Antrag: Für ein modernes Datenschutzrecht in Niedersachsen

Der Landtag stellt fest:

Die rasante Entwicklung neuer informationstechnischer Systeme und Angebote stellen den Datenschutz vor erhebliche neue Herausforderungen. Globale Anbieter wie Google mit seiner Dienstleistung Street View oder die neuen digitalen Netzwerke sind politisch schwer zu kontrollieren. Immer wieder kommt es hier zu schweren Datenschutzpannen, wie erst kürzlich die Speicherung von Informationsfragmenten durch Google bei der Erfassung von W-Lan-Netzen. Daneben verstoßen auch öffentliche Behörden gegen das geltende Datenschutzrecht, wenn sie den geforderten Dokumentationszwecken beim Einsatz von Videokameras nicht nachkommen. Umso wichtiger sind effektive und schlagkräftige Datenschutzbehörden, die Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen rasch aufdecken können und Bürgerinnen und Bürger über wirksame Datenschutzmethoden aufklären können. Dazu ist eine angemessene Ausstattung genauso wichtig wie ein modernes verständliches und wirksames Datenschutzrecht.

Der Europäische Gerichtshof hat kürzlich eine vollkommene Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten auch im nicht-öffentlichen Bereich gefordert. Die organisatorische Eingliederung und Fachaufsicht durch das Innenministerium ist damit europarechtswidrig und muss geändert werden. Das geltende niedersächsische Datenschutzrecht hat zudem das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 27.02.2007 (1 BvR 370/07) mit der Begründung eines neuen "Computergrundrechtes" (Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme) noch nicht nachvollzogen. Der niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte hat daher Änderungen im geltenden Datenschutzrecht angemahnt.   

Entschließung

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, das niedersächsische Datenschutzgesetz (NDSG) um folgende Punkte zu ergänzen bzw. zu ändern und dem Landtag vorzulegen:

  1. der Landesdatenschutzbeauftragte agiert zukünftig in völliger Unabhängigkeit auch im nicht-öffentlichen Bereich und ist organisatorisch aus dem Innenministerium auszugliedern,
  2. die Zielbestimmung und Grundstruktur werden nach Maßgabe des Urteils des BverfG für ein neues "Computergrundrecht" nachvollzogen. Die Vertraulichkeit und Integrität der IT, sowie Transparenz und Revisionsfähigkeit der Verfahren müssen gewährleistet werden,  
  3. die behördlichen Datenschutzbeauftragten werden gestärkt. Je nach Größe und Komplexität der Behörde bekommen sie Mindestzeitkontingente für ihre Tätigkeit, 
  4. bei Beteiligung mehrerer Stellen an einer Datenverarbeitung wird die Verantwortlichkeit eindeutig geregelt,
  5. die Eigenverantwortlichkeit verantwortlicher Stellen wird erhöht. Die entsprechenden Stellen müssen eigene Datenschutz- und Datensicherheitskonzepte entwickeln,
  6.  der Arbeitnehmerdatenschutz öffentlicher Bediensteter wird gestärkt, indem die Regelungen des niedersächsischen Beamtengesetzes zum Personaldatenschutz übernommen werden.
  7. Der regelkonforme Einsatz von öffentlichen Videokameras wird sowohl durch den internen, als auch durch den unabhängigen Datenschutzbeauftragten regelmäßig kontrolliert.

Zudem soll geprüft werden, ob der Landesdatenschutzbeauftragte zukünftig ein zertifiziertes Datenschutzaudit sowohl für öffentliche wie für nicht-öffentliche Stellen vergeben kann, um Vertrauen für IT-Angebote und Verfahren in der Bevölkerung zu schaffen.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative zu starten mit folgenden Zielen:

  1. eine Konkretisierung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) mit dem Ziel, die allgemeine Zugänglichkeit von öffentlichen Daten und deren Nutzung dergestalt zu präziseren, dass davon Objekte mit blickschützenden Vorrichtungen nicht erfasst werden,
  2. die Widerspruchsrechte von betroffenen Hauseigentümern und Mietern gegen ungewollte systematische georeferenzierte digitale Abbildungen im weltweiten Datenverbund zu stärken,
  3. die Pflichten zur unverzüglichen Löschung aufgenommener Rohdaten durch Dritte bei eingelegtem Widerspruch zu fordern.    

Begründung

Das Recht über die Kontrolle der eigenen Daten hat Grundrechtsqualität. In mehreren Entscheidungen in jüngster Zeit hat das Bundesverfassungsgericht das Recht und die Notwendigkeit auf effektiven Datenschutz erneut betont. Die verfassungsgerichtliche Lehre vom Kernbereichsschutz besagt beispielsweise, dass es einen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung gibt, in den der Staat nicht eindringen darf. In seinem Urteil zur Zulässigkeit der Onlinedurchsuchung von Computern hat das Gericht das neue "Computergrundrecht" zur Gewährleistung und Integrität informationstechnischer Systeme begründet. In seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung hat das Gericht deutlich strengere technische Sicherungsmaßnahmen für eingriffstiefe Datensätze angemahnt. Die neue Rechtsprechung zeigt letztlich die dynamische und bisweilen stürmische Entwicklung des informationstechnischen Zeitalters an, weil damit Grundrechte neu interpretiert und geschützt werden müssen. Zwar gibt es aufgrund neuer Techniken und informationsgestützter Angebote und Plattformen einerseits ein neues Datenschutzbewusstsein in der Bevölkerung, was unter anderem auch durch Klagen gegen neue staatliche Eingriffsbefugnisse deutlich wird. Andererseits aber stehen Gesellschaft und Politik vor großen Herausforderungen, weil die neuen digitalen Dienstleister und Angebote kaum noch nationalstaatlich zu regulieren sind. Prominentes Beispiel ist der Informationsdienstleister Google, der mit seinen Angeboten bei der Bevölkerung nicht nur auf Wohlwollen trifft, sondern auch Ängste und Unsicherheiten schürt. Umso wichtiger sind daher ein moderner und effektiver Datenschutz. Zentral ist hierfür eine unabhängige und weisungsfreie Behörde, wie es das EU-Recht fordert. Die niedersächsische Datenschutzbehörde ist daher vollkommen aus dem Organisationsgefüge des Innenministeriums zu lösen und als ausschließlich selbstverantwortliche Behörde zu strukturieren.

Die Landesdatenschutzbehörden brauchen neben einer umfassenden Eigenverantwortlichkeit  eine angemessenen Ausstattung und ein praxisnahes und durchsetzungsfähiges Datenschutzrecht. Das geltende Landesdatenschutzrecht wird den neuen Entwicklungen nicht mehr gerecht. Der Landesdatenschutzbeauftragte hat daher Änderungen angemahnt, die der Antrag aufnimmt. So muss das Datenschutzrecht "internetkompatibel" werden und neue technische Entwicklungen aufnehmen. 

Die behördlichen Datenschutzbeauftragten sollen gestärkt werden, indem sie für ihre Arbeit freie Zeitkontingente erhalten. Bisher sind sie zu stark vom Willen des Vorgesetzten abhängig, um effektiven Datenschutz zu gewährleisten. Zudem sollen Behörden zukünftig eigene Datenschutzkonzepte erarbeiten, um damit die Eigenverantwortlichkeit zu stärken.

Die Landesregierung wird zudem aufgefordert sich einer Bundesratsinitiative des Stadtstaates Hamburg anzuschließen, um stärkere Verbraucherschutzrechte gegen das Angebot von Google Street View  durchzusetzen. Dafür bedarf es einer Änderung des geltenden Bundesdatenschutzgesetzes, damit die betroffenen Bürger und Bürgerinnen eine stärkere Rechtsposition gegen unerwünschte Aufnahmen ihres Besitzes haben.

Fraktionsvorsitzender

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