Antrag: Fachkräftemangel entgegentreten - Tarifabschluss wirkungsgleich umsetzen - Sonderzahlung im öffentlichen Dienst wieder einführen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der niedersächsische Landtag fordert die Landesregierung auf, Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig zur Besoldung von Beamtinnen und Beamten des Landes zu ziehen und:

  1. Künftig eine Sonderzahlung für Anwärter in Höhe von 400 €, für Beschäftigte mit Besoldung bis A8 in Höhe von 1.500 €, für Beschäftigte mit Besoldung in Höhe von A9 bis A11 in Höhe von 800 €, für Beschäftigte mit Besoldung in Höhe von A 12 bis A13 in Höhe von 600 € und für Beschäftigte mit Besoldung in Höhe von A 14, A15, W1, C2 und R1 in Höhe von 400 € jährlich zu zahlen,
  2. das Tarifergebnis aus den Tarifverhandlungen vom 2.3.2019 zwischen den Gewerkschaften und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder zeit- und wirkungsgleich mit den jeweiligen Mindesterhöhungen auf die Beamtinnen und Beamten zu übertragen,
  3. zu prüfen und dem Landtag zu berichten, in welchen Berufsgruppen die zeitnahe und qualifizierte Besetzung von Stellen häufiger an einer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der Besoldungsstruktur scheitert oder schwierig ist.

Begründung

1. Die Nachfrage am Arbeitsmarkt hat einige eklatante Schwächen im mittelbaren und unmittelbaren Besoldungssystem der öffentlichen Hand offenbart. In besonders nachgefragten Berufen ist eine Besetzung von Stellen derzeit nur verspätet oder unter großen Schwierigkeiten möglich, teilweise auch gar nicht. Das führt zu verstärkter Arbeitsverdichtung, zu Fluktuation, in einigen Bereichen zur Abwanderung von qualifizierten Kräften in den Privatsektor, zur Demotivation von Beschäftigten, die Personallücken ausgleichen müssen und auch zur Heranziehung von Dienstleistern, die ihrerseits die gewünschte Leistung nur zu deutlich erhöhten Kosten erbringen. Teilweise können Leistungen gar nicht erbracht werden.

Zudem muss die öffentliche Hand permanent Sorge tragen sehr gut qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den öffentlichen Dienst zu gewinnen. Aufgrund dieser Situation müssen erkannte Schwächen im Besoldungssystem konsequent angegangen werden. Gemeinsam mit den gewerkschaftlichen Vertretungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen adäquate Lösungen zeitnah gefunden werden. Auch vom SPD-Parteitag in Bad Fallingbostel und der SPD-Landtagsfraktion kamen bereits Forderungen zur Wiedereinführung eines Weihnachtsgeldes, wurden aber im Landtag bislang nicht aufgegriffen. (HAZ, 19.4.18, NP, NDR 13.3.19)

2. Die Landesregierung schreibt in der Begründung zum Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes über die Anpassung der Besoldung und der Versorgungsbezüge in den Jahren 2019 bis 2021 sowie zur Änderung besoldungs- und versorgungsrechtlicher Vorschriften (Drs. 18/3763), dass die vorgesehene Bezügeanpassung den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung trägt. Daran bestehen Zweifel, die der Gesetzentwurf nicht ausräumen kann. Zur Rechtslage siehe auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig zu zwei niedersächsischen Fällen unter dem Aktenzeichen BVerwG 2C 32.17 und 2C 34.17. Die Richter legten beide Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vor.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 5. Mai 2015 - 2 BvL 17/09 u. a. - sowie Beschluss vom 17. November 2015 - 2 BvL 19/09 u. a. (für Niedersachsen = 2 BvL 20/14) - Kriterien zur Wahrung der aus Artikel 33 Abs. 5 des Grundgesetzes resultierenden Pflicht zur amtsangemessenen Alimentierung der Beamten- und Richterschaft aufgestellt. Die Prüfung der Besoldungshöhe im Hinblick auf die Einhaltung des Alimentationsprinzips erfolgt als Gesamtschau in Form eines dreistufigen Schemas, anhand dessen die Entwicklung der Besoldung mit der Entwicklung statistisch nachvollziehbarer volkswirtschaftlicher Parameter verglichen wird (Urteil vom 5. Mai 2015, Rn. 97 ff.). Insoweit wurde erstmals höchstrichterlich ein konkretisierter Orientierungsrahmen für eine grundsätzlich verfassungsgemäße Ausgestaltung der Alimentationsstruktur und des Alimentationsniveaus geschaffen.

Entsprechend dem Prüfschema sind auf der 1. Prüfungsstufe der Besoldungsentwicklung vergleichsweise fünf Parameter gegenüberzustellen. Es handelt sich dabei um: Die Entwicklung der Tarifeinkommen im öffentlichen Dienst, den landesspezifischen Nominallohnindex, den landesspezifischen Verbraucherpreisindex, einen systeminternen Besoldungsvergleich und einen Quervergleich mit der Besoldung des Bundes und der anderen Länder. Für den Vergleich hat das Gericht Kriterien vorgegeben.

Nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts besteht die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation, wenn die Mehrheit dieser fünf Parameter - also mindestens drei - auf der 1. Prüfungsstufe nicht eingehalten wird. Diese Vermutung kann auf der 2. Prüfungsstufe durch die Berücksichtigung weiterer alimentationsrelevanter Kriterien im Rahmen einer Gesamtabwägung widerlegt oder erhärtet werden. Ergibt diese Gesamtschau, dass die als unzureichend angegriffene Alimentation grundsätzlich als verfassungswidrige Unteralimentation einzustufen ist, bedarf es auf der 3. Prüfungsstufe der Prüfung, ob dies im Ausnahmefall verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann. Zudem hat das Gericht prozedurale Vorgaben gemacht.

3. Die Dienst- und Versorgungsbezüge sind zuletzt mit Wirkung vom 1. Juni 2018 durch das Gesetz zur Neuregelung des Besoldungsrechts, zur Anpassung der Besoldung und der Versorgungsbezüge in den Jahren 2017 und 2018 sowie zur Änderung anderer dienstrechtlicher Vorschriften vom 20. Dezember 2016 (Nds. GVBl. S. 308; 2017 S. 64) erhöht worden. Ergänzend ist im Rahmen des Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 21. September 2017 (Nds. GVBl. S. 287) geregelt worden, dass die Erhöhung der Grundgehaltssätze zum 1. Juni 2017 mindestens im Umfang von monatlich 75 Euro erfolgt.

Die Landesregierung schreibt in der Drs 18/3763, dass mit der Anpassung der Besoldung 2019 ff das Gesamtvolumen der jüngst vereinbarten Tarifeinigung für die Beschäftigten der Länder wirkungsgleich auf die Beamtenschaft übertragen werde. Das ist nicht richtig. Zum einen erfolgt die Umsetzung zeitversetzt, zum anderen erfolgt nur für das erste Jahr eine Übernahme der Mindesterhöhungen. Das wirkt sich insbesondere negativ auf die unteren Besoldungsgruppen aus. Die Begründung der Landesregierung für die Nichtübernahme der Mindesterhöhungen im Jahr 2020 und 2012 ist nicht tragfähig. Als Argument wird das Abstandsgebot herangezogen. Dabei wird jedoch verkannt, dass die wiederholte Anwendung von prozentualen Erhöhungen den absoluten Abstand zwischen den Besoldungsgruppen regelmäßig erhöht. Die Frage der absoluten Untergrenze der Besoldung und die Frage einer unwesentlich über dem sozialrechtlichen Grundsicherungsniveaus liegenden Besoldung würde aufgrund des Vorlagebeschlusses der Bundesverwaltungsgerichts auch beim Bundesverfassungsgericht eine Rolle spielen, wenn keine weitergehenden Maßnahmen erfolgen.

4. In Petitionen, die beim Landtag zu praktischen Fällen anhängig sind, wird auf Situationen Bezug genommen, die nach Auffassung der Betroffenen zu unbilligen Härten führen, weil sie als Beamte in der Gesetzlichen Krankenversicherung den vollen Beitragssatz für freiwillig Versicherte allein zahlen müssen und nur marginal auf Beihilfeleistungen zugreifen können. Dabei zeichnen sich vor allem drei Argumente ab: 1. Personen, die eine gesundheitliche Vorbelastung haben oder schwerbehindert sind wird bei privaten Krankenkassen ein Risiko-Aufschlag von bis zu 100% der Beiträge abverlangt. 2. Personen, die eine gesundheitliche Vorbelastung haben oder schwerbehindert sind wird bei privaten Krankenkassen teilweise ein Beitritt komplett verweigert. 3. Personen, die erst im späteren Verlauf ihres Berufslebens verbeamtet werden, wird bei privaten Krankenkassen ein deutlich höherer Beitrag mit individueller Aufrechnung von Altersrückstellungen abverlangt.

Diese Praxis führt dazu, dass Beamte faktisch dazu angehalten werden sich privat zu versichern. Zudem führt diese Praxis zu einer systematischen Benachteiligung von Menschen mit Vorerkrankungen oder mit Behinderung und zu unbilligen Härten für ältere Beamte. Das Ministerium führt an, dass § 152 (1) Versicherungsaufsichtsgesetz den privaten Versicherungen vorschreibe Basistarife anzubieten. In der Praxis werden die Basistarife offenbar mit Risiko-Aufschlägen, unzulässigen Aufnahmeverweigerungen und Anrechnung von individuellen Alterszuschlägen unterlaufen. Paragraph 257 (2), (3) in Verbindung mit § 5 und § 9 SGB V lässt zudem nicht erkennen, dass der Gesetzgeber eine faktische Pflichtversicherung von Beamten bei privaten Krankenkassen gewollt hat. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die geltende Praxis zu einer systematischen Benachteiligung von Beamten mit Vorerkrankungen, Beamten mit Behinderungen oder Beamten im Ruhestand und damit zu einer Verletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers führt. Gerade in den unteren Besoldungsgruppen stellt sich daher auch hier die Frage, der absoluten Untergrenze der Besoldung und die Frage einer möglicherweise unwesentlich über dem sozialrechtlichen Grundsicherungsniveaus liegenden Besoldung, die in dem Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts beim Bundesverfassungsgericht von Bedeutung ist.

5. Vor dem Hintergrund der o.g. Argumente ist die Wiederaufnahme einer gestaffelten Sonderzahlung für die unteren Besoldungsgruppen angemessen und notwendig. Darüber hinaus bedarf die gesamte Besoldungsstruktur einer weitergehenden Überprüfung um verfassungsrechtlichen Anforderungen für alle Beschäftigen grundsätzlich genauso gerecht werden zu können, wie den Anforderungen eines wettbewerbsfähigen und wertschätzenden öffentlichen Dienstes.

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