Antrag: Europäische Stahlindustrie - vor unlauterem Wettbewerb schützen und für faire Handelsbedingungen im internationalen Stahlmarkt sorgen!

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Wir beobachten dramatische Verwerfungen auf den internationalen Stahlmärkten. Hintergrund sind massive Überkapazitäten vor allem in China. Wegen des dort unerwartet stark geschrumpften Wirtschaftswachstums exportieren chinesische Produzenten dank staatlicher Subventionen zu Niedrigstpreisen in ungekanntem Maße. China verlagert sein Strukturproblem von rund 400 Mio. t Rohstahl-Überkapazität in die anderen Stahlregionen der Welt.

Trotz rasant steigender Verluste vieler chinesischer Stahlunternehmen erreichten die chinesischen Stahlexporte - gegen jede Marktlogik - im September 2015 ein Jahresrekordniveau von über 130 Millionen Tonnen (hochgerechnet auf Jahresniveau). Zum Vergleich: Die Nachfrage in der Europäischen Union beläuft sich aktuell auf rund 150 Millionen Tonnen pro Jahr.

Der ohnehin fragile Aufwärtstrend im europäischen Markt ist durch den Importdruck abrupt beendet worden. Die meisten Stahlunternehmen erwarten zusehends Verluste. Sie sind gezwungen, Marktanteile abzugeben oder sich am zerstörerischen Preiskampf zu beteiligen.

Selbst die wettbewerbsstarke, produktive Stahlindustrie in Deutschland kann sich den Auswirkungen dieses mit unlauteren Mitteln ausgetragenen Wettbewerbs der chinesischen Konkurrenz nicht entziehen. Sollten sich die ruinösen Marktverzerrungen nicht kurzfristig korrigieren lassen, drohen europaweit ähnliche Konsequenzen, wie sie gegenwärtig die britische Stahlindustrie erlebt. Dort stehen umfangreiche Stilllegungen an, die mit einem Verlust von insgesamt etwa 6.000 Beschäftigten einhergehen werden.

Der Landtag stellt fest:

  • Seit dem Jahr 2004 wird in der Europäischen Union kein Einfuhrzoll mehr auf Stahlimporte erhoben. Frei von tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnissen ist der EU-Stahlmarkt der weltweit offenste für Importe aus Drittstaaten.
  • Zahlreiche Weltregionen reagieren auf das Exportwachstums China mit protektionistischen Maßnahmen wie Zertifizieriungspflichten, „Buy National“ Klauseln oder sogar Schutzklauselverfahren. Gleichzeitig wird versucht, durch absatzfördernde Maßnahmen oder Exportverbote für Rohstoffe der heimischen Industrie Vorteile zu verschaffen. In Folge werden zusätzlich Importe in die wenigen offenen Märkte umgeleitet.
  • Der Landtag wendet sich nicht gegen Importe an sich. Der Landtag erkennt an, dass faire Handelsbedingungen die Voraussetzung für freien Handel sind und sieht Protektionismus in vielen Fällen kritisch. Der Wettbewerb muss WTO-konform ausgetragen werden, da selbst die wettbewerbsstärksten Unternehmen auf Dauer nicht gegen Anbieter konkurrieren können, die mit staatlicher Unterstützung und wider marktwirtschaftliche Prinzipien operieren können.
  • Die OECD hat auf ihrer jüngsten Stahlausschuss-Sitzung Ende November 2015 festgestellt, dass allein Europa und Japan in den letzten drei Jahren auf die sinkende Stahlnachfrage mit dem Abbau von Kapazitäten reagiert haben. In Niedersachsen ist bspw. die Elektrostahl-Kapazität am Standort Peine halbiert worden. Die Belegschaft musste in Folge um 350 Mitarbeiter reduziert werden.
  • In China sind hingegen im selben Zeitraum trotz einbrechender Nachfrage die Kapazitäten mit staatlicher Hilfe um 60 Millionen Tonnen weiter ausgebaut worden. Ein Ende des Kapazitätsaufbaus sagen die Stahlexperten erst für 2017 ff. voraus. Selbst der chinesische Stahlverband CISA geht inzwischen davon aus, dass es noch mehr als zehn Jahre dauern wird, die Überkapazitäten auf ein halbwegs verträgliches Niveau zu reduzieren.
  • Abwehrmöglichkeiten gegen unfaire Einfuhren bietet in Europa allein das EU-Handelsrecht. Das gesetzlich verankerte Instrumentarium ist jedoch im Vergleich zu anderen Weltregionen deutlich ineffizienter und schwerfälliger. Erst bei Nachweis einer erheblichen Schädigung über mindestens ein Jahr werden Klageverfahren von den EU-Behörden überhaupt akzeptiert. So dauert es in Europa mehr als 20 Monate, bis die heimische Industrie einen adäquaten Schutz vor unfairen Importen erhält; mehr als doppelt so lange wie zum Beispiel in den USA.
  • Der Landtag erkennt die erhöhte Aufmerksamkeit der EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich des EU-Stahlmarktes an, die in der Einberufung eines Sonder-Wettbewerbsfähigkeit-Rats am 9. November 2015 zur Lage der Stahlindustrie und in der Aussprache zur Stahlindustrie auf dem Rat für Auswärtige Angelegenheit am 27.November 2015 deutlich wird.
  • Der Landtag erkennt das kontinuierliche Bestreben des Europäischen Parlamentes an, das in mehreren Entschließungen, die jüngste vom 16.12.2015, eine entschlossene Politik zum Schutz und zur Entwicklung einer nachhaltigen Stahlindustrie in Europa gefordert hat.
  • Das aktuelle EU-Handelsschutzrecht geht auf das Jahr 1995 zurück. Seitdem haben sich die EU-Handelsbeziehungen mit Drittländern wesentlich geändert. Der Landtag stell fest, dass die notwendige Reform der Handelsschutzinstrumente in der EU noch nicht erfolgt ist, da der Gesetzgebungsvorschlag zur Modernisierung der handelspolitischen Schutzinstrumente bei der Beratung im Ministerrat der EU zum Stillstand gekommen ist, während das Europäische Parlament sich entschieden für strengere Maßnahmen gegen unlautere Einfuhren aus Drittländern eingesetzt hat und seine Haltung zur Gesetzgebung in der ersten Lesung bereits am 5 Februar 2014 beschlossen;
  • Der Landtag begrüßt die Absicht der Landesregierung Arbeitgeber, Gewerkschaften und Verbände kurzfristig zu einem Stahlgipfel einzuladen. Zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen im Stahlmarkt ist eine enge Abstimmung zwischen Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Politik notwendig.
  • Vor dem Hintergrund dieser außenhandelspolitischen Entwicklungen erhalten die energie- und klimapolitischen Entscheidungen noch größere Bedeutung. Der Landtag begrüßt daher das Positionspapier der Landesregierung zur Neugestaltung des Emissionshandels ab 2021, das im Dialog mit niedersächsischen Unternehmen entwickelt wurde. So sollte in der vierten Emissionshandelsperiode  auf ein fixes Aufteilungsverhältnis zwischen Zuteilungs- und Versteigerungsmenge verzichtet werden. Vielmehr sollten exakt so viele Zertifikate für eine kostenfreie Zuteilung zur Verfügung stehen, wie die effizientesten Unternehmen benötigen, bei denen eine Carbon-Leakage-Gefahr besteht. Grundlage dafür sollten ambitionierte, zugleich jedoch technisch und wirtschaftlich im industriellen Maßstab erreichbare Benchmarks sein.

Vor diesem Hintergrund bittet der Landtag die Landesregierung:

  • Die Bundesregierung aufzufordern, sich bei der EU Kommission für den Erhalt einer starken Grundstoffindustrie als wichtigstes Element der industriellen Wertschöpfungsketten einzusetzen.
  • Dazu gehören auch eine konsequente Nutzung der handelspolitischen Schutzinstrumente und ihre beschleunigte Anwendung durch die Behörden. Die Bundesregierung muss sich deshalb gegenüber der EU Kommission stark machen für:
    • Frühere Einführung von Registrierungspflichten für Importe
    • Deutlich schnellere Entscheidung zu provisorischen Zöllen
    • Proaktives Handeln der Kommission bei Untersuchungen
    • Verkürzung der Fristen zur Einreichung von Handelsklagen zwischen Staaten bzw. Handelszonen bei Verstößen gegen einen fairen Wettbewerb
      „Foulspiele im internationalen Handel“ müssen endlich zeitnah und regelkonform geahndet werden.
  • In dieser Situation wäre es absolut kontraproduktiv, das handelspolitische Instrumentarium durch die Vergabe des Marktwirtschaftsstatus an China noch weiter zu schwächen. Erhält China diesen Status von der EU zuerkannt, verlieren die EU-Handelsschutzmaßnahmen noch weiter an Wirksamkeit.

Die besondere Ausgleichsregelung im EEG unterstützt dieses Anliegen. Notwendig ist aber auch die vollständige Befreiung der Eigenstromerzeugung auf der Basis von erneuerbaren Energien, Kuppelgasen und anderen Restenergien von der EEG-Umlage für Bestands- und Neuanlagen.

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