Antrag: Kinder und Jugendliche in seelischen Krisen jetzt besser unterstützen – Zugang zu Therapieangeboten erleichtern, Versorgungslücken schließen, Wartezeiten verkürzen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Die Corona-Pandemie hat bekanntermaßen erhebliche Auswirkungen auf die körperliche und seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. In der COPSY-Studie des Uni-Klinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) vom Frühjahr 2021 gaben über 70 % der Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren an, durch die Pandemie und ihre Folgen seelisch belastet zu sein. Nach Angaben des UKE zeigt fast jedes dritte Kind psychische Auffälligkeiten. Die aktuellen Zahlen der neuesten COPSY-Studie weisen zwar hierzu einen leichten Rückgang aus (29 %), was unter anderem auf die zuletzt in der Delta- und Omikron-Welle grundsätzlich geöffneten Freizeitangebote Schulen und Kitas zurückgeführt wird. Damit liegt der der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit psychischen Gesundheitsproblemen aber immer noch 12 Prozentpunkte über der Vor-Pandemie-Zeit.[1] Diese Zahl korrespondiert u.a. mit dem Arztreport der Barmer Krankenkasse, demzufolge die Zahl entsprechender Behandlungen allein im zweiten Halbjahr 2020 um rund 12 Prozent zugenommen.

Mit den fortgesetzten pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen und dem damit verbundenen vielfältigen Druck auf Familien, Kinder und Jugendliche ist der Bedarf an psychiatrischer und psychotherapeutischen Unterstützung für Kinder und Jugendliche auf allen Ebenen weiter angewachsen. Bereits vor der Pandemie war die Nachfrage nach Beratung, Betreuung und Behandlung höher als das Angebot. Familien, Kinder und Jugendliche mussten bereits vor der Pandemie teilweise monatelang auf einen Termin warten. Bundesweit vermelden Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen, Ärzt*innen, Praxen und Kliniken, dass die Nachfrage nach Psychotherapieplätzen für Kinder und Jugendliche mit schweren krankheitswertigen Symptomatiken im Laufe der Corona-Pandemie deutlich zugenommen hat. In der Folge hat sich die Wartezeit für einen Therapieplatz für behandlungsbedürftige Heranwachsende abermals verlängert. In Medienberichten ist sogar von Wartezeiten von bis zu einem Jahr und mehr die Rede.[2]

Der dramatische Mangel an Versorgungsmöglichkeiten bei seelischen Krisen verschärft wiederum die Lage der Kinder und Jugendlichen.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

1.      zusätzliche Psychotherapieplätze für Kinder- und Jugendliche in Niedersachsen zu schaffen, z.B. durch

a.      Sonderbedarfszulassungen für Kinder- und Jugendpsychotherapeut*innen, mit einem Schwerpunkt auf ländliche und strukturschwache Regionen sowie einkommensschwächere Stadtteile,

b.      die Ausweitung von Gruppentherapieangeboten, die im vortherapeutischen Bereich von entsprechend geschulten Sozialpädog*innen begleitet werden können,

c.      die modellhafte Förderung telemedizinischer Angebote, insbesondere für die Abklärung (Erstanamese) sowie die Anschlussbegleitung nach Therapien,

d.      die Erweiterung der Bettenkapazitäten in den kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken und eine entsprechende personelle Ausstattung mit Psychiater*innen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen und pädagogischen Mitarbeitenden

e.      die Schaffung von zusätzlichen tagesklinischen Angeboten

2.      zu prüfen, wie

a.      mehr Privatpraxen eine Kassenzulassung der GKV bekommen können, um die Zahl der Angebote für gesetzlich versicherte Kinder und Jugendliche zu erhöhen,

b.      wie Privatpraxen auch unabhängig von einer GKV-Zulassung in die Behandlung von gesetzlich versicherten Kindern und Jugendlichen einbezogen werden können und wie eine Kostenübernahme durch die GKV geregelt werden kann,

3.      die Vernetzung zwischen ambulanten und stationären Angeboten der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Zusammenarbeit mit Kostenträgern und Leistungserbringern zu verbessern und zu finanzieren,

4.      den Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst auch dafür zu nutzen, die Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienste in den Kommunen personell aufzustocken und die Präventionsarbeit zu stärken,

5.      die Kooperation zwischen Jugendhilfe, Gesundheitswesen und Eingliederungshilfe durch geeignete Vereinbarungen zu verbessern und so eine integrierte und sektorenübergreifende Versorgung für psychisch kranke Kinder und Jugendliche zu ermöglichen und für eine sachgerechte Vergütung von Netzwerkarbeit und Kooperation zu sorgen,

6.      neben therapeutischen Angeboten auch niedrigschwellige Präventions- und Erstberatungsangebote, u. a. in der Jugend- und Schulsozialarbeit, in sozialen Medien und insbesondere auch in sozialen Brennpunkten zu fördern,

7.      die bestehenden Ausbildungsstätten für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen dabei zu unterstützen, mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen

8.      zusätzliche Medizin-Studienplätzen, sowie Ausbildungs- und Praktikumsplätze für Pflegefachberufe auf den Weg zu bringen.

[1] vgl. Preprint unter https://papers.ssrn.com/sol3/Delivery.cfm/SSRN_ID4024489_code4454981.pdf?abstractid=4024489&mirid=1

[2] vgl. z. B. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/127638/Aktuell-haben-wir-eine-Warteliste-von-bis-zu-einem-Jahr

Zurück zum Pressearchiv