Antrag: Flächendeckende Geburtshilfe in Niedersachsen nachhaltig sichern und Arbeit der Hebammen endlich würdigen

Fraktion SPD

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Hannover, den 18. März 2014

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

In den vergangenen Jahren sind immer mehr Hebammen aus dem Beruf und insbesondere aus der Geburtshilfe ausgestiegen, da u. a. die Haftpflichtprämien überproportional stark gestiegen sind. Diese Kostenexplosion ist auch durch erhöhte Honorare für die Hebammen nicht mehr bezahlbar. So kommt es, dass sich die Einkommenssituation der Hebammen stetig verschlechtert und der Beruf immer unattraktiver wird. Nach der Ankündigung der Nürnberger Versicherung vom 15. Februar 2014, sich zum 1. Juli 2015 aus dem Haftpflichtgeschäft mit Hebammen zurückzuziehen, gibt es darüber hinaus für freiberuflich tätige Hebammen in Deutschland zukünftig keine Haftpflichtversicherung mehr. Hebammen sind jedoch gesetzlich verpflichtet, ihre Berufstätigkeit durch eine Berufshaftpflichtversicherung abzusichern. Dies würde das Aus für die Versorgung der Bevölkerung mit freiberuflichen Hebammenleistungen, insbesondere mit der Geburtshilfe, bedeuten.

Der Landtag begrüßt in diesem Zusammenhang,

  • die Einrichtung der interministeriellen Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesgesundheitsministeriums, die umfassende Lösungsansätze zur Hebammenversorgung erarbeitet.
  • den von Niedersachsen unterstützten Beschluss des Bundesrates auf der Grundlage der Initiative des Landes Schleswig-Holstein.

Der Landtag unterstützt darüber hinaus die Forderungen des Deutschen Hebammenverbandes e.V. und fordert die Landesregierung auf:

  1. sich auf Bundesebene für die Überprüfung folgender Punkte einzusetzen,
    1. in wieweit ein aus Bundesmitteln steuerfinanzierter Haftungsfonds eingerichtet werden kann, durch den die über die Haftungshöchstgrenzen hinausgehenden Schäden bezahlt werden können.

    2. in wieweit die Berufshaftpflicht für die Geburtshilfe in die gesetzliche Unfallversicherung überführt werden kann,

  2. daran mitzuwirken, dass der Beruf der Hebamme durch eine nachhaltig ausreichende Einkommenssicherung wieder attraktiv für Berufseinsteigerinnen gemacht wird und insbesondere bei den Verhandlungspartnern auf Bundesebene auf eine Anhebung der Vergütung  hinzuwirken, die die geplante zweistufige Erhöhung der Vergütungssätze für Hebammen berücksichtigt, welche vor der Änderung der Versorgung der Hebammenhilfe im Jahr 2007 (Änderung des § 134a SGB V) vom Bundesgesundheitsministerium zugesichert wurde.
  3. umgehend den Landtag über die Lösungsansätze der interministeriellen Arbeitsgruppe zu informieren und eine zügige Umsetzung geeigneter Lösungen durch den Bund unter Beteiligung der Länder zu unterstützen.
  4. die geburtshilfliche Versorgung im ländlichen Bereich zum Thema für innovative Ansätze beim Aufbau weiterer Gesundheitsregionen zu machen.
  5. sich für die Sicherung der Zukunft der rund 250 Familienhebammen in Niedersachsen einzusetzen und weiterhin an dem Ziel des flächendeckenden Einsatzes von Familienhebammen festzuhalten.

Begründung

Seit 2010 spitzt sich die Situation für die flächendeckende Geburtshilfe in Niedersachsen zu: Der massive Anstieg der Haftpflichtprämien einerseits und der ungenügende Ausgleich über die Vergütung der Leistungen andererseits lassen die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen bei den freiberuflichen Hebammen dramatisch auseinander gehen. Die Haftpflichtprämie für Geburtshilfe hat sich seit 1981 trotz gleichbleibender Schadenszahlen um 1560 Prozent verteuert. Mit einem durchschnittlichen Stundennettolohn von 8,50 Euro bei ständiger Bereitschaft erzielen Hebammen ein Brutto-Jahreseinkommen von rund 24.000 Euro. Davon haben sie allein für die Haftpflicht jährlich rund 5.000 Euro zu bezahlen. Die diametrale Entwicklung von Ausgaben und Einnahmen führt dazu, dass immer mehr Hebammen in Niedersachsen ihren Beruf aufgeben müssen und dass mittlerweile in manchen Gebieten schon heute keine flächendeckende Versorgung nicht nur bei der Geburtshilfe, sondern auch bei der Vor- und Nachsorge besteht. Die Situation der freiberuflichen Hebammen ist dramatisch, die die Versorgung gerade auch in ländlichen Gebieten sicherstellen: Im Jahr 2007 haben in Niedersachsen noch 96 Hebammen Hausgeburten angeboten und arbeiteten 244 Beleghebammen und 849 boten Vor- und Nachsorge ohne Geburtshilfe an – davon hatten 315 Hebammen Angestellte. Ende 2013 übernahmen nur noch 30 Hebammen Hausgeburten, gab es nur noch 68 Beleghebammen und 754 Hebammen, die keine Geburtshilfe anboten – davon beschäftigten nur noch 118 Hebammen Mitarbeiter_innen. Der Hebammenverband aus Niedersachsen berichtet außerdem davon, dass immer weniger Berufseinsteigerinnen sich für den Beruf der Hebamme entscheiden. War die Nachfragen vor ein paar Jahren noch größer als das Angebot, bleiben Ausbildungsplätze mittlerweile unbesetzt.

Der Fortbestand des Projektes der Familienhebammen in Niedersachsen hängt von dem Fortbestand der freiberuflichen Hebammen ab. Sollte die Grundversorgung in Niedersachsen zusammenbrechen, wird es auch das Zusatzangebot der Familienhebammen nicht mehr geben können. Familienhebammen sind weitergebildete Hebammen, die neben dem klassischen Geschäft die besondere Unterstützung für gefährdete Familien anbieten.

Der Anstieg der Haftpflicht in diesem Sommer um erneut 20 Prozent und die Ankündigung der Nürnberger Versicherung aus dem letzten bestehenden Konsortium, das überhaupt noch Hebammen versichert, im Juli 2015 auszusteigen, lässt die ohnehin seit Jahren angespannte Lage eskalieren. Die Hebammen selbst sprechen von einem Berufsverbot, sollte durch den Ausstieg der Nürnberger Versicherung die letzte Möglichkeit der Haftpflicht sich zerschlagen.

Seit vielen Jahren bemühen sich Akteure immer wieder um Lösungen, einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden und die Geburtshilfe sowie die Vor- und Nachsorge nachhaltig zu sichern und den Berufsstand der Hebammen zu stärken. Bislang leider ohne durchschlagenden Erfolg. Die vereinzelten Erhöhungen einzelner Leistungen, die die Krankenkassen den Hebammen zugestehen, decken sich in keiner Weise mit den massiv gestiegenen Kosten durch die Haftpflicht. Gleichwohl ist es zu begrüßen, dass sich seit rund einem Jahr eine interministerielle Arbeitsgruppe die Probleme rund um die Geburtshilfe sowie die Vor- und Nachsorgen anschaut und aktuell dabei ist, Lösungen zu erarbeiten und vorzuschlagen. Der Ausstieg der Nürnberger Versicherung macht gleichzeitig deutlich, dass keine Zeit mehr zu verlieren ist und schnell faktische Lösungen gefunden werden müssen. Die Bundesratsinitiative aus Schleswig-Holstein, der sich weitere Länder angeschlossen haben, spiegelt die Dringlichkeit, rasch eine tatsächliche Lösung herbeizuführen, wider. 

Gesundheitsexperten halten die Überführung der Haftpflicht für die Geburtshilfe in die gesetzliche Unfallversicherung für die sinnvollste und nachhaltigste Lösung da nicht nur die Hebammen, sondern alle Heilberufe langfristig ein Versicherungsproblem bekommen werden und das Problem der Berufshaftpflicht im Gesundheitswesen grundsätzlich angegangen werden muss.

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