Antrag: Kein Platz für Gewalt an Frauen und Mädchen: Istanbul Konvention strategisch und ressortübergreifend umsetzen - Koordinierungsstelle einrichten

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90 Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Am 1. Februar 2018 ist mit der sog. Istanbul Konvention das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt in Kraft getreten. Seit Februar 2023 gilt die Istanbul Konvention in Deutschland uneingeschränkt. Die Bundesregierung hat bisherige Vorbehalte nicht verlängert und geht damit einen entscheidenden Schritt, damit alle 81 Artikel der Konvention mit einer Vielzahl von Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Intervention, Schutz und Sanktion nun uneingeschränkt für alle von Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen umgesetzt werden. Zuständig dafür sind alle staatlichen Stellen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene.

Im Oktober 2022 wurde der erste Evaluationsbericht zum Umsetzungsstand der Istanbul-Konvention in Deutschland veröffentlicht (GREVIO-Bericht). Dieser erkennt das Engagement der Bundesrepublik Deutschland bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen an, zeigt aber gleichermaßen einen deutlichen Handlungsbedarf bei der weiteren Umsetzung des Abkommens auf. Eine der vordringlichen Empfehlungen, die in Deutschland bisher noch nicht ausreichend umgesetzt sind, ist die Einrichtung von Koordinierungsstellen nach Artikel 10 der Istanbul Konvention. Diese sollen dem Vertragstext zufolge für die Umsetzung, Beobachtung und Bewertung der politischen und sonstigen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt im Sinne der Istanbul Konvention zuständig sein. Das folgt auch den Forderungen nach einer Gesamtstrategie gegen Gewalt an Frauen und Mädchen.

Weiteren Handlungsbedarf zeigt der Evaluationsbericht unter anderem beim Risikomanagement gegen Femizide, bei der regelmäßigen Gefährdung gewaltbetroffener Frauen und Kinder durch Sorge- und Umgangsregelungen sowie bei der Finanzierung der Täterarbeit auf. Bei dem weiteren Ausbau des Hilfesystems für alle von Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen sind vor allem die speziellen Bedarfe von Frauen in besonderen Lebenslagen zu berücksichtigen.

Niedersachsen verfügt bereits jetzt über ein flächendeckendes Netz an Beratungsstellen, Krisen- und Schutzeinrichtungen für Frauen und Mädchen, die Opfer von Gewalt werden. Ziel in Niedersachsen muss es sein, die weitere Umsetzung der in der Istanbul Konvention definierten Rechte und Anforderungen zu gestalten. Dazu müssen alle Beteiligten zusammenwirken.

Der Landtag begrüßt:

  • den kontinuierlichen Ausbau des Unterstützungs- und Hilfesystems für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen in Niedersachsen,
  • die Einrichtung eines Ampelsystems zur fortlaufend aktuellen Erfassung der Belegung und freier Kapazitäten der niedersächsischen Frauenhäuser mit entsprechender Verweisberatung,
  • die Erarbeitung des Landesaktionsplans 4 zur Bekämpfung häuslicher Gewalt,
  • die Einrichtung einer Koordinierungsstelle zur Umsetzung der Istanbul Konvention auf Bundesebene.

Der Landtag bittet die Landesregierung:

  1. eine Koordinierungsstelle gem. Art. 10 IK als zentrales Element einer Gesamtstrategie zur Umsetzung der Istanbul Konvention innerhalb der Landesregierung einzurichten. Die Koordinierungsstelle beobachtet und bewertet die politischen und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbul Konvention in Niedersachsen und koordiniert deren ressortübergreifende Umsetzung. Sie wirkt als zentrale Vernetzungsstelle, die nichtstaatliche Stellen und die Zivilgesellschaft angemessen einbindet,
  2. das Unterstützungs- und Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen gemeinsam mit den Kommunen weiter auszubauen und den Blick dabei auch auf die Bedarfe von Frauen in besonderen Lebenslagen zu richten,
  3. sich weiter auf Bundesebene für einen einheitlichen Rechtsrahmen bei der Frauenhausfinanzierung und für eine stärkere Beteiligung des Bundes an der Finanzierung von Gewaltschutzeinrichtungen einzusetzen,
  4. die zur Umsetzung der Istanbul Konvention in Niedersachsen erforderlichen Mittel dauerhaft bereit zu stellen.

Begründung

Unser gemeinsamer Anspruch ist, dass alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Aussehen und sozialer Lage sicher, gewaltfrei und ohne Angst in Niedersachsen leben können. Dies gilt für den öffentlichen Raum in gleichem Maße wie für das private Umfeld. Auch im digitalen Raum dürfen verbale Angriffe, Bedrohungen und Einschüchterungen keinen Platz finden.

Noch sind wir davon jedoch weit entfernt. Im vergangenen Jahr hat die Polizei in Niedersachsen insgesamt 26.997 Fälle Häuslicher Gewalt und damit eine Zunahme von 11,08 Prozent im Vergleich zu 2021 registriert. Ausweislich der Dunkelfeldstudie des Niedersächsischen Landeskriminalamtes liegt die Prävalenz mit 5,7% jedoch noch deutlich höher. Die Kriminalstatistische Auswertung des Bundeskriminalamts zu Partnerschaftlicher Gewalt für das Berichtsjahr 2021 attestiert die Hellziffer von 143.604 Betroffenen partnerschaftlicher Gewalt in Deutschland. 80,3% der Betroffen waren Frauen. In Deutschland wird jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt; etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner. Mädchen und Frauen mit Behinderung erleben je nach Gewaltform zwei bis dreimal häufiger Gewalt als der Bevölkerungsdurchschnitt. (Quelle BMFSFJ).

Gewalt gegen Frauen und Mädchen wird gemäß der Artikel 3 der Istanbul Konvention als eine Menschenrechtsverletzung und eine Form der Diskriminierung der Frau verstanden und bezeichnet alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können. Das schließt auch die Androhung solcher Handlungen, die Nötigung oder willkürliche Freiheitsentziehung mit ein, sei es im öffentlichen oder privaten Leben.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen muss flächendeckend verhindert und bekämpft werden. Die Umsetzung der Istanbul-Konvention ist ein wichtiger Beitrag zum Schutz von Frauen und Mädchen vor häuslicher und sexualisierter Gewalt. Gewaltschutz ist eine ressortübergreifende Aufgabe und erfordert eine Gesamtstrategie. Diese Gesamtstrategie gilt es voranzubringen. Zentrales Element dafür ist die einzurichtende Koordinierungsstelle. 

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