Antrag: Fahrgastrechte verankern - Kundencharta auch im Nahverkehr

...

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Hannover, den 18. Januar 2005

Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Bahn- und Buskunden des Fern- und Nahverkehrs besitzen gegenüber Verkehrsunternehmen nicht ausreichend gesetzlich verankerte Verbraucherrechte. Bei Fahrtausfällen oder Verspätungen sind Fahrgäste auf die Kulanz der Unternehmen angewiesen, wenn sie Kosten erstattet bekommen wollen. Am 1. Oktober 2004 führte die Deutsche Bahn (DB) zwar eine rechtsverbindliche Kundencharta für den Fernverkehr ein, doch die Selbstverpflichtungen genügen nicht. Laut Charta erstattet die DB seit Oktober 20 Prozent des Fahrpreises nach mindestens 60 Minuten Verspätung in Form eines Gutscheins, der ausschließlich am Schalter und bei Barzahlung eingesetzt werden kann. Der Service für die meisten Fahrgäste hat sich gegenüber den unverbindlichen Regelungen bis zum 30. September sogar noch verschlechtert und ist äußerst bürokratisch und zeitaufwändig. Die Kundencharta schließt den Nahverkehr vollständig aus. Daher sind weiter gehende Regelungen vor allem auch auf Landesebene notwendig.
Wir fordern die Landesregierung auf
1. sich im Bundesrat für die Ziele des Gesetzentwurfs zur Stärkung der Fahrgastrechte des Landtags Nordrhein-Westfalen (NRW) einzusetzen, um die Verbraucherrechte der Bahn- und Buskunden im Fern- und Nahverkehr nach dem Vorbild anderer europäischer Länder wie den Niederlanden, Schweiz und Großbritannien kundenfreundlicher zu gestalten und gesetzlich zu regeln.
2. gemeinsam mit den Verkehrsverbünden und –unternehmen in Niedersachsen eine Kundencharta für den Nahverkehr zu erarbeiten und rechtlich zu verankern. Durch Ergänzung des Verkehrsvertrags soll es zu einer landesweit einheitlichen Regelung kommen.
3. zusammen mit den niedersächsischen Verkehrsverbünden und –unternehmen nach dem Vorbild aus NRW auch in Niedersachsen eine Schlichtungsstelle Mobilität für Bus- und Bahnkunden einzurichten.
Begründung
In vielen europäischen Ländern besitzt der Fahrgast mehr Verbraucherrechte als in Deutschland. Im französischen TGV wird beispielsweise ab einer halben Stunde Verspätung ein Drittel des Fahrpreises erstattet. Bei den Niederländern gibt es die Hälfte, bei einer Stunde sogar den gesamten Fahrpreis in bar. In Großbritannien und in der Schweiz sind die Fahrgastrechte per Gesetz geregelt. Bei Verspätungen ab 60 Minuten erhält der Fahrgast in Großbritannien laut Gesetz eine Erstattung in Höhe von 20 Prozent. Die meisten britischen Eisenbahnunternehmen gehen aber darüber hinaus und zahlen dem Fahrgast eine Entschädigung von 50 Prozent, ein Unternehmen gewährt sogar 100 Prozent. Deutschland sollte sich an seinen Nachbarn orientieren und bei den Fahrgastrechten nicht das Schlusslicht bilden.
Verbraucherschützer und Fahrgastverbände kritisieren die seit Oktober 2004 gültige Kundencharta der DB. Nach mindestens 60 Minuten Verspätung stehen dem Fahrgast zwar 20 Prozent des Fahrpreises zu. Um den Gutschein zu erhalten und dann wieder einzulösen, muss der Fahrgast in erheblichem Maß Zeit investieren.
Besonders benachteiligt sind Zeitkartenkunden und Bahncard-100-Besitzer, deren Geld für das Abonnement von ihren Konten abgebucht wird. Diese Gruppe kann ihre Gutscheine gar nicht einlösen, weil sie nur bei Barzahlung verrechnet werden können. Europäische Nachbarländer haben die Erstattung auf andere Weise gelöst: Beispielsweise können Zeitkartenfahrgäste in den Niederlanden Online-Formulare im Internet ausfüllen und bekommen anschließend Geld überwiesen oder ausgezahlt.
Laut Kundencharta schließt die DB generell aus, bei Fremdeinwirkung dem Fahrgast Kosten zu erstatten. Die umfassenden und großzügig gefassten Ausschlusskriterien der Charta müssen überprüft werden. Weil zumindest der Schienenpersonenfernverkehr eigenwirtschaftlich betrieben wird, ist zu untersuchen, ob gegenüber einem Wirtschaftsunternehmen im Bereich Verkehr das allgemeine zivilrechtliche Haftungssystem des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) genauso gilt wie gegenüber Unternehmen in anderen Wirtschaftsbereichen. Beispiel Einzelhandel: Wenn ein Kunde in einem Elektrogeschäft eine defekte Waschmaschine kauft, dann hat der Kunde beim Händler Anspruch auf Reparatur oder Ersatz.
Die Kundencharta der DB für den Fernverkehr und die neue Bundesschlichtungsstelle Mobilität des Bundesverbraucherministeriums, ebenfalls für Kunden des Fernverkehrs, sind Schritte in die richtige Richtung. Trotzdem ist der Verbraucherschutz für Bus- und Bahnkunden noch lange nicht am Ziel angelangt. Es ist notwendig die Ansprüche der Kunden bei Fahrtausfällen oder Verspätungen nicht nur rechtsverbindlich, sondern gesetzlich zu sichern. Und dabei ist insbesondere der bislang vernachlässigte Nahverkehr mit einzubeziehen. Ziel sollte es sein, einen gerechten Ausgleich zwischen Verbraucherschutzinteressen einerseits und Unternehmerinteressen andererseits zu schaffen.
Gerade die treuen und gut zahlenden Pendler im Nahverkehr fühlen sich von der DB oftmals im Stich gelassen. Obwohl der Nahverkehr die größte und beständigste Einnahmequelle der DB ist, fiel die Erhöhung der Fahrpreise mit durchschnittlich 3,6 Prozent im vergangenen Dezember besonders hoch aus. Dennoch fehlen rechtsverbindliche oder gar gesetzliche Rechte, die Kunden gegenüber den Verkehrsunternehmen geltend machen können. Dies sollte das Land in Kooperation mit den Verkehrsverbänden und –unternehmen in einem abgestimmten Verfahren korrigieren.
Auch in Niedersachsen muss eine Schlichtungsstelle Nahverkehr ähnlich wie in NRW ins Leben gerufen werden, die sich als Anwalt der Fahrgäste versteht. Seit ihrer Eröffnung vor drei Jahren bearbeiteten Mitarbeiter der Schlichtungsstelle in NRW mehr als 7.600 Verbraucheranliegen. Allein in 2003 haben sich rund 4.100 Bus- und Bahnkunden in NRW an die Schlichtungsstelle gewandt – ein Zuwachs von 160 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Resonanz verdeutlicht beispielhaft, dass es Qualitätsdefizite im Nahverkehr gibt und dass Fahrkunden Schlichtungsstellen als Möglichkeit wahrnehmen, auf Mängel im Nahverkehr hinzuweisen und Entschädigungen einzufordern.


Fraktionsvorsitzender

Zurück zum Pressearchiv