Antrag: Langzeitduldungen abschaffen, Bleiberecht voranbringen, Integration fördern!

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

In Niedersachsen lebten Ende 2019 über 18.800 Personen mit einer Duldung. Rund 10 Prozent dieser Personen lebten länger als 10 Jahre im Status der Duldung. Die Geduldeten in Niedersachen sind überwiegend sehr jung; rund ein Viertel der Geduldeten ist minderjährig, ein weiteres Viertel ist zwischen 18 und 35 Jahren alt.

Der unsichere Aufenthaltsstatus der Duldung erschwert die Integration, belastet Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ebenso wie die geduldeten Arbeitnehmer*innen und die Arbeitsverhältnisse insgesamt und hemmt persönliches Engagement der Betroffenen, um in unserer Einwanderungsgesellschaft anzukommen. Daraus entstand eine Generation mit verpassten Integrationschancen. Da eine Duldung lediglich die Aussetzung der Abschiebung bedeutet, ergeben sich für Geduldete im Alltag viele Probleme, wie die fehlende Möglichkeit des Familiennachzugs, die Verpflichtung der Wohnsitznahme an einem bestimmten Ort, die Unmöglichkeit Deutschland vorübergehend zu verlassen und Stigmatisierungen im Alltag, insbesondere beim Abschluss von Ausbildungs-, Arbeits- und Wohnungsmietverträgen.

Dabei bietet das geringe Alter eines Großteils der Geduldeten großes Potenzial, um der Überalterung unserer Gesellschaft mit allen damit zusammenhängenden Problemen wie knappen Renten-kassen und Fachkräftemangel beizukommen.

Die Paragrafen 25a, 25b AufenthG sowie der § 25 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 8 EMRK sollten unter anderem der Abschaffung von Kettenduldungen, also über einen langen Zeitraum immer wieder verlängerten Duldungen, dienen. Die vom Bundesgesetzgeber insbesondere mit § 25b AufenthG verfolgten Ziele wurden bisher jedoch nicht erreicht, auch nicht in Niedersachsen. Der Gesetzgeber hatte bei Einführung der Regelung davon gesprochen, dass bis zu 30.000 Personen davon bundesweit profitieren könnten. Zum 30.06.2020 lebten erst 5.734 Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG in Deutschland, davon 614 in Niedersachsen (Bundestags-Drucksache 19/22457, Frage 17).

Die immer noch hohe Anzahl von Langzeitgeduldeten und die von der Landesregierung in ihrer Antwort in Drucksache 18/886 gelieferten Zahlen zur Bescheidung von Anträgen auf Erteilung eines Bleiberechts machen deutlich, dass Landesregierung und kommunale Ausländerbehörden die bestehenden Bleiberechtsregelungen bisher zu selten anwenden. Es wird zu wenig darüber informiert, es gibt zu wenig Beratung, die Regelungen sind zu wenig bekannt. Die Bleiberechtsregelungen (§§ 25a, 25b AufenthG) werden auf Grund zu hoher Voraussetzungen kaum angewandt. Die geforderten langen Voraufenthaltszeiten und die sehr hohen und intransparenten Mitwirkungspflichten haben in der Praxis dazu geführt, dass die Bleiberechtsregelungen weitgehend ins Leere liefen.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. ein Landesprogramm zum Abbau von Langzeitduldungen und für die vermehrte Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aufzulegen. In diesem Rahmen sind
    1. a)     eine landesweite unabhängige Bleiberechtsberatung zu organisieren und zu finanzieren;
    2. b)     die Bleiberechtsperspektiven für Menschen im Duldungsstatus, die hier seit langem geduldet, gestattet oder erlaubt leben, systematisch und in allen Fällen umfassend zu prüfen, durch geeignete Maßnahmen individuell und zielgerichtet zu optimieren und eine in konsequenter und zielgerichteter Anwendung des Aufenthaltsrechts vermehrte Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen anzustreben. Dabei sind insbesondere Geduldete aus Staaten, in die ohnehin auf absehbare Zeit nicht abgeschoben werden wird, zu berücksichtigen.
    3. c)     umfassende und für die Praxis gut aufbereitete Informationen zum Bleiberecht an die Ausländerbehörden zu liefern und über Vorgaben an die Ausländerbehörden rechtliche und bürokratische Hürden im Zusammenhang mit der Aufenthaltsverfestigung und der Förderung nachhaltiger Aufenthaltsperspektiven abzubauen. In den Blick zu nehmen sind insbesondere die Vereinheitlichung und Senkung der Anforderungen an Voraufenthaltszeiten, die Angleichung der Geltungsdauer der Aufenthaltstitel, der Abbau von unnötigen Verfahrensschritten, die Prüfung aller aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten von Amtswegen, realistische Anforderungen an die Erfüllung der Mitwirkungspflichten seitens der Geduldeten und der Abschluss von Integrationsvereinbarungen, um den Weg zur Erteilung des Bleiberechts zu definieren und zu ebnen.
  2. sich auf Bundesebene für eine Altfallregelung mit deutlich verkürzten Voraufenthaltszeiten und ohne Stichtagsregelung einsetzen.
  3. den niedersächsischen Erlass „Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)“ vom 27.04.2015 zeitlich zu entfristen.
  4. sich auf Bundesebene für eine Gesetzesänderung einzusetzen, nach der die Ablehnung eines Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ keine Sperrwirkung mehr für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG entfaltet.

Begründung

§ 25a AufenthG, der 2011 in das Aufenthaltsgesetz eingefügt wurde, ermöglicht geduldeten Jugendlichen und Heranwachsenden nach vier Jahren Aufenthalt den Zugang zu einem Bleiberecht unter erleichterten Voraussetzungen.

§ 25b AufenthG wurde zum 01.08.2015 eingeführt. Damit wurde erstmals eine stichtagsunabhängige und auf Dauer angelegte Bleiberechtsregelung im Aufenthaltsgesetz verankert. § 25b AufenthG bietet alleinstehenden Personen nach acht Jahren, Familien ab sechsjährigem Aufenthalt, die Möglichkeit eine Aufenthaltserlaubnis zu erlangen.

Das Niedersächsische Innenministerium hat den Ausländerbehörden am 3. Juli 2019 Anwendungshinweise zu § 25a und § 25b AufenthG gegeben.

Mit Erlass vom 27.04.2015 hat das Land Niedersachsen den kommunalen Ausländerbehörden Vorgaben zur Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 8 EMRK gemacht. Darin heißt es: „Vor Beendigung des Aufenthaltes sind alle aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes oder einer Duldung, insbesondere die Einschaltung der Härtefallkommission, § 25 Abs. 5 AufenthG und vergleichbaren Bleiberechtsregelungen, auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung und des hohen Stellenwertes von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, zu prüfen.“ Der Erlass tritt mit Ablauf des 31.12.2022 außer Kraft.

Die sich durch diese Regelungen ergebenden Möglichkeiten zur Bleiberechtserteilung werden nicht hinreichend ausgeschöpft.

Es braucht also in Niedersachsen ein landesweites, koordiniertes Programm zum Abbau von Langzeitduldungen, zur Beendigung von langjährigem prekären Aufenthaltsstatus und für die vermehrte Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen. Dazu gehört auf der einen Seite eine umfassende und unabhängige landesweite Bleiberechtsberatung für die Geduldeten, um sie über Möglichkeiten, Rechte und Voraussetzungen der Bleiberechtserteilung aufzuklären. Auf der anderen Seite müssen die Ausländerbehörden umfassend informiert und insbesondere, zur Nutzung des in den Anwendungshinweisen des Niedersächsischen Innenministeriums vom 3.7.2019 aufgezeigten Instruments der „Integrationsvereinbarung“ sowie der „Zusicherung“ gemäß § 38 VwVfG angehalten und dazu geschult werden. In den Integrationsvereinbarungen ist auch die jeweils durch die Ausländerbehörden von den Geduldeten geforderte Mitwirkung zu definieren, damit der Weg zum Bleiberecht klar beschrieben wird. Mitwirkungsleistungen müssen zumutbar und beweisrechtlich möglich sein. So dürfen keine Nachweise über die Nichtexistenz von Papieren oder amtlichen Eintragungen verlangt werden, weil diese Beweisführung faktisch nicht möglich ist. Die Ausländerbehörden sind in der Folge dazu anzuhalten, systematisch und umfassend nach Menschen im Duldungsstatus, die hier seit langem geduldet, gestattet oder erlaubt leben, zu suchen, diese - auch statistisch - zu erfassen, in allen Fällen die Bleiberechtsperspektiven zu prüfen, die Voraussetzungen für die Bleiberechtserteilung durch Information und Förderung zu schaffen und schließlich auf Basis des einheitlich angewandten Rechts Aufenthaltserlaubnisse vermehrt zu erteilen. Anregungen dazu lieferte die Stadt Köln im Rahmen ihres Projekts „Bleiberechtsperspektiven für langjährig geduldete Menschen in Köln“. Auch aus dem seit dem 1. Juli 2019 laufenden niedersächsischen Modellprojekt „Wege ins Bleiberecht“ (WIB) der Landeshauptstadt Hannover und des Flüchtlingsrates Niedersachsen e.V. können spätestens nach Abschluss des Projektes 2022 Erfahrungen gewonnen werden, wie die Bleiberechtsregelungen besser umgesetzt werden können.

Auf Bundesebene soll sich die Landesregierung für eine deutlich progressivere Altfallregelung mit verkürzten Voraufenthaltszeiten einsetzen. Die aktuelle Altfallregelung in § 104a AufenthG enthält noch den Stichtag 01.07.2007 und erfordert einen Voraufenthalt von acht bzw. sechs Jahren. In ihrem Bundestagswahlprogramm 2017 forderte die SPD eine Altfallregelung, mit der „Menschen, die seit mindestens zwei Jahren in Deutschland leben, hier nicht straffällig geworden sind und Arbeit haben oder zur Schule gehen, nicht abgeschoben werden“. Eine solche Altfallregelung könnte die Zahl der Geduldeten kurzfristig nennenswert senken.

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