Antrag: Landesprogramm zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit – Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren!

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist gespalten: Auf der einen Seite baut der anhaltende Stellenboom die Arbeitslosigkeit Stück für Stück ab. Gleichzeitig verharrt die Anzahl der Langzeitarbeitslosen auf hohem Niveau. Bundesweit sind mehr als 1 Millionen Menschen  trotz der guten Beschäftigungsentwicklung dauerhaft vom Arbeitsmarkt und damit von gesellschaftlicher Teilhabe abgehängt.

In Niedersachsen suchten im vergangenen Jahr knapp 100.000 Menschen seit einem Jahr oder länger einen Arbeitsplatz. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen hat sich langsam erhöht und ist seit 2009 von 34 Prozent auf jetzt 38 Prozent gestiegen.

Eine Verfestigung der Strukturen indizieren auch die Zahlen zum Hartz-IV-Bezug: Rund 260.000 erwerbsfähige ALG-II-Empfänger in Niedersachsen mussten 2015 im Jahresdurchschnitt innerhalb der vergangenen 24 Monate mindestens 21 Monate Grundsicherung beziehen. Die Hälfte von ihnen war arbeitslos gemeldet. Der Anteil der sogenannten Langzeitleistungsbezieher lag damit bei 63,7 Prozent und ist gegenüber den Vorjahren sogar angestiegen (2011 noch 260.011 Langzeitbezieher mit einem Anteil von 59 Prozent unter allen erwerbsfähigen ALG-II-Empfängern). Niedersachsen liegt mit seinem Wert zwar leicht unter dem Bundesdurchschnitt, aber über dem Niveau der westdeutschen Bundesländer. Besonders betroffen sind Ältere: Rund zwei Drittel der Langzeitbezieher sind älter als 50 Jahre.

Der Bund hat mit dem „Programm Soziale Teilhabe“ und dem „ESF-Bundesprogramm gegen Langzeitarbeitslosigkeit“ zwei Sonderprogramme beschlossen, um die Langzeitarbeitslosigkeit zu verringern: Beide Programme sind zu begrüßen. Langzeitarbeitslosen mit mehreren Vermittlungshemmnissen, die eine dauerhafte Begleitung benötigen, werden von den Programmen nicht profitieren und weiterhin abgehängt bleiben. Die Mittel, die zurzeit zur Verfügung stehen, reichen zudem bei Weitem nicht aus, um den Großteil der Langzeitarbeitslosen Erfolg versprechend fördern zu können.

Im Koalitionsvertrag aus 2013 haben die SPD und Bündnis 90/Die Grünen in Niedersachsen die Notwendigkeit eines verlässlichen sozialen Arbeitsmarktes für Niedersachsen anerkannt, um allen Menschen eine echte Chance auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen und um Teilhabe zu ermöglichen.

Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sowie der Bundesagentur für Arbeit unterstützen die Annahme, dass eine öffentlich geförderte Beschäftigung die Beschäftigungsfähigkeit der geförderten Menschen und deren Chancen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen, verbessert. Und auch für die Menschen, denen trotz intensiver Förderung die Reintegration auf absehbare Zeit misslingt, ist öffentlich geförderte Beschäftigung sinnvoll. Denn über die geförderte Erwerbsbeteiligung ist eine soziokulturelle Teilhabe möglich und der Prozess der zunehmenden Ausgrenzung und Verarmung wird gestoppt. Darüber hinaus profitieren Familienmitglieder und insbesondere im Haushalt lebende Kinder signifikant davon, wenn der Betroffene oder die Betroffene wieder eine Erwerbsperspektive in seinem/ihrem Leben hat. Das System der vererbten Armut und Beschäftigungslosigkeit wird durchbrochen.

Die Schaffung zusätzlicher sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze erscheint hierfür angebracht, um die Stigmatisierung der Betroffenen wirksam aufzubrechen und um eine echte Erwerbsintegration erreichen zu können. Voraussetzung dafür ist eine ortsübliche bzw. tarifliche Entlohnung, mindestens aber die Zahlung des Mindestlohnes. In Abhängigkeit zu den Hemmnissen der Langzeitarbeitslosen ist die Dauer der Förderung zu bestimmen, um zu verhindern, dass die Wirkung kurzfristig angelegter Förderungen rasch wieder verpufft.

Folgende Voraussetzungen tragen zum Erfolg eines niedersächsischen Landesprogrammes bei:

  1. Die Finanzierung und das Gelingen eines Sozialen Arbeitsmarktes basieren auf der engen Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen nach dem Grundsatz „Fördern und Fordern“. Der Passiv-Aktiv-Transfer allein wird nicht ausreichen, um die öffentliche Beschäftigung zu finanzieren. Deswegen sind für die Restfinanzierung zusätzliche Mittel aus dem Eingliederungstitel aufzubringen. Um eine verlässliche Planung zu gewähren, ist über das Ende des Haushaltsjahres hinaus eine höhere Budgetvorbelastungsquote einzuführen.
  2. Ziel ist es, dass Menschen wieder die Teilhabe an Arbeit in Niedersachsen ermöglicht wird, die mindestens zwei Jahre lang im SGB II-Bezug waren, mindestens 50 Jahre alt sind und weitere Vermittlungshindernisse aufweisen.
  3. Die öffentliche Beschäftigung ist als zusätzliche Beschäftigung zu verstehen, die dem öffentlichen Interesse dient und dabei reguläre Arbeit nicht verdrängt. Arbeitgeber könnten Kommunen und soziale Betriebe sein.
  4. Um Missbrauch und Mitnahmeeffekte zu verhindern, erscheint es sinnvoll, ein sorgfältiges Auswahlverfahren zu entwickeln und anzuwenden. Begleitende Maßnahmen, Beratung und Vermittlung tragen zusätzlich zum Gelingen bei.
  5. Ein begleitendes Gesundheitscoaching sollte speziell Menschen mit gesundheitlichen und/oder psychischen Problemen angeboten werden, um die Chancen einer erfolgreichen und nachhaltigen Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu verbessern.

Der Landtag stellt fest:

  • ein  sozialer Arbeitsmarkt in Niedersachsen soll Menschen mit mehreren Vermittlungshemmnissen unterstützen, eine neue Perspektive auf Beschäftigung zu entwickeln, die sie ohne die Förderung oder aufgrund bestehender und auch geplanter Programme nicht erhalten hätten;
  • die Grundlage der Finanzierung bildet ein Passiv-Aktiv-Transfer, ergänzend werden Mittel des Eingliederungstitels und Mittel der Ländern verwendet;
  • individuelle Begleitung und Beratung helfen, Probleme früh- und rechtzeitig zu erkennen, und bieten die Chance gemeinsam mit den Betroffenen Lösungen zu erarbeiten; auch eine individuelle Qualifizierung verbessert die Erfolgsaussichten;
  • in verschiedenen Bundesländern (u.a. NRW, HH, Thüringen,Baden-Württemberg, Brandenburg) werden Initiativen für einen Sozialen Arbeitsmarkt entwickelt und zum Teil auch schon umgesetzt, die Initiativen bieten die Möglichkeit der Orientierung und des Erfahrungsaustauschs.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

  1. sich gegenüber dem Bund dafür einzusetzen, dass zusätzliche Mittel im Eingliederungstitel eingestellt und gesondert ausgewiesen werden, um die Finanzierung sozialer Arbeitsmärkte in den Ländern verlässlich zu gewähren;
  2. auf Bundesebene und bei den Kommunen dafür einzutreten, mit einem Passiv-Aktiv-Transfer den sozialen Arbeitsmarkt zu finanzieren und ein entsprechendes Instrument im SGB-II zu verankern;
  3. in einem ersten Schritt unabhängig von der Bundesebene bereits bestehende Fördermöglichkeiten des Bundes und der Jobcenter optimal zu nutzen (z.B.§ 16e SGB II – Förderung von Arbeitsverhältnissen und § 16f SGB II – Mittel zur freien Förderung);
  4. notwendige ergänzende Mittel zu Verfügung zu stellen;
  5. Arbeitsgelegenheiten nach §16d SGB II mit einem begleitenden Gesundheitscoaching zu verbinden.

Begründung

Im Vergleich mit den anderen westdeutschen Bundesländern fällt auf, dass Niedersachsen deutlicher von der Verstetigung der Langzeitarbeitslosigkeit betroffen ist und deswegen ein besonderer Handlungsdruck besteht. Außerdem lässt sich feststellen, dass vor allem Ältere überdurchschnittlich Probleme haben, wieder im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die Chancen auf reguläre Arbeit von über 50-Jährigen sind gering, und deswegen brauchen gerade sie dringend Angebote, wieder einer Beschäftigung nachgehen und gesellschaftlich teilhaben zu können.

Die Grundlage für einen verlässlichen und langfristig angelegten öffentlichen Beschäftigungssektor bildet die Überführung passiver Leistungen in die Finanzierung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse. Der sogenannte Passiv-Aktiv-Transfer bringt eine Reihe von Vorteilen für Jobcenter, Kommunen und die Betroffenen mit sich: So sparen die Jobcenter Leistungen zum Lebensunterhalt ein, für die Kommunen verringern sich die Kosten der Unterkunft für SGB-II-BezieherInnen. Durch ein Interessenbekundungsverfahren können sich Kommunen zukünftig modellhaft an der Implementierung eines sozialen Arbeitsmarktes beteiligen. Es können somit regionale Wirtschaftskreisläufe gestärkt und  die Einnahmen der Kommunen über höhere Steueraufkommen erhöht werden. Des Weiteren stärkt ein aktiv und selbst erarbeitetes Arbeitsentgelt  das Selbstvertrauen und den Selbstwert der Betroffenen. Zuständig für eine entsprechende Änderung im SGB II ist der Bund, der über eine Bundesratsinitiative dazu aufzufordern ist. Ergänzend ist eine Erhöhung der Mittel aus dem Eingliederungsmittel erforderlich. Auch dies ist Aufgabe des Bundes, zu der Niedersachsen über den Bundesrat aufrufen kann.

Gleichwohl sind die Länder schon heute in der Lage, Mittel besser zu nutzen als bislang und sie für eine öffentliche Beschäftigung zugänglich zu machen. So werden nicht alle Mittel, die den Jobcentern derzeit zur Verfügung stehen, abgerufen. Ein Beispiel dafür sind die sogenannten Mittel zur freien Förderung (§16 SGB II).

Außerdem bietet sich mit dem Instrument der Förderung von Arbeitsverhältnissen (FAV nach § 16e SGB II) eine weitere Möglichkeit für die Länder an, Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen öffentlich zu fördern. Nach § 16 e SGB II lassen sich Arbeitsverhältnisse bis maximal 24 Monate bis zu 75 Prozent des zu berücksichtigenden Arbeitsentgeltes fördern. Wenn hier das Land ergänzend Mittel zur Verfügung stellen würde, könnte sich der arbeitsmarktpolitische Effekt deutlich erhöhen und die FAV für Kommunen und andere infrage kommende Arbeitgeber öffentliche Beschäftigung attraktiver machen.

Zurück zum Pressearchiv