Antrag: Kinder und Jugendliche reden mit – Demokratie muss gelernt werden

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der niedersächsische Landtag stellt fest:

Entsprechend der UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder und Jugendlichen ein Anrecht darauf, an allen sie berührenden Angelegenheiten beteiligt zu werden.

Die demokratische Entwicklung der Gesellschaft erfordert eine gezielte Stärkung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen an sie betreffenden Entscheidungsprozessen.

Der Landtag kritisiert, dass die niedersächsische Landesregierung die im Jahr 2000 gestartete Förderung von Partizipationsprojekten von Kindern und Jugendlichen ersatzlos eingestellt hat.

Im Jahr 2001 ist die Verpflichtung zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in die Niedersächsische Gemeindeordnung aufgenommen worden. Der Landtag bedauert, dass die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an den sie betreffen Planungen dennoch nur in Ausnahmefällen praktiziert wird.

Der niedersächsische Landtag fordert die Landesregierung auf:

  1. Das Land startet eine Kampagne, mit der die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen Planungen, die ihre Interessen berühren, unterstützt wird.
  • Das Land richtet hierzu eine Servicestelle ein, die kommunale Projekte zur Kinderbeteiligung mit Wettbewerben, best-practice-Börsen und finanzieller Unterstützung fördert.
  • Das Land sorgt für Aus- und Fortbildungsangebote für Kinderbeteiligungs-Moderatorinnen und -Moderatoren und unterstützt deren Vernetzung.
  1. Das Land setzt sich dafür ein, dass Kinder und Jugendliche an allen Planungen im kommunalen Bereich, die ihre Lebenswelt betreffen, angemessen und wirkungsvoll beteiligt werden.

  • Die Landesregierung übernimmt den § 22e der Niedersächsischen Gemeindeordnung zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in ihren Entwurf für das geplante einheitliche Kommunalverfassungsgesetz.

  • Die Umsetzung des § 22e wird evaluiert: Die Kommunen berichten über die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an sie betreffenden Planungen und begründen es, wenn Kinder und Jugendliche an sie betreffenden Planungen nicht beteiligt wurden.

  • Die Vergabe öffentlicher Mittel einschließlich der Mittel von Stiftungen des Landes für Projekte, die die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen betreffen, wird an die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an der Planung gebunden.

  • In jeder Verwaltung wird eine Kinderbeauftragte/ ein Kinderbeauftragter benannt, die/der die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen fördert. Gegebenenfalls werden dezernatsübergreifende Arbeitsgruppen für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen eingerichtet.

  • Es werden gemeinsame Fortbildungsangebote für kommunale Planerinnen und Planer sowie Kinderbeteiligungs-Moderatorinnen und -Moderatoren geschaffen.

  1. Die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an der Planung der Arbeit von Kindertagesstätten, Schulen und Jugendeinrichtungen wird gefördert.

  • Die Kindertagesstätten, Schulen und Jugendeinrichtungen nehmen die Kinder- und Jugendlichenbeteiligung in ihr Leitbild auf und sorgen für die Umsetzung.

  • Für Kita-Erzieherinen und -Erzieher, Lehrkräfte sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jugendeinrichtungen werden Fortbildungen für Kinderbeteiligungsverfahren angeboten.

  • Von der Servicestelle des Landes für Kinderbeteiligung werden Wettbewerbe für die Kinderbeteiligung in Kindertagesstätten, Schulen und Jugendeinrichtungen angeboten und best-practice-Börsen entwickelt.

Der Landtag fördert auch in seinem eigenen Wirkungskreis die Kinderbeteiligung: Die Internetseiten des Landtages werden kinderfreundlich gestaltet und der Landtag wirbt für die bereits bestehende Möglichkeit für Kinder, Petitionen an den Landtag zu richten.

Begründung:

Die UN-Kinderrechtskonvention verlangt in Art. 12 die Berücksichtigung des Kindeswillens in allen sie berührenden Angelegenheiten. Kinder und Jugendliche haben das gleiche Recht, an der Gestaltung ihrer Lebenswelt beteiligt zu werden, wie alle Menschen.

Demokratie muss gelernt werden. Die demokratische Beteiligung von Kindern und Jugendlichen stärkt ihre Identifikation mit Umwelt und Gesellschaft und stärkt ihr Verantwortungsgefühl. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Verantwortung in Beteiligungsprozessen fördert soziale und intellektuelle Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen und ist deshalb eine unverzichtbare Grundlage für ihren Bildungsprozess. Kinder sollen erfahren, dass sie mit Beteiligung etwas bewirken können.

Kinder und Jugendliche sind die besten Experten in ihren eigenen Angelegenheiten. Nur durch ihre intensive Beteiligung kann erreicht werden, dass die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen ihren eigenen Bedürfnissen entsprechend optimal gestaltet wird.

Das von der Bundesregierung eingesetzte Bundesjugendkuratorium hat deshalb in einer Stellungnahme von Juni 2009 gefordert, "Partizipation als konstitutiven Bestandteil aller Maßnahmen, Programme und Institutionen für Kinder und Jugendliche zu betrachten. Alle Einrichtungen und Dienste für Kinder und Jugendliche sollten erweiterte Partizipationschancen einräumen. Partizipationsangebote und –verfahren sollten so ausgestattet werden, dass alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, schulischem Bildungsniveau, sozialer Herkunft und Wohnort durch diese Partizipationsangebote erreicht werden können." (Bundesjugendkuratorium, Partizipation von Kindern und Jugendlichen – Zwischen Anspruch und Wirklichkeit, München 2009).

Nach dem Vorbild von Schleswig-Holstein hat im Jahr 2000 auch das Land Niedersachsen gemeinsam mit dem Deutschen Kinderschutzbund, dem Landesjugendring und der Sportjugend Niedersachsen eine Gemeinschaftsaktion "Niedersachsen – Ein Land für Kinder" eingerichtet, mit der konkrete Maßnahmen zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gefördert werden sollten. Hierfür wurden jährlich 200.000 DM bereitgestellt. Bis 2004 wurden im Rahmen der Gemeinschaftsaktion 105 Partizipations-Projekte in Niedersachsen gefördert. Statt diese Aktion auszuwerten und weiterzuentwickeln, hat die CDU/FDP-Landesregierung die Gemeinschaftsaktion "Niedersachsen – Ein Land für Kinder" im Jahr 2004 ersatzlos beendet. Seitdem werden Beteiligungsprojekte für Kinder und Jugendliche vom Land Niedersachsen nicht mehr gefördert.

Um neue Impulse für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen zu geben, ist es notwendig, die Arbeit der Gemeinschaftsaktion wieder aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Hierzu soll eine Servicestelle des Landes eingerichtet werden, die kommunale Projekte zur Kinderbeteiligung fördert und mit  best-practice-Börsen unterstützt.

Eine besondere Bedeutung kommt der Qualifikation von Beteiligungs-Moderatorinnen und –Moderatoren zu, weil nur dann alle Kinder unabhängig von ihrer Herkunft erreicht und eine Beteiligung erfolgreich durchgeführt werden kann, wenn hierfür geeignete Methoden verwendet werden. Das Land soll deshalb wieder die Aus- und Fortbildung der Beteiligungs-Moderatorinnen und –Moderatoren sicherstellen.

Im Jahr 2001 wurde in die Niedersächsische Gemeindeordnung die Bestimmung aufgenommen, dass Kinder und Jugendliche an kommunalen Planungsprozessen, von denen sie betroffen sind, beteiligt werden sollen. Daraufhin sind in den Kommunen eine Reihe von Beteiligungsprojekten durchgeführt worden. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt jedoch, dass die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die tatsächlich an kommunalen Beteiligungsprojekten teilnehmen, gering ist, und dass auch die Zahl der Themen, an denen Kinder und Jugendliche beteiligt sind, sehr eingeschränkt ist.

Um die Partizipation von Kindern und Jugendlichen auszuweiten, soll der § 22 e der Niedersächsischen Gemeindeordnung in das geplante einheitliche Kommunalverfassungsgesetz übernommen werden und damit auch für die Landkreise und die Region Hannover wirksam werden. Für die Umsetzung ist eine Evaluation vorzusehen. Auch die Vergabe öffentlicher Mittel einschließlich der Mittel von Stiftungen des Landes für Projekte, die die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen betreffen sollen an die Durchführung von Partizipationsprojekten gebunden werden.

Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an kommunalen Planungsprozessen kann nur erfolgreich sein, wenn sie auch von der kommunalen Verwaltung mitgetragen und vorangebracht wird. Deshalb sollen geeignete Strukturen in der Kommunalverwaltung geschaffen werden, die eine Beteiligungskultur unterstützen. Hilfreich ist es, wenn auch die kommunalen Planerinnen und Planer mit den Verfahren zur Kinderbeteiligung vertraut sind. Deshalb sollen gemeinsame Fortbildungen für Beteiligungs-Moderatorinnen und -Moderatoren und für kommunale Planerinnen und Planer angeboten werden.

Einen großen Teil ihres Lebens verbringen die Kinder in Kindertagesstätten, Schulen und Einrichtungen der Jugendhilfe. Hier sind ihre Beteiligungsmöglichkeiten verschiedenen Studien zufolge über die Gremienmitwirkung hinaus derzeit sehr gering. Ihre Partizipation an der Gestaltung des alltäglichen Geschehens in diesen Einrichtungen, des Unterrichtes, des Kita- und Schullebens, der räumlichen Gegebenheiten, von Klassenfahrten, etc. kann und soll wesentlich intensiviert werden. Die Eigenverantwortlichkeit der Schulen kann dazu Spielräume schaffen, die intensiver genutzt werden sollen. Alltägliche Beteiligungskultur muss in das Leitbild dieser Einrichtungen integriert werden. Wichtig ist hierbei, dass alle Kinder unterschiedlicher sozialer Herkunft und auch Kinder aus Einwandererfamilien in die Beteiligungsprozesse einbezogen werden. Die Kita-Erzieherinnen und –Erzieher, die Lehrkräfte und die Mitarbeiterinnen in Jugendhilfeeinrichtung müssen für die Anwendung geeigneter Beteiligungsverfahren qualifiziert werden. Die Unterstützung von Beteiligungsprojekten in Kitas, Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen soll zu einem Schwerpunkt des Servicebüros des Landes werden.

Fraktionsvorsitzender

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