Antrag: Kein neuer Feldversuch mit Gigalinern in Niedersachsen

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Hannover, den 08.03.2011

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, ihre Zusage gegenüber der Bundesregierung an einem neuen 5 jährigen Feldversuch von Lang-LKW (Gigaliner) teilzunehmen zurückzuziehen.

Ein neuer Feldversuch auf Autobahnen, Bundes-, Landes- und Kreisstraßen in Niedersachsen verspricht keine zusätzlichen Erkenntnisse zu vorangegangenen Versuchen. In Abwägung zu Aufwand für alle Beteiligten, Belastung der Infrastruktur und Gefährdung der übrigen VerkehrsteilnehmerInnen spricht sich der Landtag gegen einen neuen Feldversuch in Niedersachsen aus.

Begründung

So genannte Lang-LKW bzw. Gigaliner sind in Niedersachsen bereits über einen längeren Zeitraum erprobt worden. Ein weiterer Test unter "Laborbedingungen" mit vorgegebenen Routen und einigen wenigen teilnehmenden großen Speditionen ist weder erforderlich, noch ist zu erwarten, dass dadurch neue Erkenntnisse gewonnen werden.

Lastkraftwagen müssen bestimmte Maße und Gewichte einhalten, wenn sie in Europa über nationale Grenzen hinweg fahren. So gelten bislang eine Maximallänge von 18,75 Metern und ein Höchstgewicht von 40 Tonnen. Der angestrebte Riesen-LKW soll 6,5 Meter länger sein und könnte von seiner Auslegung her bis zu 20 Tonnen mehr Gewicht laden. Zum Vergleich: Eine vollbetankte und mit 127 Passagieren vollbesetzte Boeing 737-300 ist leichter als ein voll gepackter Gigaliner. Sie hat ein maximales Startgewicht von 57,6 Tonnen.

Was die Riesen-LKW-Lobby als Kompromiss verkaufen möchte – statt der 60 Tonnen nur 40 oder 44 Tonnen Höchstgewicht zuzulassen - ist jedoch nur ein durchsichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zum 60-Tonner. Schließlich sind die Fahrzeuge technisch auf 60-Tonnen angelegt.

Durch die Absenkung der Kosten für den Transport auf der Straße als Folge der Einführung von Gigalinern ist zu erwarten, dass die Konkurrenz durch einige wenige große finanzstarke Speditionen gegenüber den vielen mittelständischen und kleinen Spediteuren noch ruinöser wird. Auch die klimapolitisch kontraproduktive Verlagerung von Gütertransporten von der Schiene auf die Straße würde neu angefacht. Dies ginge zu Lasten des energieeffizienteren und umweltfreundlicheren Güterverkehr auf der Schiene, der pro transportierter Tonne bis zu viermal weniger CO2 als der Lkw-Verkehr produziert.

Im Übrigen schneiden Riesen-LKW gegenüber herkömmlichen LKW in puncto Energieverbrauch und CO2-Emmissionen nur dann besser ab, wenn ihre Auslastung überdurchschnittlich ist, anderenfalls würde auch dort nur noch mehr Luft nutzlos umhergefahren.

Die regelmäßig bei stichprobenartigen Kontrollen des derzeitigen LKW Verkehr erkennbaren Verstöße gegen vorgegebene Lastbeschränkungen und Streckenbeschränkungen müssen aller Erfahrung nach auf das voraussichtliche durchschnittliche Verhalten der Branche bei einer vom Bund angestrebten allgemeinen Zulassung von Gigalinern auf deutschen Straßen übertragen werden. Allerdings wären durch die deutlich größere Länge und das bei Fehlverhalten mögliche höhere Gewicht, die Risiken für andere Verkehrsteilnehmer und die zerstörerischen Belastungen für die Infrastruktur ungleich höher.

Mittlerweile ist nachgewiesen, dass die Straßeninfrastruktur, insbesondere Brücken und der Oberbelag z.B. durch die notwendigerweise viel stärkere Torsion (Drehkraft) beim Anfahren und Abbremsen, noch viel mehr als bisher unter der Masse der 60-Tonner leiden würden. Schon heute ist es so, dass ein 40-Tonner eine vergleichbare Abnutzung der Straße verursacht wie 10.000 PKW.

Trotz Überholverbot für die Gigaliner werden für die übrigen VerkehrsteilnehmerInnen Überholvorgänge unübersichtlicher. Kurven, Kreuzungen und Verkehrskreisel sind mit 25 Metern Länge schwer zu umfahren. Kurz, Gigaliner erhöhen das Unfallrisiko für alle.

Die Unfallstatistik des Straßenverkehrs zeigt: Die Gefahr zu sterben ist doppelt so groß, sobald ein LKW in einen Unfall verwickelt ist. Dabei gilt: Je schwerer das Gewicht der Fahrzeuge, desto gravierender die Unfallfolgen. Ein Monstertruck mit 60 Tonnen besitzt bei 80 km/h fast die gleiche Bewegungsenergie wie ein 40-Tonner mit Tempo 100, sowie den entsprechend langen Bremsweg. An Autobahnen können Leitplanken dem Gewicht nicht standhalten, Planken mit größerem Aufhaltevermögen haben aber größere Unfallfolgen für die PKW-FahrerInnen zur Folge. Dies wird u.a. in einem Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen von 2006 belegt.

Die vorgeschriebenen Pausen für die Gigaliner FahrerInnen sind im bestehenden Raststättensystem nicht realisierbar, weil Langparkplätze nicht vorhanden sind. Gigaliner müssen behelfsweise auf den für überlange Transporte vorbehaltenen wenigen Stellflächen der vorhandenen Rastanlagen ausweichen und würden gerade im Windland Nr. 1, Niedersachsen in direkter Konkurrenz zu den bei uns sehr häufigen Langtransporten für Windanlagen geraten, mit unabsehbaren Rückstaufolgen für den übrigen Straßenverkehr.

Selbst wenn der Fahrer eines Gigaliners es schafft, die Idealfahrlinie einzuhalten, bleibt rechts und links eines Riesen-LKW kein Sicherheitsspielraum mehr. In der Praxis bedeutet dies, dass die vorgesehene Fahrbahn immer wieder verlassen werden muss. Dies ist umso problematischer, wenn wegen eines Staus, um Zeit oder Maut zu sparen oder wegen anderer Umstände die vorgegebene Route nach einer allgemeinen Zulassung von Gigalinern nicht strikt eingehalten wird, und sich Monstertrucks auch auf Schleichwege begeben.  

Gigaliner sind gefährlich, umweltschädlich und teuer. Sie gehören nicht auf Niedersachsens Straßen, auch nicht zum wiederholten Mal probeweise.

Stefan Wenzel
Fraktionsvorsitzender

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