Antrag: Keine Abstriche bei der Förderung von Arbeitssuchenden – Erwerb des Hauptschulabschlusses und Spracherwerb müssen weiter gefördert werden können

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der niedersächsische Landtag stellt fest:

  1. Für die optimale Betreuung von Arbeitsuchenden wurde mit dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) die Möglichkeit der "weiteren Leistungen" geschaffen. Die Regelung in § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II ist Grundlage für passgenaue Förderangebote, die individuelle und spezifische Probleme bei der Aufnahme von Arbeit überwinden helfen. Mit ihnen kann die schrittweise und nachhaltige Integration von Arbeitslosen mit vielfältigen und schwerwiegenden Vermittlungshemmnissen in den Arbeitsmarkt gelingen.
  2.  Die Bundesregierung will die Möglichkeiten des § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II nun rigoros einschränken und auf einen engen Katalog von Einzelfallhilfen begrenzen. Damit wird die bisher vorhandene Möglichkeit, flexibel und vor Ort auf die spezifischen Problemlagen bestimmter Zielgruppen und Hilfebedürftiger einzugehen, zunichte gemacht. Leidtragende dieser Politik sind die Arbeit Suchenden. Insbesondere Maßnahmen für Jugendliche, zum Beispiel der nachträgliche Erwerb des Hauptschulabschlusses, und Maßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund droht das Aus, wenn die Bundesregierung bei ihrer Haltung bleibt.
  3. Die Begrenzung auf Einzelfallhilfen bedeutet, dass die vor Ort initiierten Fördermaßnahmen für bestimmte Zielgruppen beendet werden müssen und in Zukunft nicht fortgeführt werden können. Die Träger in den Kreisen und kreisfreien Städten, die über § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II erfolgreiche Integrationsprogramme anbieten konnten, werden in ihrer Eingliederungsarbeit massiv zurückgeworfen. Ko-finanzierte Angebote, die gemeinsam mit anderen Trägern, insbesondere denen der Jugendhilfe (SGB VIII) konzipiert und finanziert wurden, sind mit dem von der Bundesregierung angestrebten Richtungswechsel nicht mehr ohne weiteres möglich.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, gegenüber der Bundesregierung und im Bundesrat dahingehend aktiv zu werden, dass:

  1. die "weiteren Leistungen" nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II ihren Charakter als flexibles Instrument zur passgenauen Betreuung von Hilfebedürftigen behalten. Dafür muss der Leistungskatalog der "weiteren Leistungen" auch in Zukunft prinzipiell offen interpretiert werden können. Nur so können fallweise die Hilfen zur Verfügung gestellt werden, die erforderlich sind. Dabei muss selbstverständlich jede Maßnahme bzw. Leistung die gesetzlichen Anforderungen an Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit erfüllen,
  2. die Bundesregierung ihren restriktiven Katalog für erlaubte "weitere Leistungen" sofort zurückzieht, um die erforderlichen Entscheidungsspielräume für angemessene, flexible und passgenaue Fördermaßnahmen wieder auf die lokale Ebene zu verlagern, den drohenden Abbruch von innovativen Hilfen zu verhindern und eine Förderungslücke vor Ort mit Hinweis auf die Neuordnung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente zu vermeiden,
  3. insbesondere Maßnahmen zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses, eine vertiefte Berufsorientierung, die Vermittlung von berufsrelevanten Sprachkenntnissen und individuell ausgerichtete Maßnahmen zur Unterstützung von Beschäftigungsfähigkeit sowie die Kombination dieser Elemente auch weiterhin über die "weiteren Leistungen" weiterhin förderfähig sind;
  4. die angekündigte Überarbeitung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente so ausgestaltet wird, dass die Instrumente grundsätzlich flexibler und passgenauer im Sinne des sozialintegrativen Ansatzes des SGB II angewendet werden können.

Begründung

Mit der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe zur Grundsicherung für Arbeitssuchende wurde arbeitslosen Menschen, die zuvor nicht in der Arbeitsförderung berücksichtigt wurden, neue Perspektiven eröffnet. Erstmalig war für sie neben den Hilfen des SGB II das Förderinstrumentarium des SGB III zugänglich. Durch die zugleich vorgenommene Erweiterung des Erwerbsfähigkeitbegriffs war absehbar, dass es zukünftig eine Gruppe arbeitsuchender Arbeitslosengeld – II - Empfängerinnen und -empfänger geben würde, die mit vielfachen Schwierigkeiten zu kämpfen hat.

Für sie wurde im SGB II § 16 Abs. 2 Satz 1 für "weitere Leistungen" geschaffen. Mit den "weiteren Leistungen" können passgenaue und sozialintegrative Angebote für diejenigen entwickelt werden, denen die Instrumente des SGB III nicht oder nicht ausreichend weiterhelfen. Die Maßnahmen nach dem SGB III berücksichtigen die notwendige sozialpolitische Komponente nicht ausreichend, sind häufig standardisiert und setzen oft zu viel voraus für einen erfolgreichen Abschluss und Übergang in Arbeit. Die Folge sind Frust und Demotivation bei den Arbeitsuchenden und fortdauernde Arbeitslosigkeit trotz Förderung.

Bundesarbeitsminister Scholz versucht hier, die Hegemonie über die Auswahl geeigneter Förderinstrumente und Fördermaßnahmen für schwervermittelbare Erwerbslose durch Verschiebung auf Fördermaßnahmen des SGB III durchzusetzen und damit die Entscheidungsfreiheit insbesondere der optierenden Kommunen zu beschneiden.

Die rigorose Beschränkung auf Einzelfallhilfen gefährdet die dezentrale und passgenaue Integrationspolitik, die inzwischen von den Trägern der Grundsicherung zunehmend praktiziert wird. Wurde in der Anfangsphase der Grundsicherung vor allem auf standardisierte Maßnahmen wie die Ein-Euro-Jobs zurückgegriffen, die schwer mit den Grundsätzen des Forderns und Förderns in Einklang zu bringen sind, haben sich mittlerweile die "weiteren Leistungen" als wichtiges Instrument der individuellen Förderung und Integration etabliert.

Die Bundesregierung begründet ihre Vorgehensweise mit der missbräuchlichen Nutzung der "weiteren Leistungen", die sie zukünftig verhindern will. Dabei schießt sie jedoch weit übers Ziel hinaus. Für die Verhinderung von Missbrauch ist die Beschränkung der "weiteren Leistungen" auf Einzelfallhilfen jedoch kontraproduktiv. Das Vorgehen der Bundesregierung verhindert vielmehr die sinnvolle Kooperation der Träger untereinander und enthält den Hilfebedürftigen wichtige Hilfen vor. Würde sich die Bundesregierung durchsetzen, hätte dies erhebliche negative Konsequenzen für die Förderung von Arbeitsuchenden.

Die Ankündigung der Bundesregierung zur Überarbeitung des arbeitsmarktpolitischen Maßnahmekatalogs, in dem jene besonders innovativen Ansätze berücksichtig werden sollen, die im Rahmen des § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II vor Ort konzipiert wurden, ist keine Lösung, da sich dieses Projekt mit ungewissem Ausgang bis mindestens 2009 hinziehen wird. Drohende finanzielle Rückforderungen für den Fall, dass sich Träger der Grundsicherung nicht an das vorgegebene enge Förderungskorsett halten sind arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiv. Mit ihnen würde jede lokale Planungssicherheit entfallen, funktionierende Strukturen und Kooperationen würden zerstört. Integrationsprozesse müssten unterbrochen und Arbeitsuchende auf unabsehbare Zeit vertröstet werden.

Fraktionsvorsitzender

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