Antrag: Landwirtschaftliche Betriebe erhalten – (Teil-)Umstiege aus der Schweinehaltung auf andere landwirtschaftliche Alternativen fördern

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest, dass durch den im September 2020 erfolgten Nachweis der Afrikanischen Schweinepest (ASP) in Deutschland und dem damit verbundenen Verlust des Status der Seuchenfreiheit, große Teile des bisherigen Exportmarktes für niedersächsische Schweineerzeugnisse für unbestimmte Zeit weggebrochen sind. Es ist nicht absehbar, dass sich kurz- und mittelfristig andere Absatzmärkte in vergleichbarer Größe finden lassen werden, die es rechtfertigen würden, die Produktion quantitativ auf dem Niveau der vergangenen Jahre beizubehalten.

Der Landtag stellt zudem fest, dass es durch die Corona-Pandemie zu wiederholten Arbeitsausfällen bei Schlachthöfen gekommen ist und auch weiterhin kommen wird. Gleichzeitig ist auch im laufenden Jahr mit planmäßigen Kapazitätsverringerungen bei den im Betrieb befindlichen Schlachthöfen zu rechnen, was u.a. auf einen erweiterten Arbeits- und Hygieneschutz der Mitarbeitenden zurückzuführen ist.

Durch die geringere Schlachtkapazität, bei in etwa gleichbleibender Anzahl an schlachtreifen Schweinen, hat sich zum Jahresende 2020 ein „Schweinestau“ ergeben, der nach Angaben der niedersächsischen Landwirtschaftsministerin bei bundesweit 750.000 Tieren lag. Tendenziell wächst dieser aktuell eher an als kleiner zu werden.

Der Landtag stellt fest, dass es aufgrund des Überangebotes an schlachtreifen Schweinen in Kombination mit dem Wegfall bisheriger Exportmärkte wegen des Auftretens der ASP, zu einem starkem Nachfragerückgang und damit einhergehenden Preisverfall bei Schweinefleisch gekommen ist. Auch künftig lassen sich solche Absatzeinbrüche nicht vermeiden. Dieser Entwicklung ist nur mit einer mittelfristigen Reduzierung der Schweinebestände in Niedersachsen zu begegnen, um existenzbedrohende Risiken zu mindern. Da eine Reduzierung der Tierzahlen gesamtgesellschaftlich wünschenswert wäre, betriebswirtschaftlich jedoch häufig an seine Grenzen stößt, braucht es flankierende und unterstützende Maßnahmen seitens des Staates.

Der Landtag fordert deswegen die Landesregierung auf:

  • inhaltliche Konzepte zu entwickeln, die landwirtschaftlichen und gewerblichen Ferkelerzeugungsbetrieben und Schweinehalter*innen ein Teilaus- oder Umstieg in andere landwirtschaftliche Zweige oder vor- und nachgelagerte Bereiche der Landwirtschaft erleichtern. Hiervon ausgenommen sind Investitionen in konventionelle Geflügelhaltungsställe, 
  • finanzielle Hilfen für umstiegswillige Ferkel- und Schweinehaltungsbetriebe bereitzustellen, welche einen Einstieg oder Ausbau nachhaltiger und zukunftsfähiger Bereiche jenseits der Schweineproduktion kofinanzieren und ermöglichen,
  • sich auf Bundesebene für eine Anpassung der Förderrichtlinien zum Bundesprogramm Stallumbau einzusetzen, damit der Rückbau von bestehenden Kastenständen auch dann förderfähig wird, wenn statt der Sauenhaltung landwirtschaftliche Alternativen aufgebaut werden, die es ermöglichen, dass der Betrieb als Ganzes erhalten bleibt,
  • die Möglichkeiten einer Einführung von Produktionsrechten, wie dies seit 1998 in den Niederlanden der Fall ist, auch für Niedersachsen zu prüfen und die Ergebnisse dem Landtag vorzustellen.

Begründung

Laut Statistischem Bundesamt wurden in den ersten elf Monaten des Jahres 2020 rund 1,85 Millionen Schweine weniger geschlachtet als im Vorjahreszeitraum, was einem Rückgang des Schlachtaufkommens von 3,6 % entspricht. Die Nachfrage im In- und Ausland nach deutschem Schweinefleisch ging im selben Zeitraum jedoch noch stärker zurück, sodass sich nach Angaben der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) in Niedersachsen mittlerweile die Kühlhäuser füllen, weil derzeit wird viel Schweinefleisch eingefroren werde. Langfristig wird dies weiterhin die Preise drücken.

In der Sitzung des Agrarausschusses am 14.10.2020 forderte Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast eindringlich die Schweinebestände in Niedersachsen nachhaltig zu reduzieren: „Aus Tierschutzgründen ist es wichtig, alle Möglichkeiten zu prüfen und dabei zu helfen, den Druck in den Ställen etwas abzubauen. […] Vor allem auch die Erzeugerseite muss ihren Beitrag leisten. Ich appelliere weiterhin eindringlich an die Tierhalterinnen und Tierhalter, mit Weitblick zu handeln. Die derzeitige Lage stellt uns alle vor Herausforderungen. Passen Sie Ihre jeweilige Betriebsweise vorsorglich an! Richten Sie Ihre Betriebe verantwortungsbewusst so aus, dass es auch bei weniger Schlachtkapazitäten nicht zu Tierschutzverstößen kommt! Die Schweinehalterinnen und Schweinehalter müssen jetzt sofort ihre Produktion auf den vermutlich länger anhaltenden Engpass bei der Schlachtung, Zerlegung und Vermarktung anpassen. Es ist jetzt die Zeit, die Ferkelerzeugung und die Einstallung der Ferkel zu drosseln; denn auch in vier Monaten wird es noch pandemiebedingte Einschränkungen geben.“

Betriebswirtschaftlich ist eine kurzfristige einzelbetriebliche Reduzierung der Produktion, sei es bei der Ferkelerzeugung oder der Milchproduktion, vielfach keine sinnvolle Maßnahme, um auf ein Überangebot am Markt zu reagieren. Daher muss der Staat Anreize setzen, die eine Reduktion begünstigen. Da wir im Schweinemarkt eine rückläufige Tendenz beim Konsum in Deutschland haben und zusätzlich Probleme mit der Entsorgung der Gülle auftreten, ist in diesem Bereich eine dauerhafte Reduktion des Bestands sinnvoll.

Im vergangenen Jahr führte die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel eine durch die LWK Niedersachsen beworbene Befragung unter schweinehaltenden Betrieben durch. Die Studie kommt, Vorabveröffentlichungen zufolge, zu dem Ergebnis, dass rund 60% aller Schweinehalter*innen einem staatlichen Aus- oder Umstiegsprogramm aus der Schweinehaltung offen gegenüberstünden und sich an diesem je nach konkreter Ausgestaltung beteiligen würden. Da die Befragung noch vor dem Ausbruch der ASP in Deutschland stattgefunden hat, ist damit zu rechnen, dass der Anteil der ausstiegswilligen Betriebe mittlerweile sogar noch höher liegen dürfte.

In der Befragung votierten insbesondere sauenhaltenden Betriebe für eine Teilnahme, die ohnehin bereits über eine Betreibsaufgabe nachgedacht hätten. Es waren demnach vor allem vergleichsweise kleinere Betriebe, mit unklaren Zukunftsprognosen, bei denen die Betriebsleiter*innen bereits über 55 Jahre alt sind. Diesen Landwirt*innen könnte durch das Angebot von Förderprogrammen ein frühzeitiger und möglicherweise sozialverträglicherer Ausstieg aus der Ferkelproduktion ermöglicht werden. Gleichzeitig würde der Einstieg in andere landwirtschaftliche Bereiche ermöglicht, der ein Fortbestehen des Betriebes unter anderer Leitung nach erfolgreicher Hofübergabe sichern könnte.

Eine Aufgabe der Schweinehaltung ohne staatliche Förderung kommt oftmals einer kompletten Betriebsaufgabe gleich. Dass grade ohnehin ein gewaltiger Strukturbruch in der Branche stattfindet, belegen auch die aktuellen Zahlen des Landesamtes für Statistik. Aus den im Januar 2021 mitgeteilten Ergebnisse der Landwirtschaftszählung 2020 geht hervor, dass innerhalb von zehn Jahren rund ein Drittel aller schweinehaltenden Betriebe in Niedersachsen aufgegeben haben. Gleichzeitig stieg die Zahl der insgesamt gehaltenen Schweine sogar noch an. Das Ziel der Politik muss jedoch sein, die Zahl der gehaltenen Tiere zu reduzieren und nicht die Zahl der Betriebe. Dies kann nur über zielgerichtete Förderung gelingen, die an einen Erhalt der Betriebe geknüpft ist und den Umstieg auf landwirtschaftliche Alternativen fördert. Dies können auch Bereiche der Wertschöpfung, wie Weiterverarbeitung betriebseigener Erzeugnisse, die Direktvermarktung oder der Einstieg in den begleitenden Agrartourismus sein.

Wichtig ist jedoch, die Abhängigkeit vom Export zu verringern und der rückläufigen Nachfrage nach Schweinefleisch in Deutschland zu begegnen. Das Thünen-Institut stellt in seinem am 21.10.2020 veröffentlichen Zustandsbericht „Ferkelerzeugung und Schweinemast“ dazu fest: „Der inländische Schweinefleischverbrauch ist seit 2010 leicht rückläufig. Die Differenz zwischen Fleischaufkommen und Verbrauch muss exportiert werden. Mit der Ausdehnung dieser Lücke in den letzten 10 Jahren sind deshalb auch die Schweinefleischexporte stark angestiegen.“ Demnach werde mittlerweile fast die Hälfte des in Deutschland geschlachteten Schweinefleisches exportiert. Bis zum Ausbruch der ASP gingen rund ein Viertel aller Schweinefleischexporte aus Niedersachen nach China. Ein Marktanteil, der nun auf Jahre ersatzlos ausfallen wird.

Am 21.12.2020 erklärte dazu die Landwirtschaftsministerin Otte-Kinast im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Wir sollten die Pandemie nutzen, um neu darüber nachzudenken, was für eine Landwirtschaft wir in Deutschland eigentlich wollen. Ein gedanklicher Reset sozusagen. Ist es wirklich Aufgabe der Landwirtschaft die ganze Welt zu ernähren? […] Muss der Landwirt in Niedersachsen wirklich für den asiatischen Markt produzieren beziehungsweise von diesem finanziell abhängig sein? Da müssen wir uns meiner Meinung nach ändern.“

Neben veränderten Marktbedingungen sind für niedersächsische Ferkelerzeuger*innen hohe Investitionen in die Zukunft notwendig. Diese sind zu einem Großteil mit den gestiegenen Anforderungen an die Tierhaltung, wie z.B. dem Ende der betäubungslosen Ferkelkastration und der Abschaffung des Kastenstandes verbunden. Um Letzteres zu begleiten und die finanziellen Folgen abzufedern, hat die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung im Jahr 2020 das 300 Mio. € umfassende „Bundesprogramm zur Investitionsförderung für den Stallumbau zur Gewährleistung des Tierwohls“ (kurz Bundesprogramm Stallumbau) ins Leben gerufen. Seit 16. September 2020 können sauenhaltende Betriebe finanzielle Zuschüsse für den Rückbau ihrer Kastenstände und einzelbetriebliche Beratungen zur Erstellung eines Um- oder Ersatzbaukonzepts beantragen. Die Maßnahmen müssen voraussichtlich bis Ende 2022 abgeschlossen sein.

Dafür gelten u.a. diese Regeln:

Der Zuschuss für alle nach dieser Richtlinie zuwendungsfähigen Maßnahmen beträgt 40 %. Dabei gilt, dass die Investitionen keine Steigerung der Produktionskapazität im Sinne der Ausweitung des Tierbestandes bewirken dürfen. Die Höchstgrenze für den Zuschuss nach dieser Richtlinie beträgt 500 000 Euro pro landwirtschaftlichem Betrieb und Investitionsvorhaben“ (Förderrichtlinie S. 4)

In der Förderrichtlinie steht allerdings auch, dass eine „Kapazitätserweiterung […] nach fünf Jahren förderunschädlich möglich“ ist.  Zudem müssen die geförderten Ställe mindestens zwölf Jahre betrieben werden und dürfen vorher nicht stillgelegt oder abgerissen werden, da andernfalls „die Zuwendung anteilig zurückgefordert“ wird. Eine Möglichkeit Kastenstände zurückzubauen und die Gebäude für andere landwirtschaftliche Zwecke zu nutzen ist derzeit nicht förderfähig.

Ein anderer gänzlich Weg wurde schon vor Jahren in den Niederlanden eingeschlagen. Dort ist die Anzahl der gehaltenen Schweine seit 1998 über Produktionsrechte begrenzt. Im Jahr 2017 gab es in den Niederlanden 8.727 000 Produktionsrechte für Schweine, wobei ein Produktionsrecht einem Mastschwein oder 2,8 Ferkeln entspricht. Das aktuelle Programm „Warme Sanierung“ soll die Zahl der gehaltenen Schweine weiter verringern, indem der Staat Produktionsrechte zum Marktpreis aufkauft und zudem einen Ausgleich für abzureißende Ställe zahlt. Rund 400 Betriebe, mit zusammen gut 900.000 Schweineproduktionsrechte wollen an dem laufenden Programm teilnehmen. Bei 180 Mio. € die der Staat für Entschädigungen vorgesehen hat, ergäbe das rechnerisch eine Summe von 200 € die pro wegfallendem Mastschwein gezahlt wird.

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