Antrag: Keine Ausweitung der Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz, stattdessen Überprüfung der vorhandenen Strukturen

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Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Hannover, den 17.06.03

Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
1. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, von einer Änderung bzw. Ausweitung der Befugnisse der niedersächsischen Verfassungsschutzes abzusehen, bis die Ergebnisse der Innenministerkonferenz sowie der angekündigten Strukturkommission zur Reform der Geheimdienste auf Bundesebene vorliegen.
2. Desweiteren fordert der Landtag die Landesregierung auf, sich unvoreingenommen und unter Berücksichtigung der Erfahrungen u.a. aus dem NPD-Verbotsverfahren in die Diskussionen zur Reform der Geheimdienste einzubringen.
3. Schließlich fordert der Landtag die Landesregierung auf sicherzustellen, dass auch im Landesamt für Verfassungsschutz ein anteiliger Konsolidierungsbeitrag für den Landeshaushalt erwirtschaftet wird.
Begründung
Das Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens ist ebenso als Scheitern der derzeitigen Struktur des Verfassungsschutzes in Deutschland zu verstehen. Ein Bundesamt und sechzehn Landesämter für Verfassungsschutz arbeiteten unkoordiniert und ohne Kenntnis von der Arbeit des anderen nebeneinander her. Dieses Vorgehen ist nicht nur in hohem Maße intransparent und ineffizient, im Falle des NPD-Verbotsverfahren hat es sich sogar als ursächlich für die weitere Existenz der NPD erwiesen, an deren Verfassungsfeindlichkeit faktisch kein Zweifel besteht.
Die Auswertung der Anschläge in den USA am 11. September 2001 und ihre speziellen Hintergründe in Deutschland hat zudem ergeben, dass die Struktur der Geheimdienste nicht geeignet ist, den geänderten sicherheitspolitischen Anforderungen Rechnung zu tragen. Die Geheimdienste waren von der Entwicklung überfordert und nicht in der Lage, eine Gefahrenanalyse vorzulegen oder Präventivmaßnahmen einzuleiten. Es wird spätestens seitdem grundsätzlich bezweifelt, ob die Landesämter für Verfassungsschutz für die Bekämpfung terroristischer Aktivitäten überhaupt eingesetzt werden sollten.
Die oben genannten Beispiele sind nur die letzten einer an Skandalen und Pannen reichen Geschichte der deutschen Geheimdienste. Folgerichtig hat die rotgrüne Bundesregierung beschlossen, die Aufgaben, Struktur, Effektivität, Befugnisse und Kontrolle der Geheimdienste zu evaluieren und die notwendigen Reformkonsequenzen daraus zu ziehen. Mittlerweile wird parteiübergreifend die Frage der Geheimdienstreform erörtert. Auf diese Frage jedoch schlicht mit der Ausweitung der Befugnisse des niedersächsischen Verfassungsschutzes zu antworten, ist falsch. Hiermit werden Scheinaktivitäten vorgetäuscht, die ein gesteigertes Maß an Sicherheit suggerieren, ohne dass dies tatsächlich der Fall ist.
Diese Auffassung teilt auch Dr. Eckhart Werthebach, der in seinem Gutachten "Idealtypische Organisation innerer und äußerer Sicherheit" für die Bertelsmann-Stiftung schreibt "Hinzu kommt, dass die Politik ohnehin stets und ständig Handlungskraft beweisen muss: Immer wenn Sicherheitspannen offenbar, Fehler bei der Aufklärung festgestellt, Koordinationsmängel zwischen den Sicherheitsbehörden evident werden und der legendäre "Autismus der Geheimdienste" nicht mehr zu verbergen ist, reagiert die Politik in gleicher Weise. [...] Regierungen verlangen für die Sicherheitsbehörden neue gesetzliche Befugnisse, obwohl häufig genug nur Mängel in der Organisation und im Gesetzesvollzug ursächlich für die Pannen sind."
Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse ist es überdies angebracht, dass die durch die Bundesebene in den so genannten Sicherheitsgesetzen eingeführten Instrumente und Befugnisse für die Geheimdienste und die Polizei hinsichtlich ihrer Erfordernis und ihrer Effizienz evaluiert werden. Der jüngst veröffentlichte Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz in diesem Kontext macht deutlich, dass die Instrumente nur äußert sparsam Anwendung gefunden haben.
Während Werthebach in seinem Gutachten für die Abschaffung der Landesämter plädiert, hat der Berliner Innensenator Körting bei der letzten Innenministerkonferenz im Mai einen Vorschlag zur Umstrukturierung des Verfassungsschutzes eingebracht. Darin spricht er sich für eine klare Arbeitsteilung zwischen Bundes- und Landesämtern aus, die auch die Verlagerung von Kompetenzen in die Alleinzuständigkeit der Bundesbehörde umfaßt. Auch die gänzliche Abschaffung der Landesämter für Verfassungsschutz wird diskutiert.
Unabhängig davon, ob man überhaupt und wenn ja, welchem der zitierten Reformvorschläge man zustimmt: Auf der politischen Agenda steht zurzeit die Frage nach der grundlegenden Reform der Geheimdienste, sowie der ihrer Kontrolle und nicht etwa die Ausweitung ihrer Kompetenzen. An dieser Debatte sollte sich auch die niedersächsische Landesregierung vordringlich beteiligen, zumal sie über die Auswertung der Aktivitäten des niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz im Rahmen des NPD-Verbotsverfahrens einiges zur Analyse von Koordinations- und Zuständigkeitsmängeln beitragen kann.

stellvertr. Fraktionsvorsitzender

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