Antrag: Integration in Niedersachsen verbessern

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Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Hannover, den 11.05.05


Entschließung
Der Zuwanderungskompromiss stellt die Migrations- und Integrationspolitik auf eine neue Grundlage. Die langjährige politische Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht wird mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes positiv beantwortet.
Künftig geht es um überzeugende Konzepte, Einwanderung und Integration weltoffen und human zu gestalten.
Integration ist weder ausschließlich Privatsache noch eine vom Staat allein zu bewältigende Aufgabe. Integration beschränkt sich nicht allein auf die Notwendigkeit die deutsche Sprache zu beherrschen. Ziel einer modernen Integrationspolitik ist es, MigrantInnen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Integration ist nur möglich auf der Grundlage der gemeinsamen demokratischen Werte unseres Grundgesetzes.
Der Landtag wolle beschließen:
1. Für die Einbürgerung soll aktiv geworben werden. Anstatt zusätzliche Eide auf das Grundgesetz zu schwören, sollen Migranten im Rahmen eines feierlichen Festakts ihre Einbürgerungsurkunde erhalten.
2. Die Ausländerbeauftragte wird in " Integrationsbeauftragte des Landes Niedersachsen" umbenannt. Damit soll eine Aufgabenerweiterung hin zu einer "Integrationspolitischen Leitstelle" einhergehen. Neben der Pflege des Dialogs und der Verständigung mit den gesellschaftlichen Teilgruppen über die Ziele und Umsetzung der Integrationspolitik des Landes sollen:
 Beschwerden über Diskriminierung landesweit gebündelt werden, bei Diskriminierungen beraten und präventive Arbeit geleistet werden.
 Die Integrationsarbeit in den Kommunen stärker vernetzt und begleitet, Best- Practic Beispiele gesammelt und weiterverbreitet werden.
 In Schulen und anderen Einrichtungen Aufklärungsarbeit betrieben sowie gegen Rassismus und Rechtsradikalisierung präventive Maßnahmen durchgeführt werden.
3. Die Beteiligung und Mitwirkung von MigrantInnen an der Gestaltung von politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen muss auf allen Ebenen gefördert und verbessert werden. Beteiligung, Information und Übertragung von Verantwortung schaffen Motivation und Verbundenheit. Daher sollen verstärkt MigrantInnen im öffentlichen Dienst berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für PädagogInnen und PolizeibeamtInnen mit Migrationshintergrund.
4. Die vorhandenen Ressourcen von MigrantInnen müssen genutzt und ein Netz von Integrationslotsen ausgebildet und eingesetzt werden. Integrationslotsen sollen eine Brückenfunktion zwischen Institutionen und Migrantinnen/ Spätaussiedlern ausüben. Sie sollen Mittler zwischen den Kulturen sein und hier insbesondere im Gesundheits-, Schul- und Jugendhilfebereich durch ihre interkulturelle Kompetenz mithelfen Integrationsdefizite zu beseitigen. Deshalb wird die Landesregierung aufgefordert in Zusammenarbeit mit den Kommunen ein Handlungskonzept "Integrationslotsen" zu entwickeln, in dem als wesentliche Ausbildungsinhalte für die Integrationslotsen
 die Intensivierung der vorhandenen Sprachkenntnisse in Wort und Schrift mit dem Ziel des Erwerb eines "Europäischen Sprachzertifikates Deutsch",
 die Vermittlung wesentlicher Grundlagen in Bezug auf Staatsaufbau, Gemeinwesen, Bildung und Kultur,
 fachspezifische Elemente des Jugendhilfe- und Schulrechts und des Gesundheitsbereichs,
 Informationen über Methoden und Handlungsansätze in der Jugendarbeit,
 Kenntnisse der Mediation und Erweiterung der sozialen Kompetenz
enthalten sind. Einsatz- und Finanzierung für die ausgebildeten Integrationslotsen sollen gemeinsam mit den Kommunen abgestimmt und geschaffen werden, um so die bestehende Modellprojekte zur Ausbildung und zum Einsatz von Integrationslotsen weitestgehend auf das Land auszuweiten.
5. Niedersachsen unterstützt und fördert die Gründung eines muslimischen Dachverbands. Die Landesregierung soll in einen intensiven Dialog mit den muslimischen Gemeinden in Niedersachsen eintreten.
 Die Landesregierung soll in Zusammenarbeit mit muslimischen Glaubenseinrichtungen geeignete Maßnahmen treffen, um in Niedersachsen eine tragfähige Organisationsform zu bilden, die verlässlich und auf dem Boden grundlegender Verfassungsprinzipien einen legitimierten Vertreter für die Muslime in Niedersachsen wählt. Dieser Vertreter soll als Ansprechpartner für die Landesregierung und gesellschaftliche Gruppen fungieren.
 Die Landesregierung soll bei den Gesprächen mit Muslimen die Möglichkeiten zur Einrichtung einer niedersächsischen Hochschulausbildung für Lehrerinnen und Lehrer von muslimischem Religionsunterricht erörtern.
 Es sollen die Voraussetzungen für muslimische Gottesdienste und Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen wie, Krankenhäuser, Strafanstalten und bei der Bundeswehr geschaffen werden.

Begründung
Integrationspolitik muss als Querschnittsaufgabe verstanden werden, die eine aktive Umsetzung in allen Lebensbereichen verlangt. Trotz Integrations- und Handlungskonzepten der vergangnen Jahre zeigt sich immer wieder: Wer Integration fordert, muss sie auch fördern. Das Land Niedersachsen muss in der Lage sein zu erkennen, dass Integration mehr als "nur" Sprachförderung und gesellschaftliche Orientierung ist, sondern eher als gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben von allen verstanden werden muss.
Zu 1.) Rechtsgleichheit und weitgehende Chancengleichheit ergibt sich für MigrantInnen erst mit dem Erwerb der Staatsangehörigkeit. Deshalb ist es notwendig in Niedersachsen lebende MigrantInnen regelmäßig und umfassend über Einbürgerungsvoraussetzungen zu informieren.
Schon jetzt müssen Einbürgerungsbewerber schriftlich ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung abgeben. Sollten eingebürgerte Menschen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik verstoßen, kann die Einbürgerungsurkunde zurückgenommen werden.
Es reicht allerdings nicht aus, nur pathetische Gesten in Form eines zusätzlichen Eides auf die Verfassung von den NeubürgerInnen zu verlangen, die in Deutschland im Zusammenhang mit der Nation nicht üblich sind. Vielmehr sollten auch in Niedersachsen Anleihen an die positiven Praktiken in anderen europäischen Ländern im Zusammenhang mit Einbürgerungen genommen werden und die Überreichung der Einbürgerungsurkunde in Form eines festlichen Aktes erfolgen. Nur so wird auch der patriotische Anteil an der Einbürgerung deutlich und Ausländer erkennen, dass sie erwünscht sind und die Bedeutung des Bekenntnisses zum Grundgesetz gelebt wird. Wichtig muss in erster Linie sein, dass NeubürgerInnen gut vorbereitet sind und sich in Niedersachsen wohl fühlen.
Zu 2.) Die Bezeichnung " Ausländerbeauftragte " ist entsprechend ihres aktuellen und zukünftigen politischen Auftrages weder zeitgemäß noch zutreffend. Adressaten integrationspolitischen Handelns sind nicht nur Nicht-Deutsche, sondern alle Menschen mit Migrationshintergrund, religiöse Gruppen und Organisationen sowie die übrige Bevölkerung. Die Umbenennung des Amtes trägt den veränderten Zielgruppen und Aufgabenbereichen Rechnung, die Integration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert, die sich nicht allein auf ausländische Staatsangehörige bezieht.
Integration wird in vielen gesellschaftlichen Bereichen durch alltägliche und strukturelle Diskriminierung erschwert. Daher stellt sich grundsätzlich die Frage, wie mit Diskriminierung verfahren werde. Diskriminierungsfälle sollen landesweit dokumentiert, ausgewertet und darauf basierend entsprechende präventive und intervenierende Handlungsstrategien entwickelt werden. Indem regelmäßig Bericht erstattet und Konfliktmanagement betrieben wird, werden kostenintensive Auseinandersetzungen, Konfliktverhärtungen und Diskriminierung vermieden bzw. wird diesen angemessen entgegengewirkt.
Ein weiterer wichtiger integrationspolitischer Baustein, der mit der Schließung der niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung entfallen ist, ist das interkulturelle antirassistische und interreligiöse Betätigungsfeld. Für diese Aufgabe ist bei der Integrationsbeauftragten des Landes ein zusätzlicher Arbeitsbereich einzurichten. Die Aufgabe besteht vorrangig in der Durchführung öffentlichkeitswirksamer Maßnahmen. Damit soll ein Beitrag zu Festigung des demokratischen Kernbereichs unserer Gesellschaft geleistet werden. Die Stärkung von Demokratie und gegenseitiger Toleranz und die Bekämpfung von Rechtsextremismus bleiben nach wie vor Aufgabe des Landes Niedersachsen.
Zu 3.) In fast allen Bereichen des öffentlichen Dienstes mit Ausnahme des Pflegebereichs sind EinwanderInnen unterrepräsentiert. Die Ursachen für die geringe Bewerberzahl von MigrantInnen auf Stellen des öffentlichen Dienstes sind vielfältig. Die Vielfalt der Arbeitsplätze ist kaum bekannt, Migranten haben in Deutschland mit staatlichen Institutionen häufig negative Erfahrungen gemacht etc. Durch gezielte Einstellungspolitik kann das Ziel eines öffentlichen Dienstes, der die Realität einer Einwanderungsgesellschaft widerspiegelt erreicht werden.
Zu 4.): Nicht erst die jüngsten Veröffentlichungen der Pisa-Studie haben gezeigt, dass gerade Kinder aus Migrantenfamilien ein erhebliches Defizit im schulischen Bereich haben. Bildung ist ein zentraler Bereich der Integrationspolitik. Vordringliches Ziel muss es daher sein die Bildungssituation für Kinder von Migranten durch gezielte Maßnahmen zu verbessern und strukturelle Benachteiligungen zu beseitigen.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Probleme im schulischen oder familiären Bereich können oft wegen sprachlicher und kultureller Verständigungsschwierigkeiten nicht bearbeitet werden. SozialarbeiterInnen und LehrerInnen fehlt es oft an interkultureller Kompetenz, so dass es ihnen kaum gelingt ausländische Eltern zu erreichen und zu verdeutlichen, welche Erwartungen und Anforderungen Institutionen bzw. die Gesellschaft an sie und ihre Kinder stellt. Gerade die Kinder leiden darunter, dass sie gleichzeitig in verschiedenen Kulturen leben, zwischen denen es häufig keine Kommunikation gibt. Und ihnen meist nur die Einbindung in das familiäre Wertesystem als wichtigste Erziehungsaufgabe vermittelt wird, ohne dass sie eine Erziehung zu Autonomie, Selbständigkeit, Unabhängigkeit und Emanzipation erfahren. Probleme ergeben sich jedoch auch nicht nur allein bei Kindern, sondern häufig auch bei Migranten und Spätaussiedlern, die nicht im Arbeitsleben integriert sind, sodass sie sich zwangsläufig mit der "neuen Kultur" in der sie leben auseinandersetzen müssen. Die Folge davon können Parallelgesellschaften und Desintegration sein.
Dem gegenüber gibt es unter den Migranten und Spätaussiedlern zahlreiche Menschen, die gut qualifiziert, schon integriert und motiviert sind, sich in die Gesellschaft einzubringen, ihre Fähigkeiten zu vermitteln und so durch ihre interkulturellen Kompetenzen mithelfen können Integrationsdefizite zu beheben.
Es kann daher nur im Interesse des Landes Niedersachsen liegen, die vorhanden Reccourcen z.B. in den Migrantenselbsthilfeorganisationen zu nutzen und ein Netz von Integrationslotsen auszubilden und einzusetzen. Aufgabe der Lotsen wäre es, über die verschiedenen Integrationsmaßnahmen des Bundes, der Länder und der Kommunen zu beraten und zu begleiten, Unterstützung zur gesellschaftlichen Orientierung zu bieten, eine Brückenfunktion zwischen Institutionen und MigrantInnen/Spätaussiedler darzustellen und sich so gegenüber Landsleuten als MultiplikatorInnen einzubringen. Zielgruppen sind Neuankömmlinge und Angehörige im Rahmen von Familienzusammenführung (z. B. nachgezogene Ehegatten) Frauen und Mädchen, Alleinerziehende, ältere MigrantInnen, auffällige Jugendliche im Rahmen von Gewaltprävention
Erste Erfahrungen in einem Modellprojekt in Peine haben gezeigt, das die Ausbildung zugewanderter Menschen zu Integrationslotsen nicht nur für die Betreffenden eine Perspektive zur Partizipation bietet, sondern die Integration von Landsleuten fördert.
Zu 5.): Schon lange wird eine Diskussion über das Verhältnis zwischen Staat, Mehrheitsgesellschaft und Muslime geführt, die durch einen Terrorismus belastetet ist, der sich auf den Islam beruft, den aber eine Vielzahl von Muslime ablehnt. Die Auseinandersetzung um Rechte und Pflichten von Muslimen in einer pluralen Gesellschaft darf nicht allein den Gerichten überlassen werden, die von muslimischen Organisationen genutzt werden, um sich ihr Recht auf Gleichbehandlung zu erstreiten (Urteile zum Schächten, zu Kopftüchern an Schulen, zum Sportunterricht für Mädchen). Notwendig ist es daher, eine Organisation zu finden, die "auf Augenhöhe" Positionen über das Verhältnis zueinander regelt. In Österreich steht die "Islamische Glaubensgemeinschaft Österreich" als autorisierte Ansprechpartnerin des Staates in allen religiösen und gesellschaftspolitischen Fragen zur Verfügung. Frankreich, Italien, Spanien und Belgien haben inzwischen islamische Organisationen gefördert, die diese Funktion erfüllen können. Durch einen legitimierten Vertreter kann dieser Dialog mit der Landesregierung oder gesellschaftlichen Gruppen geführt werden. Schon in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass ein Vertretungsorgan der Muslime durchaus möglich ist.
Um die Rolle und Bedeutung der Muslime in und für die Gesamtgesellschaften richtig einschätzen zu können und - vor allem im europäischen Kontext - in die gesellschaftlichen Prozesse integrieren, ist eine fundierte Kenntnis dieser Kultur notwendig. Um solche Kenntnisse zu vermitteln sind Ausbildungsmöglichkeiten für Islam-Lehrer anzubieten.
Häufig haben Muslime, die öffentliche Einrichtungen nutzen, erhebliche Probleme ihren Glaubensvorschriften – wie Gebete, Waschungen etc. – nachzukommen. Hier soll die Landesregierung sich verstärkt für die Schaffung der Voraussetzungen einsetzen.


Fraktionsvorsitzender

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