer Sache, auch in den Grundtatbestand des § 242 StGB, aufgenommen wird. Da eine Geringwertigkeit je nach Kommentar für Fälle unter 25€ bzw. 50€ zu bejahen ist, liegt diese in den meisten Fällen beim Entwenden von weggeworfenen Lebensmitteln vor. Ergänzend könnte zudem eine Formulierung aufgenommen werden, die Fälle definiert, in denen von Strafverfolgung abgesehen werden kann. Beispielhaft für eine solche bestehende Regelung in anderem Sachzusammenhang ist etwa § 31a BtMG für Kleinstmengen von BTM.

Eine einheitlich geltende Bagatellgrenze für das Verwerten von als „Müll“ entsorgten Lebensmitteln sorgt für Rechtssicherheit. Es dient somit einer Entlastung der Strafverfolgungsbehörden ebenso, wie den containernden oder bändernden Menschen.

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