Antrag: Kein Raum für Islamfeindlichkeit - Erfassung islamfeindlicher Taten verbessern!

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Das Land Niedersachsen ist ein weltoffenes Land, das von seiner Vielfalt, dem Engagement und den Ideen der Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft lebt. So ist es heute eine Selbstverständlichkeit, dass zahlreiche Bürgerinnen und Bürger unterschiedlicher Konfessionen in Niedersachsen miteinander leben. Unter ihnen befinden sich mittlerweile auch mehr als 200.000 Musliminnen und Muslime, die einen fest verwurzelten Teil der niedersächsischen Gesellschaft bilden.

Dennoch kann, wie aus einer Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 17.09.2014 auf eine kleine Anfrage hervorgeht, von einer ungestörten und sicheren Religionsausübung durch muslimische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Niedersachsen noch keine Rede sein. Allein zwischen den Jahren 2001 und 2014 kam es demnach zu mehr als 141 Anschlägen und Übergriffen auf Moscheen. Bei mindestens 65 dieser Taten konnte eine politische Motivation festgestellt werden. Erst im Oktober 2014 kam es zu weiteren Zwischenfällen, bei denen Unbekannte einen abgetrennten Schweinekopf vor den Gebetsräumen der Delmenhorster Mevlana-Moschee ablegten und nahezu zeitgleich eine Moschee in Stadthagen schändeten. Diese Vorfälle bestätigen in trauriger Weise, dass Islamfeindlichkeit auch in Niedersachsen ein ernst zu nehmendes und sich verschärfendes Problem der Gesellschaft darstellt.

Der Landtag fordert die Landesregierung daher auf,

  1.  darauf hinzuwirken, dass in die Richtlinien für das Straf- und das Bußgeldverfahren (RiStBV) sowie in die einschlägigen polizeilichen Dienstvorschriften aufgenommen wird, dass
    1. in allen Fällen von Gewaltkriminalität, die wegen der Person des Opfers einen rassistisch oder anderweitig politisch motivierten Hintergrund haben könnten, dieser eingehend zu prüfen und diese Prüfung an geeigneter Stelle nachvollziehbar zu dokumentieren ist, wenn sich nicht aus Zeugenaussagen, Tatortspuren und ersten Ermittlungen ein hinreichend konkreter Tatverdacht in eine andere Richtung ergibt;
    2. ein vom Opfer oder Zeugen angegebenes Motiv für die Tat von der Polizei beziehungsweise der Staatsanwaltschaft verpflichtend aufzunehmen und angemessen zu berücksichtigen ist;
    3. immer zu prüfen ist, ob es sinnvoll ist, den polizeilichen Staatsschutz zu beteiligen und Informationen bei Verfassungsschutzbehörden anzufragen;
  2. auf Bundesebene darauf hinzuwirken, dass die Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags hinsichtlich der grundlegenden Überarbeitung des Themenfeldkatalogs PMK unter Hinzuziehung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft umgesetzt wird;
  3. auf Bundesebene darauf hinzuwirken, dass eine eigene Erfassung antimuslimisch motivierter Straftaten unter dem Themenfeld der Hasskriminalität eingeführt wird;
  4. für den Fall, dass eine bundesweit einheitliche Regelung nicht möglich sein sollte, zu prüfen, ob eine eigene niedersächsische Statistik für die Erfassung antimuslimisch motivierter Straftaten umsetzbar ist.

Begründung

Die genaue Betrachtung der Zahlen zu islamfeindlichen Übergriffen zeigt, dass es an genauen Instrumenten zur Messung antimuslimisch motivierter Straftaten nach wie vor fehlt. Obwohl viele gewalttätige Übergriffe auf Moscheen in Niedersachsen als zweifelsfrei politische Taten erfasst wurden, kann eine genauere Zuordnung vielfach nicht erfolgen. Ursächlich hierfür ist das gegenwärtige Definitionssystem der politisch motivierten Kriminalität (PMK). Hiernach können etwa Übergriffe auf Moscheen oder muslimische Mitbürgerinnen und Mitbürger unter das Thema „Hasskriminalität“ erfasst werden. Eine gesonderte Erfassung der Taten als antimuslimisch motiviert ist aber nicht möglich. Einige Gewalttaten gegen Moscheen konnten in Einzelfällen sogar gar keinem Themenbereich der PMK zugeordnet werden. So kommt es, dass eine präzise und aufschlussreiche Beobachtung gewalttätiger Islamfeindlichkeit nur eingeschränkt möglich ist. Ein „Gradmesser“ für Islamfeindlichkeit in Niedersachsen kann daher nur durch eine gesonderte Erfassung antimuslimischer Taten richtig funktionieren. Auch aus der Perspektive der betroffenen Musliminnen und Muslime ist die gesonderte Anerkennung der politischen Dimension dieser Taten von großer Bedeutung. Besucherinnen und Besuchern von Moscheen, die Zielscheibe von Angriffen werden, ist bewusst, dass ihre Moschee nicht zufällig angegriffen wird, sondern stellvertretend für die Gruppe der Musliminnen und Muslime in Deutschland. Spiegelt sich dieses Motiv nicht in der polizeilichen Erfassung der Taten wieder, kann dies daher schnell als Verweigerung von Solidarität empfunden werden. Schließlich haben  sich auch alle Fraktionen der 17. Legislaturperiode des Bundestags im Abschlussbericht des Untersuchungsausschuss zum rechtsterroristischen “Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)” für eine grundlegende Überarbeitung des Themenfelds der  PMK durch Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft ausgesprochen.

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